Rz. 8

Im Rahmen seiner funktionellen Zuständigkeit hat der BFH auch über entscheidungserhebliche Vorfragen aus anderen Rechtsgebieten zu entscheiden[1] und kann Vorlagen an das BVerfG im Wege einer konkreten Normenkontrolle[2] sowie Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH i. Z. m. der Auslegung primären oder sekundären Unionsrechts[3] richten.

 

Rz. 9

Soweit der BFH in der Hauptsache zuständig (geworden) ist[4], umfasst dies auch die gegen seine Entscheidungen erhobenen Anhörungsrügen[5] sowie die selbständigen Nebenverfahren wie die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 142 FGO (nur für die Rechtsmittelinstanz) und die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO (Rz 10).

 

Rz. 10

Für die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung ist der BFH aber erst dann funktionell zuständig, wenn er das Gericht der Hauptsache i. S. d. § 69 Abs. 3 S. 1 FGO geworden ist. Die funktionelle Zuständigkeit des FG entfällt erst bzw. die funktionelle Zuständigkeit des BFH beginnt ab dem Zeitpunkt, in dem beim BFH ein Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil anhängig geworden ist.[6] Insoweit bleiben zwar zwischen den Instanzen weiterhin die FG funktionell zuständig, wobei aber bereits mit einem Prozesskostenhilfeantrag für das Rechtsmittel beim BFH die Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts als Gericht der Hauptsache begründet wird.[7]

Hat das FG ausnahmsweise über einen Aussetzungsantrag in diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden oder hat der Kläger erst nach Einlegung eines Rechtsmittels beim FG die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts beantragt, muss sich das FG hierfür für (funktionell) unzuständig erklären und das Aussetzungsverfahren durch förmlichen Beschluss an den BFH verweisen.[8] Ist der BFH hiernach (noch) nicht zuständig, hat er das Aussetzungsverfahren an das zuständige FG zu verweisen.[9] Eine Verweisung an das FG wegen funktioneller Unzuständigkeit kommt allerdings nicht in Betracht, wenn der beim BFH angebrachte Aussetzungsantrag nicht wirksam gestellt worden ist.[10]

 

Rz. 11

Eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO kann der BFH hingegen nur dann treffen, wenn gegen den ablehnenden/stattgebenden Beschluss vom FG die Beschwerde gem. § 128 Abs. 3 FGO zugelassen wurde. Daher ist das FG gem. § 114 Abs. 2 S. 1 und 2 FGO selbst dann noch für die Entscheidung funktionell zuständig, wenn die Hauptsache bereits im Rechtsmittelverfahren beim BFH anhängig ist.[11] Ein beim BFH gestellter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen an das zuständige FG zu verweisen.[12]

 

Rz. 12

Für Klagen auf Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens[13] und Nichtigkeitsklagen i. S. d. § 579 ZPO ist der BFH nur dann zuständig, wenn sein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil (oder ein Beschluss, durch den eine Revision oder eine Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen worden ist)[14] aufgrund der §§ 579, 580 Nr. 4 und 5 ZPO angefochten wird.[15] Der Wortlaut des § 584 Abs. 1 ZPO ist jedoch hinsichtlich der Restitutionsgründe des § 580 ZPO erweiternd auszulegen, da der Gesetzgeber offensichtlich nicht daran gedacht hat, dass tatsächliche Feststellungen in engen Grenzen auch vom BFH als Revisionsgericht zu treffen sind.[16]

Daher ist der BFH als Revisionsgericht auch ausnahmsweise für ein auf § 580 Nr. 1–3, 6 oder 7 ZPO gestütztes Wiederaufnahmegesuch zuständig, wenn der Stpfl. mit der Restitutionsklage ausschließlich die eigenen tatsächlichen Feststellungen des BFH angreift[17] oder wenn ausschließlich Rechtsfehler der ergangenen BFH-Entscheidung geltend gemacht werden und es deshalb keiner weiteren tatsächlichen Feststellung durch die Tatsacheninstanz des FG bedarf.[18]

 

Rz. 13

Darüber hinaus ist der BFH – abweichend vom Grundsatz des § 35 FGO – kraft Gesetzes in erster und letzter Instanz zuständig für

  • Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer eines finanzgerichtlichen Verfahrens[19],
  • das sog. "in-camera"-Verfahren[20] – d. h. für eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Verweigerung der Vorlage von Urkunden, Akten usw. durch Behörden –,
  • in äußerst seltenen Fällen für ein Ablehnungsgesuch nach § 51 FGO wegen der Besorgnis der Befangenheit eines FG-Richters, wenn das FG durch Selbstablehnung aller Richter beschlussunfähig geworden ist[21] und
  • für die Bestimmung des zuständigen FG in den Fällen des § 39 FGO.

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