1.1 Entwicklung, Gegenstand und Zweck der Norm

 

Rz. 1

Die Norm wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts[1] in die AO eingefügt. Zur Anpassung an die Terminologie des Art. 4 Nr. 2 DSGVO[2] wurde die Norm sprachlich modifiziert[3], ohne dass damit eine Änderung des Regelungsinhalts verbunden sein sollte.[4] Allerdings führt die Umstellung des Norminhalts auf die Begrifflichkeiten der DSGVO zu einer Erweiterung des Regelungsbereichs auf alle vom Begriff des Dateisystems umfassten Sammlungen.[5]

 

Rz. 2

Die Finanzverwaltung sammelt zur Erfüllung ihrer zentralen Aufgaben[6] seit jeher Daten und wertet diese aus. Dies dient nicht nur, aber insbesondere dem Zweck, anhand von Vergleichsdaten etwaige Auffälligkeiten in den Steuererklärungen bzw. Aufzeichnungen der Stpfl. zu erkennen und Verprobungen vorzunehmen. Durch die Verprobung an Hand von schnell greifbaren Vergleichsdaten können die finanzbehördlichen Prüfungskapazitäten effizienter genutzt werden[7] und zugleich die personellen und zeitlichen Belastungen durch das Prüfungsgeschäft für den geprüften Stpfl. reduziert werden. Die gesammelten Daten sind z. T. öffentlich zugänglich, ganz überwiegend unterliegen sie aber dem Steuergeheimnis.[8]

Soweit die Dateien öffentlich zugänglich sind, wie etwa die Daten des elektronischen Handelsregisters i. S. d. § 8 Abs. 1 HGB, sind sie von § 88a AO nicht umfasst, weil sie schon nicht dem Steuergeheimnis unterliegen und es somit einer entsprechenden Regelung nicht bedarf.[9] Zwar greift es auch in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Person ein, wenn aus öffentlich zugänglichen Quellen stammende Daten durch ihre systematische Erfassung, Sammlung und Verarbeitung einen zusätzlichen Aussagewert erhalten.[10] Wenn diese Verarbeitung aber zweckbezogen sogar für geschützte Daten erlaubt ist, gilt dies in Form eines "Erst-recht-Schlusses" umso mehr auch für öffentlich zugängliche Daten[11], sodass es einer Erstreckung der deklaratorischen Regelung des § 88a AO auch auf die entsprechende Verarbeitung von Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht bedurfte.

 

Rz. 3

Die Befugnis der Finanzbehörden zur Datensammlung und -verwendung war bis zur Einführung des § 88a AO nicht ausdrücklich geregelt. Dieser Zustand wurde von den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder mit Blick auf das von Art. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zumindest für rechtlich problematisch gehalten. § 88a S. 1 AO soll deshalb laut der Gesetzesbegründung[12] klarstellen, dass die Finanzverwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben Daten nicht nur für ein (bereits) konkretes Verwaltungsverfahren, sondern auch für Zwecke künftiger Verfahren i. S. d. § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO verarbeiten darf. Da die Sicherstellung einer gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung von Steuern Grundvoraussetzung der Erfüllung der Aufgaben der Finanzbehörden aus § 85 AO ist und die Regelung der gleichmäßigen Besteuerung im Einzelfall dient, wirkte die Einführung des § 88a AO dementsprechend lediglich deklaratorisch.[13]

 

Rz. 4

Die Auffassung, § 88a AO stelle eine Ausnahmevorschrift zum Steuergeheimnis dar[14], womit wohl eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 i. V. m. § 88a AO gemeint ist, teile ich nicht. Diese Auffassung wird dem deklaratorischen Charakter der Norm (Rz. 2) nicht gerecht. Vielmehr ergibt sich m. E. aus der eindeutig geregelten Zweckbestimmung der in den Dateisystemen gesammelten Daten, dass die Regelung selbst ausschließlich Verwaltungsverfahren in Steuersachen und den sonstigen in § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO geregelten Verfahren dient und die Öffnung des Steuergeheimnisses für Zwecke der Datensammlung i. S. d. § 88a AO deshalb nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO zulässig ist. Dadurch, dass die Datensammlungen die Besteuerung in Einzelfällen unterstützen, dienen sie Verfahren im Sinne des § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO.[15] Eine frühzeitigere Zuordnung zum konkreten Besteuerungsverfahren ist m. E. nicht mehr zeitgemäß. Das gesamte und komplexe Besteuerungsverfahren baut nicht zuletzt auch auf Datenvergleichen auf und ist ohne diese nicht unter Beachtung der Grundsätze des § 85 AO durchführbar. Dass bei Erstellung der Datensammlung das konkrete steuerliche Verwaltungsverfahren, zu dem die Vergleichsdaten genutzt werden, zum Zeitpunkt der Sammlung der Daten i. d. R. noch nicht feststeht, ist angesichts der eindeutigen diesbezüglichen Zweckbestimmung nicht maßgebend.[16]

[1] Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz – StMBG v. 21.12.1993, BGBl I 1993, 2310.
[2] EU-Datenschutzgrundverordnung; Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Kapitalverkehr und zur Aufhebung der RL 95/46EG, ABl EU Nr. L 119, 1 sowie ABl EU Nr. L 314, 72.
[3] G. zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften v. 17.7.2017, BGB...

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