Rz. 72

Nach § 371 Abs. 1 AO muss die die Anwartschaft auf Straffreiheit begründende Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung "gegenüber der Finanzbehörde" erfolgen. Aus dem Rechtscharakter der Selbstanzeige als Erklärung im Besteuerungsverfahren (Rz. 14) folgt, dass es sich um eine Finanzbehörde i. S. d. § 6 Abs. 2 AO handeln muss.[1] Die Orientierung am engeren Begriff der Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 S. 2 AO ist hingegen verfehlt, da diese Definition nach dem Wortlaut der Norm nur für das Strafverfahren gilt und es sich bei der Entgegennahme einer Selbstanzeige nicht um einen Teil des Strafverfahrens handelt. Das Strafverfahren wird vielmehr erst nach und aufgrund der Abgabe der Selbstanzeige eingeleitet.

 

Rz. 73

Aufgrund des unklaren Wortlauts des § 371 Abs. 1 AO ist allerdings umstritten, ob mit "Finanzbehörde" jede oder nur die sachlich und örtlich zuständige Behörde gemeint ist. Nach früher herrschender Meinung soll richtiger Adressat der Selbstanzeige nur die im Einzelfall sachlich und örtlich zuständige Finanzbehörde sein und die Selbstanzeige somit erst bei Eingang dort wirksam werden.[2]

 

Rz. 74

Diese Ansicht findet jedoch im Hinblick auf die damit verbundene Einschränkung keine Stütze im Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO und sie widerspricht auch dem Zweck des § 371 AO. Steuerquellen lassen sich nur schwer erschließen und der zu honorierende Weg in die Steuerehrlichkeit wird eher verschlossen, wenn der Stpfl. erst selbst ermitteln muss, welches FA örtlich und sachlich zuständig ist, denn sollte ihm dies misslingen, läuft er Gefahr, durch seine Selbstanzeige selbst einen Ausschlussgrund (insb. Tatentdeckung gem. § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO (Rz. 78) herbeizuführen. Probleme bei der Bestimmung des zuständigen FA ergeben sich insb. bei mehreren betroffenen Steuerarten, Wohnsitzwechseln, Auslandsbezug und Selbstanzeigen von Anstiftern oder Gehilfen, die das für den Haupttäter zuständige FA ermitteln müssten. Deshalb ist nach mittlerweile im Schrifttum herrschender und zutreffender Ansicht für die Entgegennahme einer Selbstanzeige jede Finanzbehörde i. S. d. § 6 Abs. 2 AO geeignet. Folglich wird die Anzeige (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen) unmittelbar mit Zugang bei jeder Finanzbehörde i. S. d. § 6 Abs. 2 AO vollständig wirksam, sodass nach diesem Zeitpunkt eintretende Ausschlussgründe nach § 371 Abs. 2 AO keine Wirkung mehr entfalten.[3] Neben den Finanzbehörden kommen selbstverständlich auch deren Amtsträger zur Entgegennahme von Selbstanzeigen infrage, sodass sie auch bei Außenprüfern oder Angehörigen der Steuer- bzw. Zollfahndung abgegeben werden können.[4]

 

Rz. 75

Gegen diese Ansicht könnte allein der Wortlaut des Art. 97 § 24 EGAO sprechen, in dem auf die "zuständige Behörde" abgestellt wird. Da der Gesetzgeber jedoch nicht den Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO entsprechend geändert hat, ist davon auszugehen, dass er durch Art. 97 § 24 EGAO nicht den dargestellten Streitstand entscheiden wollte.[5]

Zur Vermeidung von Problemen sollte die Selbstanzeige jedoch immer bei dem für die Besteuerung zuständigen FA oder einem seiner Amtsträger erfolgen.

 

Rz. 76

Keine Finanzbehörden i. S. d. § 6 Abs. 2 AO sind hingegen z. B. Gerichte, die Staatsanwaltschaft oder die Polizei. Bei ihnen kann zwar durchaus eine Selbstanzeige abgegeben werden, sie wird aber erst wirksam, wenn sie bei einer Finanzbehörde i. S. d. § 6 Abs. 2 AO eingeht.[6] Auch wenn andere Behörden gem. § 116 AO sowie Nr. 266 RiStBV zur Weiterleitung steuererheblicher Informationen verpflichtet sind, besteht doch durch den zeitlichen Verzug bis zum Eintreffen bei der Finanzbehörde die Gefahr, dass in der Zwischenzeit ein Ausschlussgrund eingreift (Rz. 78).

 

Rz. 77

Eine fehlerhafte Adressierung der Selbstanzeige oder deren Übergabe an einen beliebigen Amtsträger ist für deren Wirksamkeit dann unschädlich, wenn sie vom Empfänger an den richtigen Adressaten weitergeleitet wird und bei diesem rechtzeitig eintrifft. Allerdings trägt der Anzeigende in vollem Umfang das Risiko der zeitlichen Verzögerung oder des Verlusts. Die Straffreiheit ist ausgeschlossen, wenn die Erklärung nicht beim Adressaten eintrifft oder vor dem Eingang beim richtigen Adressaten einer der Ausschlussgründe nach § 371 Abs. 2 AO eintritt.[7] Der Selbstanzeigende hat sich zu informieren, an welche Behörde er die Selbstanzeige zu richten hat.[8]

Teilweise wird aus Billigkeitsgründen die Ansicht vertreten, dass bei nachweisbarer Aufgabe der Selbstanzeige zur Post ein Zugang bei der Behörde und damit der Eintritt der Wirksamkeit zu dem Zeitpunkt zu fingieren sei, der dem normalen Postlauf entspricht. Begründet wird dies allein damit, dass dem Anzeigenden Verzögerungen bei der Zustellung bzw. Weiterleitung nicht angelastet werden könnten.[9] Warum dies so sein soll, begründen die Vertreter dieser Ansicht hingegen nicht und auch eine Stütze im Gesetz ist nicht erkennbar. Da auch der Grundsatz "in dubio pro reo" als Entscheidungsregel für den Richter lediglich im Fall eines bestrittenen Zug...

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