Rz. 11

Die Wertung des Verhaltens im Besteuerungsverfahren als "Selbstanzeigeerklärung" (Rz. 5) ist nichts anderes als die Schöpfung eines "Tatverdachts" i. S. v. § 152 Abs. 2 StPO.[1] Hiernach sind die Strafverfolgungsorgane bzw. ihre Ermittlungspersonen bei Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte verpflichtet (Legalitätsprinzip), wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten (§ 397 AO Rz. 23). Die strafverfahrensrechtliche Konsequenz aus der Wertung eines steuerlichen Verhaltens als "Selbstanzeige" führt also regelmäßig[2] zur Einleitung eines Steuerstrafverfahrens nach § 397 AO wegen eines Verdachts der Steuerhinterziehung.[3] Ein außerhalb des Strafverfahrens, also wohl im Besteuerungsverfahren, zu führendes "Selbstanzeigeprüfungsverfahren" ist im Gesetz nicht vorgesehen und es besteht hierfür auch kein Erfordernis (Rz. 12).

 

Rz. 12

In diesem Steuerstrafverfahren[4] ist von der Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 2 AO bzw. der Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob der Tatverdacht begründet ist und strafrechtliche Konsequenzen durch Verhängung einer Strafe zu ziehen sind. Bis zum endgültigen Eintritt der Straffreiheit aufgrund der "Selbstanzeige" haben die Strafverfolgungsorgane (Rz. 11) alle strafrechtlichen Ermittlungen zu veranlassen oder zu führen[5].

In diesem Steuerstrafverfahren ist die Wirksamkeit der "Selbstanzeige" zu prüfen, also die Frage, ob die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1–3 AO erfüllt sind und dadurch Straffreiheit eingetreten ist. Ein außerhalb des Steuerstrafverfahrens liegendes, unabhängiges "Selbstanzeige-Vorprüfungsverfahren" ist im Strafverfahrensrecht (Vor §§ 385–408 AO Rz. 1, 14ff.) nicht vorgesehen und nicht statthaft[6].

Ergeben die strafrechtlichen Ermittlungen, dass sich einerseits der Verdacht einer strafbaren und verfolgbaren Handlung nicht erhärtet, also die vorsätzliche Steuerhinterziehung nicht vorliegt oder nicht nachgewiesen werden kann, oder dass andererseits die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1–3 AO erfüllt sind, so ist das anhängige Strafverfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen (§ 398 AO Rz. 3). Ergibt sich erst in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung, dass aufgrund der "Selbstanzeige" Straffreiheit eingetreten ist, so erfolgt ein Freispruch durch Urteil[7].

 

Rz. 13

Diese theoretische strafprozessuale Prüfungsreihenfolge entspricht allerdings nicht der üblichen Verfahrenspraxis der Strafverfolgungsorgane. Diese wenden sich vielmehr nach der Einleitung des Strafverfahrens aufgrund der "Selbstanzeigeerklärung" i. d. R., sofern nicht noch andere Verdachtsmomente vorliegen, nicht den strafrechtlichen Ermittlungen zu, ob die Steuerhinterziehung bewiesen werden kann, sondern prüfen aus Vereinfachungsgründen mit Unterstellung der Steuerhinterziehung zunächst die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1–3 AO. Wenn das steuerliche Verhalten den Anforderungen des § 371 Abs. 1 AO entspricht und ein Ausschlussgrund nach § 371 Abs. 2 AO nicht vorliegt, setzen sie regelmäßig die Nachentrichtungsfrist nach § 371 Abs. 3 AO (Rz. 122). Wird die Nachentrichtung fristgemäß erbracht, so wird das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (§ 398 AO Rz. 3). Über die Frage, ob überhaupt eine Steuerhinterziehung vorliegt, ist dann nur noch im Besteuerungsverfahren (Rz. 9) zu entscheiden, wo sie vornehmlich für die Festsetzungsverjährung[8], die Haftung nach § 71 AO und ggf. für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen[9] von Bedeutung ist[10]. Erst wenn die Straffreiheit durch die "Selbstanzeige" ausgeschlossen ist, werden i. d. R. die erforderlichen strafrechtlichen Ermittlungen geführt, um zur Entscheidung über den Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durch Einstellung bzw. Anklageerhebung zu gelangen.

 

Rz. 14

Die Verfolgungspflicht nach § 152 Abs. 2 StPO (Rz. 11) steht unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Auch nach der Wertung als "Selbstanzeigeerklärung" kommt eine Einstellung des Strafverfahrens durch die Strafverfolgungsorgane in Betracht (Rz. 1b), insbesondere wenn die Tat als geringfügig i. S. v. § 398 AO angesehen werden kann. Sie können trotz der "Selbstanzeige" auch von der Einleitung und damit von der Durchführung des Strafverfahrens absehen (§ 397 AO Rz. 24).

 

Rz. 15

Die Einleitung des Strafverfahrens darf nicht erfolgen, wenn von vornherein Gründe vorliegen, die einen Strafausspruch ausschließen, wenn ein zwingendes Verfahrenshindernis besteht, z. B. Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist (Rz. 28), oder z. B. im Zeitpunkt der Verdachtsschöpfung zweifelsfrei die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1, 3 AO erfüllt sind und ein Ausschlussgrund nach § 371 Abs. 2 AO zweifelsfrei nicht vorliegt[11].

Dieser Gesichtspunkt ist für die Entscheidung, ob eine "Selbstanzeige" erfolgen soll, dann von besonderer Bedeutung, wenn die Strafverfolgungsorgane schon die Einleitung des Strafverfahrens anderen Stellen mitzuteilen haben, die infolge der Steuerhinterziehung über berufsständische oder disziplinarrechtliche Maßnahmen zu entscheiden haben (Rz. 25). Entrichtet der "Selbstanz...

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