Rz. 66

Die Selbsteinschränkung des Rechtsschutzes durch den Einspruchsverzicht ist im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rang des gerichtlichen Rechtsschutzes nur dann zulässig, wenn der Entschluss zum Verzicht auf einer freien, unbeeinflussten Willensbildung des Stpfl. beruht. Anderenfalls ist die Verzichtserklärung unwirksam.[1] Der BFH betont jedoch, dass eine Unwirksamkeit "nur in krassen Fällen unzulässiger Einwirkung auf die Willensbildung des Stpfl." geltend gemacht werden könne.[2]

 

Rz. 67

Eine solche – krasse – unzulässige Willensbeeinflussung liegt jedenfalls dann vor, wenn von Seiten der Finanzbehörde Druck durch Drohung (z. B. mit der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens), durch bewusste Täuschung oder durch bewusst falsche Auskunft ausgeübt wurde.[3] Gleiches gilt, wenn die Finanzbehörde dem Stpfl. für den Fall der Erklärung eines Einspruchsverzichts ein damit in keinem Zusammenhang stehendes Verhalten (z. B. die Einstellung eines Steuerstrafverfahrens) in Aussicht gestellt hat.

 

Rz. 68

Aber auch eine offensichtlich falsche Auskunft oder Belehrung des Stpfl. durch die Finanzbehörde kann die Unwirksamkeit der Verzichtserklärung bewirken.[4] Ein bewusst fehlerhaftes Handeln aufseiten der Finanzbehörde ist dabei nicht erforderlich. Es genügt eine unrichtige, rechtlich offensichtlich nicht vertretbare Aussage über die Erfolgsaussichten des Einspruchs, die zu dem Verzicht auf einen Einspruch durch den Stpfl. führt.[5]

Ob eine von der Finanzbehörde erteilte Auskunft oder Belehrung offensichtlich unzutreffend ist, beurteilt sich nach den Gegebenheiten im Zeitpunkt ihrer Abgabe.[6] Hat sich die Finanzbehörde bei ihrer Auskunft auf die bisherige Rechtsprechung gestützt und der Stpfl. daraufhin auf seinen Einspruch verzichtet, so wird die Wirksamkeit des Verzichts deshalb nicht dadurch berührt, dass diese Rechtsprechung später aufgegeben wird.[7] Gleiches gilt, wenn sich die Finanzbehörde auf eine bestehende Verwaltungsanweisung beruft, die nach dem Einspruchsverzicht für rechtsungültig erklärt wird.[8]

Eine offensichtlich unzutreffende Auskunft oder Belehrung der Finanzbehörde begründet nur dann die Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts, wenn die Verzichtserklärung des Stpfl. durch die Finanzbehörde veranlasst worden ist.[9] Bei dem Stpfl. müssen also gerade durch das Handeln der Behörde falsche Vorstellungen über die tatsächliche Verfahrenslage hervorgerufen werden, die ihn zu dem eigentlich nicht gewollten Verzicht auf seinen Einspruch bewegen.[10] Für die Beantwortung der Frage, ob dies der Fall ist, sind die individuellen Erkenntnismöglichkeiten des erklärenden Stpfl. zu berücksichtigen. Bei rechtsunkundigen oder unerfahrenen Personen trägt die Finanzbehörde eine erhöhte Verantwortung und Sorgfaltspflicht für die Richtigkeit ihrer Erklärungen. Wurde der Verzicht hingegen durch einen rechts- oder sachkundigen Bevollmächtigten erklärt, hat eine vorausgegangene objektiv unrichtige Auskunft oder Beurteilung der Rechtslage durch die Finanzbehörde auf die Wirksamkeit des Verzichts regelmäßig keinen Einfluss, denn eine unzulässige Einwirkung der Finanzbehörde auf die Entschließungsfreiheit des Stpfl. wird in diesem Fall aufgrund der eigenen Sachkunde des Erklärenden bzw. seines steuerlichen Beraters ausscheiden. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtskundige die Verzichtserklärung in einer ihn nur persönlich betreffenden Angelegenheit abgibt.[11] Allerdings ist auch bei einem Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe eine unzulässige Beeinflussung durch die Behörde oder das Gericht, die eine Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts zur Folge haben kann, denkbar. Sie wird aber auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben.[12]

 

Rz. 69

Um die Unwirksamkeit eines Einspruchsverzichts zu vermeiden, weist die Finanzverwaltung darauf hin, dass alles vermieden werden müsse, "was den Stpfl. in seinem Entschluss, auf einen Rechtsbehelf zu verzichten, in sachlich nicht gerechtfertigter Weise beeinflussen könnte". Nur in Ausnahmefällen solle zum Verzicht auf einen Rechtsbehelf angeregt werden.[13]

 

Rz. 70

Nach den allgemeinen Regeln über die Verteilung der Feststellungslast obliegt dem Stpfl. der Nachweis, dass eine solche unzulässige Willensbeeinflussung vonseiten der Finanzbehörde stattgefunden hat.

Rz. 71–74 einstweilen frei

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