Rz. 212

Die AO enthält keine allgemeine Regelung über die Zurechenbarkeit des Verhaltens eines Bevollmächtigten; insbesondere § 80 AO spricht nur vom Umfang der Vollmacht, nicht von ihrer Wirkung. Daneben enthalten nur § 110 Abs. 1 S. 2 AO und § 152 Abs. 1 S. 3 AO in zwei Einzelfällen Bestimmungen darüber, inwieweit das Verhalten des Bevollmächtigten dem Stpfl. zuzurechnen ist. Daraus ist für § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO geschlossen worden, dass vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten des steuerlichen Beraters dem Stpfl. nicht zuzurechnen sei, wenn den Stpfl. selbst kein grobes Verschulden trifft.[1]

 

Rz. 213

Das Verhältnis zwischen Bevollmächtigtem und Vollmachtgeber/Stpfl. ist zivilrechtlich. Die AO verzichtet daher auf eine Regelung der Vollmacht, da dieses Verhältnis durch § 166 BGB erfasst wird.[2] M. E. ist es, da die Grundlagen der Vollmacht zivilrechtlich geregelt sind, auch gerechtfertigt, wegen ihrer Rechtswirkungen auf das BGB zurückzugreifen, da die sonst erforderliche Regelung der Wirkungen der Vollmacht in der AO fehlt. Daher ist der Grundgedanke des § 166 Abs. 1 BGB entsprechend heranzuziehen, wonach es für die Frage der Kenntnis oder des Kennenmüssens auf das Wissen des Vertreters ankommt.[3] Die bloße Erteilung der Vollmacht genügt aber noch nicht, dem Stpfl. die Kenntnis des Vertreters zuzurechnen. Hinzukommen muss, dass der Vertreter in Vertretung des Stpfl. oder in Erfüllung der Aufgaben des Vertretenen gehandelt hat. Soweit kein entsprechendes Handeln des Vertreters erfolgt ist, ist dem Stpfl. auch die Kenntnis des Vertreters nicht zuzurechnen.[4]

 

Rz. 213a

Das Verhältnis des Stpfl. zum Steuerberater ist auch hinsichtlich der Steuererklärung zumindest als vertretungsähnliches Verhältnis zu behandeln. In der Steuererklärung sind nicht Tatsachen schlechthin, sondern steuerlich erhebliche Tatsachen anzugeben. Häufig liegt den Daten der Steuererklärung auch eine Vielzahl von Wertungen zugrunde (z. B. bei der Höhe des "Gewinns"). Es ist also nicht nur eine Wissenserklärung abzugeben, sondern im Rahmen dieser Wissenserklärung eine Vielzahl von rechtlichen Würdigungen vorzunehmen. Wenn der Stpfl. diese Würdigungen nicht selbst vornimmt, sondern sie auf seinen Steuerberater überträgt, und ihm andererseits nicht zugemutet wird, die rechtlichen Würdigungen seines steuerlichen Beraters zu überprüfen (vgl. Rz. 201), ist es nur konsequent, ihm das Verschulden seines insoweit für ihn handelnden steuerlichen Beraters zuzurechnen. Auch bei Beauftragung eines steuerlichen Beraters ist in erster Linie der Stpfl. für die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung verantwortlich. Er kann sich dieser Verantwortung nicht dadurch entziehen, dass er das Erstellen der Steuererklärung einem steuerlichen Berater überlässt.[5] Das schließt andererseits nicht aus, für die Angabe des reinen Tatsachenstoffs auf das Verschulden des Stpfl. selbst abzustellen, wenn und soweit ihn bei Würdigung aller maßgeblichen Verhältnisse die primäre Verantwortlichkeit hierfür trifft (vgl. Rz. 201).

 

Rz. 214

Grobes Verschulden des Vertreters ist also dem Stpfl. zuzurechnen.[6] ­Allerdings lässt sich die weitere Regelung des § 166 BGB, wonach es auf die Kenntnis des Vertretenen nur in bestimmten Fällen ankommt, nicht auf das Steuerrecht übertragen. Trotz des Handelns des Vertreters ist regelmäßig (auch) der Stpfl. selbst verantwortlich.[7], sodass grobes Verschulden beider schadet.[8] Dagegen will Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 83 das Verschulden des steuerlichen Beraters dem Stpfl. nicht zurechnen, da es an einer gesetzlichen Grundlage fehle und der steuerliche Berater kein Erfüllungsgehilfe sei.

 

Rz. 215

Ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das Beraterverschulden dem Stpfl. zuzurechnen ist, allerdings mit einer anderen Begründung, kommt die Rechtsprechung.[9] Nach einer Darlegung der Zurechnung des Beraterverschuldens in anderen Rechtsgebieten, die der BFH jedoch nicht analog heranziehen will, wird in den Urteilen ausgeführt, dass § 152 Abs. 1 S. 3 AO (ähnlich § 169 Abs. 2 S. 3) bei verspäteter Abgabe der Steuererklärung eine Zurechnung des Verschuldens des Erfüllungsgehilfen vorsehe. Der Stpfl. müsse aber nicht nur die Steuererklärung rechtzeitig abgeben, sondern auch eine richtige Steuererklärung; daher sei der Berater auch hinsichtlich des Inhalts Erfüllungsgehilfe. Für Verschulden des Erfüllungsgehilfen habe er einzustehen, wenn auch nicht nach § 278 BGB, da diese Vorschrift nur auf die Haftung der öffentlichen Hand innerhalb verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse übertragen werden könne. Für Beraterverschulden müsse der Stpfl. einstehen, allerdings nicht weiter als im Fall der Bevollmächtigung.

 

Rz. 216

Diese Urteile überzeugen in der Begründung nicht. So ist es unbefriedigend, den Berater als Erfüllungsgehilfen zu bezeichnen bzw. seine Stellung mit der eines Erfüllungsgehilfen zu vergleichen, die Haftung für ihn aber dann doch nach den Grundsätzen der Vertreterhaftung zu bestimmen. Auch der Vergleic...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Kanzlei-Edition. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge