Rz. 82

Erbringt die Körperschaft Leistungen, die sowohl den ausschüttbaren Gewinn als auch den positiven Bestand des steuerlichen Einlagekontos überschreiten, stellt sich die Frage, ob ein negatives Einlagekonto entstehen kann. Möglich ist dies in sämtlichen Konstellationen, in denen ein Gewinn in der Handelsbilanz vor der Steuerbilanz realisiert und an die Anteilseigner ausgekehrt wird. Steuerrechtlich könnte es dann zu einer Leistung kommen, die sowohl den ausschüttbaren Gewinn i. S. d. § 27 Abs. 1 KStG als auch den positiven Bestand des steuerlichen Einlagekontos übersteigt.

 

Rz. 83

§ 27 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 KStG stellt insoweit klar, dass das steuerliche Einlagekonto nicht infolge von Leistungen der Körperschaft negativ werden kann. Für Leistungen gilt der Bestand des steuerlichen Einlagekontos insoweit nicht als verwendet, sodass die Leistungen weder aus einem ausschüttbaren Gewinn noch aus dem steuerlichen Einlagekonto finanziert worden sein können. Derartige Leistungen stellen beim Gesellschafter laufende Bezüge aus der Beteiligung i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar.[1] Eine Steuerbefreiung kommt mangels Verwendung des steuerlichen Einlagekontos nicht in Betracht; zudem existiert aufgrund des Trennungsprinzips bei der Besteuerung von Kapitalgesellschaften außerhalb des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG keine Maßgeblichkeit für die Qualifikation von Leistungen der Körperschaft an den Anteilseigner. Insoweit unterfallen derartige Leistungen auch dem KapESt-Abzug des § 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

 

Rz. 84

Nach § 27 Abs. 1 S. 4 Hs. 2 KStG kann es in Sonderfällen zu einem negativen Einlagekonto kommen, da § 27 Abs. 6 KStG insoweit unberührt bleibt. Dies bedeutet, dass es bei organschaftlich verursachten Mehrabführungen zu einem negativen Einlagekonto kommen kann.

 

Rz. 85

Darüber hinaus ist ein weiterer Fall denkbar, in dem das steuerliche Einlagekonto abweichend vom allgemeinen Grundsatz des § 27 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 KStG negativ werden kann. Wurde die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos zu hoch bescheinigt, weil der ausschüttbare Gewinn infolge späterer Feststellungen (z. B. bei einer Außenprüfung) erhöht oder der Betrag einer Einlage niedriger bemessen wird (z. B. bei einer Sacheinlage), bleibt es bei der Verwendungsfestschreibung, wenn der Bescheid nicht angefochten bzw. die Körperschaft nicht in Haftung genommen wurde.[2] Dann ändert sich die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos nicht und es kommt zu einem negativen Bestand, damit die Folgen dieses "Fehlers", die aus formalen Gründen nicht korrigierbar sind, mit Wirkung für die Zukunft festgehalten werden, um mit künftigen Einlagen verrechnet zu werden. Dieser Fall dürfte indessen theoretischer Natur sein, da eine Betriebsprüfung typischerweise eine Haftungsinanspruchnahme auslöst, sodass die Verwendungsfestschreibung zu ändern ist, bzw. da die Körperschaft zur Vermeidung der Haftung von ihrem Wahlrecht zur Korrektur der Bescheide Gebrauch machen wird und es auch dann zur Änderung der Verwendungsfestschreibung kommt.

 

Rz. 86

§ 27 Abs. 1 S. 4 Hs. 1 KStG stellt eine abschließende Regelung für die Fälle dar, in denen das steuerliche Einlagekonto negativ werden kann. In allen übrigen Fällen ist mithin ein Verbrauch des steuerlichen Einlagekontos über den positiven Bestand hinaus ausgeschlossen. Erbringt eine Kapitalgesellschaft Leistungen, die den ausschüttbaren Gewinn und den Bestand des steuerlichen Einlagekontos übersteigen (z. B. aufgrund einer handelsrechtlich höheren Bewertung), wird z. T. die Auffassung vertreten, dass ein aktiver Korrekturposten zu bilden und gegen künftige Steuerbilanzgewinne aufzulösen sei.[3] M. E. ist in der Steuerbilanz, als "Reflex" der handelsrechtlichen Regelung, ein negatives Eigenkapital auszuweisen und durch Aktivierung eines gleichhohen Betrags zu neutralisieren. Insoweit erfolgt keine Auflösung des Postens, vielmehr stellt dieser eine Saldogröße dar, die zu jedem Bilanzstichtag entsprechend neu zu berechnen ist.[4] Für die Fortentwicklung eines solchen Postens fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage, vielmehr ist das Eigenkapital zu jedem Bilanzstichtag neu zu gliedern.[5] Sofern ein nur steuerrechtlicher Gewinn den negativen Betrag ausgleicht, kommt es mithin zur ursprünglichen Gliederung des steuerbilanziellen Eigenkapitals. Auswirkungen auf das steuerliche Einlagekonto ergeben sich insoweit nicht.

[1] BFH v. 6.10.2009, I R 24/08, BFH/NV 2010, 248; Dötsch, in Dötsch/Jost/Pung/Witt, KStG, § 27 KStG Rz. 52.
[2] Festschreibung der Verwendungsreihenfolge; Rz. 207ff.
[3] Bauschatz in Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015, § 27 KStG Rz. 28.
[4] Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, 7. Aufl. 2016, § 268 HGB Rz. 127.
[5] Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 5. Aufl. 2015, Kap. D Rz. 818.

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