Rz. 25

§ 10 Abs. 1 S. 1 ErbStG enthält keine Regelung darüber, nach welchen Grundsätzen die Bereicherung des Erwerbers bei einer Schenkung unter Lebenden zu ermitteln ist. Die Regelung des § 10 Abs. 1 S. 2 ErbStG gilt nach seinem Wortlaut nur "in den Fällen des § 3 ErbStG", d. h. für Erwerbe von Todes wegen.

 

Rz. 26

Bezüglich der Schenkungen unter Lebenden kann die Bereicherung i. S. d. § 10 Abs. 1 S. 1 ErbStG nicht mit der Bereicherung i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gleichgesetzt werden. Denn § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG betrifft – als eine den Besteuerungsgegenstand betreffende Regelung – die Ermittlung eines nach bürgerlich-rechtlichen Maßstäben festzustellenden steuerbaren Erwerbs (Vermögenszuwachses), während der Umfang des steuerpflichtigen Erwerbs durch § 10 ErbStG festgelegt wird. Daraus folgt ein Vorrang des § 7 ErbStG vor § 10 ErbStG. Erst bei Vorliegen einer Bereicherung i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist in die Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs i. S. d. § 10 ErbStG einzutreten.[1] Im Rahmen des § 10 ErbStG bedarf es mithin für Schenkungen unter Lebenden eines spezifisch steuerlichen Bereicherungsbegriffs.

 

Rz. 27

Aufgrund dieser Gegebenheiten muss § 10 Abs. 1 S. 2 ErbStG wegen der Grundregel des § 1 Abs. 2 ErbStG grundsätzlich auch für Schenkungen unter Lebenden gelten.[2] Zu beachten war bisher allerdings folgende Einschränkung: Die Anwendung des § 10 Abs. 1 S. 2 ErbStG auf Schenkungen kommt nach § 1 Abs. 2 ErbStG nur in Betracht, soweit "nichts anderes bestimmt ist". Eine solche anderweitige Bestimmung wird bei gemischten Schenkungen und Schenkungen unter Leistungsauflage angenommen.[3] Bei solchen Schenkungen ergibt sich die abweichende Bestimmung aus § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, wonach nur die auf Kosten des Zuwendenden eintretende Bereicherung der Besteuerung unterworfen ist.

 

Rz. 28

Vor dem Hintergrund der Bewertung nach dem gemeinen Wert für alle Vermögensarten ist die Rechtsfigur der gemischten Schenkung zu überdenken.[4] Gegenleistung, Nutzungsauflage und Leistungsauflage mindern unterschiedslos die Bemessungsgrundlage in Höhe ihres Werts. Von dem gem. § 12 ErbStG zu ermittelnden Steuerwert der Leistung des Schenkers sind die Gegenleistungen des Beschenkten und die von ihm übernommenen Leistungs-, Nutzungs- und Duldungsauflagen mit ihrem gem. § 12 ErbStG ermittelten Wert abzuziehen[5]; dies gilt vorbehaltlich der Beschränkungen des § 10 Abs. 6 ErbStG.

 

Rz. 29

Mit den vorstehenden Maßgaben können auch bei Schenkungen unter Lebenden die Abzugsposten des § 10 Abs. 59 ErbStG in Ansatz gebracht und das für Erwerbe von Todes wegen geltende Berechnungsschema angewendet werden. Bei Schenkungen unter Lebenden sind aufgrund der Anwendbarkeit des § 10 Abs. 5 ErbStG unter näheren Voraussetzungen auch die Erwerbskosten abziehbar.[6]

 

Rz. 30–39

einstweilen frei

[1] Meincke/Hannes/Holtz, § 7 ErbStG Rz. 5 und § 10 Rz. 20 ff.
[2] Ebenso schon bislang Meincke/Hannes/Holtz, § 10 ErbStG Rz. 20.
[4] Ebenso schon Röder, ZEV 2007, 505, für alle teilunentgeltlichen Vermögensübertragungen; vgl. auch bisher schon krit. Meincke/Hannes/Holtz, § 1 ErbStG Rz. 28.
[5] R E 7.4 Abs. 1 ErbStR 2019.
[6] Zu den Einzelheiten vgl. unten Rz. 223 f.

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