Leitsatz (amtlich)

1. Sind die Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung zur Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen berufen (§§ 1 und 4 VwVG), so richtet sich die Beantwortung der Fragen, wer Vollstreckungsschuldner ist und welche tatbestandlichen Voraussetzungen vor der Einleitung der Vollstreckung erfüllt sein müssen, nach den §§ 2 und 3 VwVG. Die Verweisung in § 5 VwVG auf die Vorschriften der Reichsabgabenordnung betrifft nur die Durchführung der Vollstreckung.

2. Soweit ein Sachwalter nach § 92 VglO bestellt ist und er die alleinige Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Vollstreckungsschuldners hat, kann eine Vollstreckung in dieses Vermögen nur aufgrund eines an ihn gerichteten Duldungsbescheides erfolgen.

 

Normenkette

VwVG §§ 1-5; VglO § 92

 

Tatbestand

Über das Vermögen der KG, die eine Geflügelschlachterei betrieb, wurde am 7. April 1971 das Vergleichsverfahren eröffnet. Zum Vergleichsverwalter wurde der Steuerberater P ernannt. Aufgrund eines gerichtlich bestätigten Liquidationsvergleichs wurde das Vergleichsverfahren im Mai 1971 aufgehoben und der Vergleichsverwalter zum Sachwalter (§ 92 der Vergleichsordnung - VglO -) bestellt. Nach dem Vergleich wurde das gesamte Vermögen der KG den Gläubigern überlassen. Die Gesellschafter der KG haben sich verpflichtet, dem Sachwalter unwiderrufliche Vollmacht zur Verwaltung und Verwertung des Gesellschaftsvermögens zu erteilen.

Die KG schuldete dem Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft (Beigeladener) aufgrund des Absatzfondsgesetzes vom 26. Juni 1969 (BGBl I, 635) Beiträge, die das Bundesamt durch Bescheid vom 14. Juli 1971 für das Jahr 1970 und das I. Quartal 1971 auf insgesamt 87 003,52 DM festsetzte und anforderte. Eine Fotokopie des Beitragsbescheides übersandte es mit Schreiben vom 20. Juli 1971 dem Sachwalter P mit der Bitte, den Schuldner zur Vermeidung von Vollstreckungsmaßnahmen zu veranlassen, den geschuldeten Betrag auf eines der im Bescheid angegebenen Konten zu überweisen. Nachdem keine Zahlung einging, ersuchte das Bundesamt den Beklagten und Revisionsbeklagten (HZA) im Wege der Amtshilfe um Vollstreckung. Dieses pfändete mit Pfändungsverfügung vom 27. Juli 1973 das Guthaben des Steuerberaters P in seiner Eigenschaft als Sachwalter im Vergleichsverfahren der KG bei der Kreissparkasse.

Die gegen die Pfändungsverfügung eingelegte Beschwerde wies die OFD zurück.

Zur Begründung der Klage trug der Sachwalter vor, daß vor einer Vollstreckung gemäß § 9 Abs. 4 der Beitreibungsordnung (BeitrO) ein Duldungstitel gegen ihn hätte erwirkt werden müssen.

Das FG hob die Pfändungsverfügung, soweit sie 86 486,29 DM übersteigt, auf und führte aus, in dem an die KG als Vollstreckungsschuldner gerichteten Beitragsbescheid des Bundesamts liege das Leistungsgebot nach § 326 Abs. 3 AO. Eines Leistungsgebotes gegen den Sachwalter habe es nicht bedurft. Die Pflicht eines Sachwalters als Vollstreckungsschuldner (§ 326 Abs. 1 Satz 2 AO) werde gemäß § 9 Abs. 4 BeitrO durch eine Anweisung geltend gemacht, die Leistung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung in das verwaltete Vermögen zu erbringen. Das sei mit dem Schreiben des Bundesamtes vom 20. Juli 1971 an den Sachwalter geschehen.

Mit der gegen das FG-Urteil eingelegten Revision rügt der Sachwalter die Verletzung des § 326 Abs. 3 AO "in Verbindung mit § 9 Abs. 4 BeitrO". Nach den genannten Bestimmungen dürfe, so meint der Sachwalter, die Zwangsvollstreckung erst beginnen, wenn dem Vollstreckungsschuldner die Verfügung, durch die er zur Leistung aufgefordert werde, bekanntgegeben werde. Nach § 9 Abs. 4 BeitrO sei derjenige, der eine Leistung, ohne dafür persönlich zu haften, aus Mitteln zu bewirken habe, die seiner Verwaltung unterliegen, anzuweisen, zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung in das von ihm verwaltete Vermögen die Leistung zu bewirken. Ein solches Leistungsgebot sei der Pfändungsverfügung nicht vorangegangen. In den Schreiben des Bundesamtes vom 27. April bzw. 20. Juli 1971 fehle der Hinweis, "daß ich die Leistung aus dem von mir verwalteten Vermögen bewirken soll". Das sei unumgängliche Voraussetzung, weil die Pfändung in das vom Sachwalter verwaltete Vermögen bewirkt worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Kläger und Revisionskläger ist der Sachwalter in seiner Eigenschaft als Sachwalter der KG. Das angefochtene Urteil bedarf insoweit der Berichtigung, als es im Rubrum im Gegensatz zu den Ausführungen im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen und im offenkundigen Widerspruch zum Tenor der Beschwerdeentscheidung der OFD nicht den aufgrund des gerichtlich bestätigten Liquidationsvergleichs bestellten Sachwalter, sondern den Schuldner des Vergleichs, die KG, als Klägerin und den Sachwalter als Prozeßbevollmächtigten aufführt. Nach den Feststellungen des FG hat der Sachwalter in der mündlichen Verhandlung erklärt, daß er als Kläger auftrete, da die Maßnahmen des HZA seine Rechtsstellung als Sachwalter beeinträchtigen. Er hat auch, wie den Akten des FG zu entnehmen ist, trotz einer entsprechenden Aufforderung durch das FG keine Prozeßvollmacht vorgelegt. Wohl im Hinblick auf die fehlende Prozeßvollmacht hat das FG in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß der Sachwalter auch dann, wenn ihm das Vermögen der Schuldner nicht treuhänderisch übertragen worden sei, ermächtigt sei, Prozesse im eigenen Namen zu führen. Der Sennat stimmt dieser Auffassung zu. Der Sachwalter, dem die unwiderrufliche Vollmacht zur Verwaltung und Verwertung des Gesellschaftsvermögens erteilt worden ist (vgl. § 92 Abs. 1 und 4 VglO, sogenannte uneigentliche Treuhand), kann Prozesse im eigenen Namen führen (so auch Bley/Mohrbutter, Vergleichsordnung, 3. Aufl., § 92 Anm. 5 b und 16 b).

Die Revision hat aber keinen Erfolg. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß der angefochtenen Pfändungsverfügung des im Wege der Amtshilfe um Vollstreckung ersuchten HZA eine materiell wirksame Aufforderung zur Leistung durch das Bundesamt vorangegangen ist.

Im Streitfall handelt es sich nicht um die Beitreibung von Steuern nach § 1 AO, sondern um die Vollstreckung von Beiträgen nach dem Absatzfondsgesetz. Der Absatzförderungsfonds ist gemäß § 1 des Absatzsfondsgesetzes als Anstalt des öffentlichen Rechts errichtet worden. Bei den Beiträgen, die gemäß § 10 Abs. 8 dieses Gesetzes erhoben werden, handelt es sich deshalb um öffentlichrechtliche Geldforderungen im Sinne des § 1 Abs. 1 VwVG vom 27. April 1953 (BGBl I 1953, 157). Sie gehören, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, zu den bevorrechtigten Forderungen im Sinne des § 61 Abs. 1 Nr. 3 KO mit der Folge, daß der Absatzförderungsfonds als Anstalt des öffentlichen Rechts nicht zu den Vergleichsgläubigern gehört (§ 26 Abs. 1 VglO) und daß aus den Beitragsforderungen ohne die Beschränkungen der §§ 82 und 85 VglO vollstreckt werden kann. Für die Vollstrekkung solcher Geldforderungen ist das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz maßgebend. Im ersten Abschnitt dieses Gesetzes (Vollstreckung wegen Geldforderungen) ist u. a. geregelt, wer als Vollstreckungsschuldner in Anspruch genommen werden kann (§ 2 VwVG) und welche tatbestandlichen Voraussetzungen vor der Einleitung der Vollstreckung erfüllt sein müssen (§ 3 VwVG). Nach Abs. 4 der letztgenannten Vorschrift wird die Vollstrekkungsanordnung von der Behörde erlassen, die den Anspruch geltend machen darf. Das ist nach § 1 Nr. 3 der Verordnung über die Beiträge nach § 10 Abs. 8 des Absatzfondsgesetzes vom 29. April 1970 (BGBl I 1970, 445) das Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft. Soweit in § 5 VwVG bestimmt ist, daß sich das Verwaltungszwangsverfahren nach den Vorschriften der Reichsabgabenordnung (§§ 325-373, 378-381) richtet, wenn, wie im Streitfall, die Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung die zuständigen Vollstreckungsbehörden sind (§ 4 Buchst. b VwVG), betrifft dies nur die Durchführung der Vollstreckung, z. B. die Pfändung von Forderungen. Die in den §§ 2 und 3 VwVG geregelten und von der Anordnungsbehörde zu beachtenden Voraussetzungen für die Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen bleiben von dieser Verweisung unberührt.

Nach § 3 VwVG wird die Vollstreckung gegen den Vollstreckungsschuldner durch Vollstreckungsanordnung eingeleitet. Voraussetzung dafür ist u. a. , daß dem Schuldner ein Leistungsbescheid bekanntgegeben wird, durch den er zur Leistung aufgefordert wird, und daß seit der Bekanntgabe des Leistungsbescheids eine Woche abgelaufen ist (§ 3 Abs. 2 Buchst. a [c] VwVG). Dieser Leistungsbescheid beinhaltet materiell das in § 326 Abs. 3 Nr. 1 AO vorgeschriebene Leistungsgebot.

Ein solcher Leistungsbescheid ist im Streitfall unbestritten zusammen mit dem Beitragsbescheid vom 14. Juli 1971 gegen die KG als Vollstreckungsschuldnerin (vgl. § 2 Abs. 1 Buchst. a VwVG) ergangen. Die KG ist von der zuständigen Anordnungsbehörde, dem Bundesamt, im Beitragsbescheid aufgefordert worden, den Betrag von 87 003,52 DM innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Bescheides zu überweisen. Auch wenn der Kläger bereits vor Ergehen des Bescheids zum Sachwalter bestellt worden war, blieb Schuldnerin der nach dem Absatzfondsgesetz in Verbindung mit der Verordnung über die Beiträge nach § 10 Abs. 8 dieses Gesetzes (a. a. O.) entstandenen Beiträge die KG.

Im Streitfall bildet der an die KG als die eigentliche Vollstreckungsschuldnerin gerichtete Leistungsbescheid aber keine ausreichende rechtliche Grundlage, die Forderung des Beigeladenen auf Zahlung von Absatzfondsbeiträgen durch Pfändung der auf den Namen des Klägers lautenden, materiell aber den Vergleichsschuldnern gehörenden Guthaben zu vollstrecken. Denn die Vergleichsschuldner hatten im Liquidationsvergleich das gesamte Gesellschaftsvermögen den Gläubigern zur Verwertung überlassen und sich verpflichtet, dem Kläger unwiderrufliche Vollmacht zur Verwaltung und Verwertung des Gesellschaftsvermögens zu erteilen, was unbestritten geschehen ist. Mangels Verfügungsbefugnis der KG konnte deshalb aus dem gegen sie ergangenen Leistungsbescheid nicht vollstreckt werden. Nur der Kläger als Sachwalter war in der Lage, die Zahlung aus den seiner Verwaltung und Verwertungsbefugnis unterliegenden Geldmitteln zu bewirken. Er gehört damit zu denjenigen Personen, die, weil sie - ohne Selbstschuldner oder Haftungsschuldner zu sein - zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet sind, dem Vollstrekkungsschuldner gleichgestellt werden (§ 2 Abs. 2 VwVG). Deshalb mußte gegen ihn ein Leistungsbescheid mit dem Inhalt, die Zwangsvollstreckung in das von ihm verwaltete Vermögen der KG zu dulden, ergehen (§ 2 Abs. 2, § 3 Abs. 2 Buchst. a VwVG).

Ein solcher Duldungsbescheid gegenüber dem Kläger als Sachwalter ist im Gegensatz zu seiner Auffassung auch ergangen, und zwar durch das Schreiben des Beigeladenen vom 20. Juli 1971. Darin ist der Kläger in seiner Eigenschaft als Sachwalter der KG unter Übersendung einer Fotokopie des Beitragsbescheids an die KG vom 14. Juli 1971 gebeten worden, die KG zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu veranlassen, den geschuldeten Betrag zu überweisen (vgl. dazu auch: M. v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze des Bundes und der Länder, neu herausgegeben von C. H. Ule, Band I Vewaltungsorganisation und Verwaltungsverfahren, 1962, VwVG § 3 Anm. II. 1, wo der Inhalt eines gegen den Duldungsschuldner ergehenden Leistungsbescheides ähnlich definiert ist). Da dem Kläger nach dem Liquidationsvergleich die unwiderrufliche Vollmacht zur Verwaltung und Verwertung des Gesellschaftsvermögens erteilt worden war, kann dieses Schreiben vernünftigerweise nur als ein an ihn als Sachwalter ergangener Leistungsbescheid im Sinne des § 3 Abs. 2 Buchst. a VwVG betrachtet werden. Zu einer solchen Auslegung besteht insbesondere im Hinblick darauf Anlaß, daß für Leistungsbescheide, ähnlich wie für Leistungsgebote gemäß § 326 Abs. 3 Nr. 1 AO, keine besondere Form vorgesehen ist und daß auch eine formlose Bekanntgabe genügt. Jedenfalls ist dem Wortlaut des § 3 VwVG nichts Gegenteiliges zu entnehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71915

BStBl II 1976, 581

BFHE 1976, 533

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