Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonstiges Berufsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, wann die Anforderungen in der schriftlichen Steuerberaterprüfung überspannt sind.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19/4, Art. 103/1; StBerG § 4/1, § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 9; DVStBerG §§ 11, 19

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Entscheidung des Prüfungsausschusses bei dem zuständigen Finanzminister (FM), nach welcher der Kläger die Steuerberaterprüfung 1963 nicht bestanden hat, rechtmäßig ergangen ist.

Der Kläger, ein Steuerbevollmächtigter, wurde vom Zulassungsausschuß beim FM im September 1963 zur Steuerberaterprüfung zugelassen. Der FM teilte dem Kläger im Schreiben vom 13. Januar 1964 u. a. mit, der Prüfungsausschuß habe seine Prüfungsarbeit aus den Gebieten des Einkommen- und des Körperschaftsteuerrechts mit "ungenügend", die Arbeiten aus den Gebieten des Umsatzsteuerrechts, der Einheitsbewertung und des Vermögensteuerrechts sowie aus dem Gebiet des Buchführungs- und Bilanzwesens mit "mangelhaft" bewertet; die Prüfung sei damit nicht bestanden, ohne daß es noch einer mündlichen Prüfung bedürfe.

Im Januar 1964 legte der Kläger Berufung ein. Er beantragte, die Verfügung des FM vom 13. Januar 1964 aufzuheben und festzustellen, daß sowohl bei der Aufgabenstellung als auch bei der Bewertung der schriftlichen Arbeiten nicht dem Gesetz gemäß verfahren worden sei.

Das FG wies die Berufung (Klage) als unbegründet zurück. Es ging davon aus, daß Prüfungsentscheidungen nur der beschränkten richterlichen Nachprüfung unterlägen. Die Prüfungsakten hätten nicht zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gemacht werden können, weil der FM - wozu er berechtigt gewesen sei - das Einverständnis zur Einsichtnahme durch den Kläger nicht erteilt habe. Eine überspannung der Prüfungsanforderungen liege nicht deshalb vor, weil nach dem Vortrag des Klägers nur einige Teilnehmer an der Steuerberaterprüfung die Prüfungsaufgaben in der zur Verfügung stehenden Zeit von je sechs Stunden hätten lösen können; denn von den Bewerbern hätten mehr als 50 v. H. die Prüfung bestanden. Die gleichen Aufgaben seien bei der Steuerberaterprüfung 1963 auch in anderen Bundesländern gestellt worden. Daß bei den Steuerberaterprüfungen erheblich höhere Anforderungen gestellt würden als bei Steuerbevollmächtigtenprüfungen, entspreche dem Steuerberatungsgesetz (StBerG). Die Behauptung des Klägers, die Aufgaben seien für die Prüfung zum Teil ungeeignet gewesen, werde u. a. ebenfalls durch den Umstand widerlegt, daß in dem betreffenden Land mehr als 50 v. H. der Bewerber die Prüfung bestanden hätten. Auch sonst seien Anhaltspunkte für sachfremde Erwägungen der Prüfer im Streitfall nicht gegeben. Der Umstand, daß in dem betreffenden Land ein erheblich höherer Prozentsatz von Bewerbern die Steuerberaterprüfung nicht bestanden habe als in anderen Bundesländern, gestatte allein noch keinen Schluß, daß ein gerichtlich nachprüfbarer Fehler der Prüfung vorliege. Erfahrungsgemäß spiele die zufällige Zusammensetzung des Bewerberkreises für das Gesamtergebnis einer Prüfung eine große Rolle. Es sei auch weder rechtlich noch tatsächlich auszuschließen, daß bestimmte Prüfungsausschüsse strenger urteilen als andere; nur müßten sich die strengeren Anforderungen in vertretbarem Rahmen halten. Der Prüfungsausschuß habe nicht einen Ermessens-, sondern einen Beurteilungsspielraum; die Prüfenden hätten das objektiv richtige Urteil zu suchen.

Seine nunmehr als Revision zu behandelnde Rb. stützt der Kläger auf wesentliche Verfahrensmängel und Verletzung von Rechtsnormen. Er macht insbesondere geltend: Das FG habe den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt. Es sei nicht zutreffend, daß der FM berechtigt gewesen sei, das Einverständnis zu der Einsichtnahme in die Prüfungsakten zu verweigern; die Prüfungsakten hätten vielmehr zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens und auch ihm zugänglich gemacht werden müssen; andernfalls würden Sachaufklärung und richtige Rechtsfindung verhindert. Zwecks Nachprüfung, ob bei der Prüfung von falschen Tatsachen ausgegangen sei, allgemeine Bewertungsmaßstäbe verletzt worden seien oder sachfremde Erwägungen obgewaltet hätten, hätten die Akten in dieser Richtung überprüft werden müssen; gegebenenfalls seien die Mitglieder des Prüfungsausschusses zu hören oder Stellungnahmen von Sachverständigen einzufordern gewesen. Das FG habe die ihm vorgelegten Musterlösungen nicht ausgewertet. Auch die Einhaltung von Verfahrensbestimmungen habe das FG nicht den Vorschriften gemäß geprüft; so sei § 11 der Verordnung zur Durchführung des Steuerberatungsgesetzes (DVStBerG) verletzt worden, weil auch das D-Mark-Bilanzgesetz (DMBG) zum Gegenstand der schriftlichen Prüfung gemacht worden sei. Die Prüfungsanforderungen seien sowohl hinsichtlich der schriftlichen Aufgaben wie hinsichtlich der Bewertung der Arbeiten überspannt gewesen; die Anforderungen bei der Steuerberaterprüfung 1963 seien in keinem anderen Lande der Bundesrepublik entfernt so hoch gewesen. Etwa 45 v. H. der Bewerber hätten 1962/63 in diesem Lande die Prüfung nicht bestanden. Dabei sei noch zu berücksichtigen, daß viele Bewerber die Prüfung ein oder mehrere Male wiederholt hätten; entscheidend sei aber "die Ausfallquote für die erstmalig an der Prüfung Teilnehmenden". Durch diese "Methode" sachfremder Prüfung, insbesondere zu strenger Bewertung, würden die Art. 2, 3, 12 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) verletzt. Auch das FG überspanne die Anforderungen an die Steuerberaterprüfung. Wenn das FG auf die unterschiedliche Vorbildung der Steuerberater und der Steuerbevollmächtigten hinweise, so sei dem entgegenzuhalten, daß es sich nach dem StBerG "praktisch um einen Berufsstand mit zwei Berufsbezeichnungen" handle.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Rechtswidrigkeit des Bescheides des FM vom 13. Januar 1964 festzustellen, hilfsweise: die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, ferner dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

Der beklagte FM hält die Vorentscheidung für zutreffend. Er beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen und dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG.

Zu Recht macht der Kläger geltend, die Prüfungsakten hätten ihm zur Einsichtnahme zugänglich gemacht und zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gemacht werden müssen. Hierzu wird auf die Begründung in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil des erkennenden Senats VII 264/63 vom 2. August 1967, BStBl 67 III S. 579, Bezug genommen. Der Verfahrensmangel ist wesentlich; denn ein vorschriftsmäßiges Verfahren hätte zu einer anderen Entscheidung führen können. Die Vorentscheidung kann deshalb nicht aufrechterhalten werden. Die Sache wird, nachdem dem Kläger Einsicht in die Prüfungsakten gewährt worden ist, unter Berücksichtigung auch dieser Akten vom FG erneut zu prüfen und zu entscheiden sein.

Für die weitere Behandlung der Sache durch das FG wird zu beachten sein: Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, daß Prüfungsentscheidungen auch in Steuerberatungssachen nur beschränkt nachprüfbar sind. Dies folgt aus dem Wesen der Prüfungsentscheidungen und daraus, daß die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit der Prüfenden in größtmöglichem Umfang gewahrt werden müsse. Die Prüfungsentscheidungen sind daher nur hinsichtlich folgender Fragen nachprüfbar: ob die Prüfenden von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen sind, ob sachfremden Erwägungen Raum gegeben worden ist, insbesondere auch, ob die Prüfungsanforderungen (in bezug auf Aufgabenstellung und auf Bewertung der Arbeiten) überspannt worden sind, ob sonst allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe außer acht gelassen worden sind und ob sonst die Verfahrensbestimmungen zu der Prüfung eingehalten wurden.

Wenn der Kläger geltend macht, die Verfahrensvorschriften des § 11 DVStBerG seien nicht beachtet worden, so vermag der Senat ihm hierin nicht zu folgen. § 11 Abs. 1 Nr. 1 und 3 Buchst. a DVStBerG gibt als Prüfungsgebiete nicht nur einzelne Gesetze an, sondern er bezeichnet auch umfassendere Gebiete; das Recht des DMBG fällt u. a. unter das "Recht der Einkommensteuer" und unter "Buchführung und Bilanzwesen". Im übrigen gestattet § 11 Abs. 3 Satz 2 DVStBerG, daß die Klausurarbeiten "sich daneben auf andere Prüfungsgebiete erstrecken".

In der Frage überspannter Prüfungsanforderungen (in bezug auf Aufgabenstellung und auf Bewertung der Arbeiten) hat das FG aus allgemeinen Erwägungen heraus keine näheren Ermittlungen angestellt, insbesondere die Mitglieder des Prüfungsausschusses oder der Prüfungsausschüsse bei dem FM nicht als Zeugen gehört. Auch in dieser Richtung bestehen Bedenken. Es ist zwar zuzugeben, daß in einem Fall, in dem ein Betroffener Klage erhebt mit der Behauptung, die Prüfungsentscheidung sei rechtswidrig, weil überspannte Anforderungen gestellt worden seien, ohne daß er substantiierte Angaben macht, nicht etwa umfangreiche Ermittlungen darüber angestellt werden müßten, ob die Prüfungsanforderungen wirklich überspannt gewesen seien. Im Regelfall kann vielmehr davon ausgegangen werden, daß die mit der Abhaltung von Prüfungen betrauten Personen auch geeignet und erfahren sind, und daß geeignete Prüfungsaufgaben nach § 15 Abs. 1 DVStBerG gestellt werden. Wird von einem Kläger etwas anderes behauptet, so muß er substantiierte Angaben machen. Sind diese Angaben nicht von der Hand zu weisen, so muß das FG aber auch die erforderlichen Ermittlungen anstellen. Darin hat der Kläger recht. Er hat im vorliegenden Fall nicht nur behauptet, daß die Prüfungsanforderungen überspannt gewesen seien; er hat sich vielmehr für die Prüfung 1962/63 auch auf den Aufsatz eines Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters im Steuerberater 1963 S. 144/145 berufen, der seit Jahren dem Prüfungsausschuß für Steuerberater angehört. Er hat geltend gemacht, die in dem Aufsatz gerügten Mängel hätten auch bei der Prüfung 1963 bestanden. Für die Behauptung der überspannung der Prüfungsanforderungen hat er sich auf die sehr hohe "Ausfallquote" bezogen, d. h. die gegenüber allen anderen Ländern der Bundesrepublik unverhältnismäßig große Zahl der Bewerber, welche die Steuerberaterprüfung nicht bestanden hätten; diese "Ausfallquote" habe in dem betreffenden Lande rund 45 v. H. betragen. Damit hat der Kläger im Streitfall seine Behauptungen in genügend substantiierter Weise vorgetragen. Das FG hätte somit Ermittlungen anstellen müssen. Es trifft zwar zu, daß Zufälligkeiten und besondere Umstände für das Gesamtergebnis einer Prüfung eine gewisse Rolle spielen können. Es läßt sich auch nicht vermeiden, daß gewisse Unterschiede in den Anforderungen der einzelnen Prüfungsausschüsse, auch der einzelnen Prüfungsausschüsse der einzelnen Länder der Bundesrepublik Deutschland, bestehen. Aber das alles hat Grenzen. Diese Grenzen müssen noch nicht überschritten sein, wenn in einer Prüfung etwa 45 v. H. der Bewerber die Prüfung nicht bestehen. Anders läge es, wenn sich dieser Prozentsatz nachhaltig mehrere Jahre hindurch ergäbe. Das FG wird also zu ermitteln haben, wie viele Bewerber je in den Steuerberaterprüfungen der Jahre 1961, 1962 und 1963 in dem betreffenden Land sich zu diesen Prüfungen gemeldet hatten, wie viele die Prüfung nicht bestanden haben, sowie wie viele von den Bewerbern, die sich jeweils zu diesen Prüfungen gemeldet hatten, Erstbewerber waren und wie viele "Wiederholer", ferner wie viele derjenigen, die jeweils diese Prüfungen bestanden haben, "Wiederholer" waren. Das FG wird ferner zum Vergleich zu ermitteln haben, wie viele Bewerber für die Steuerberaterprüfungen sich in den Jahren 1961, 1962 und 1963 - ebenfalls für jedes dieser Jahre getrennt - in den anderen Ländern der Bundesrepublik gemeldet hatten und wie viele davon die Prüfung nicht bestanden haben. Sollte in dem betreffenden Land der Prozentsatz derjenigen Erstbewerber um die Zulassung für die Steuerberaterprüfungen 1961, 1962 und 1963, der die Steuerberaterprüfung bestanden hat, in allen diesen drei Prüfungen unter 50 v. H. der Erstbewerber liegen, so müßten die Prüfungsanforderungen (entweder hinsichtlich der gestellten Aufgaben oder hinsichtlich der Bewertung der Arbeiten) als überspannt angesehen werden, um so mehr, als in dem Aufsatz im Steuerberater 1963 S. 144 von einem Mitglied des Prüfungsausschusses für Steuerberater erhebliche Mängel aufgezeigt worden sind (vgl. unter c) aa) und bb): "Es ergab sich, daß diese Aufgabe, zusammen mit den beiden übrigen, jedoch soviel Arbeitszeit in Anspruch nahm, daß es kaum einem Kandidaten möglich war, alle gestellten Aufgaben in der geforderten Form zu bewältigen" und "Die Aufgabe war in ihrem Ansatzpunkt aber schon so mißlungen und in der Darstellung so unklar und verwirrend gestellt, daß die Kandidaten vielfach den eigentlichen Sinn der Aufgabe gar nicht erkennen konnten"). Es wird festzustellen sein, ob diese Mängel etwa auch nur annähernd für die Prüfungsaufgaben der Steuerberaterprüfung 1963 zutreffen. Gegebenenfalls werden die damaligen Mitglieder der drei Prüfungsausschüsse für Steuerberater bei dem FM in dem betreffenden Land vom FG als Zeugen zu hören sein. Der FM hat erklärt, daß die Prüfungsaufgaben für die Steuerberaterprüfung 1963 noch nicht in sämtlichen Ländern der Bundesrepublik einheitlich gestellt worden seien; ggf. wird auch aufzuklären sein, ob diese Behauptung des FM zutrifft. Dieser Gesichtspunkt kann eine Rolle spielen bei der Frage der gegenüber anderen Ländern etwa ungleich schwer (zu schwer) gestellten Prüfungsaufgaben. Etwa überspannte Prüfungsanforderungen in bezug auf Schwere und Umfang der gestellten Prüfungsaufgaben entsprächen nicht dem Art. 3 Abs. 1 GG. Sie würden im Streitfall dazu führen, daß die Entscheidung des Prüfungsausschusses, daß die Steuerberaterprüfung 1963 des Klägers nicht bestanden sei, als rechtswidrig aufzuheben wäre. Dem Kläger müßte dann Gelegenheit gegeben werden, erneut drei Prüfungsarbeiten zu schreiben, bei denen die Anforderungen nicht zu hoch gespannt würden. Je nach dem Ausfall der Arbeiten müßte der Kläger ggf. zur mündlichen Prüfung zugelassen werden.

Die Prüfungsaufgaben müssen so gestellt sein, daß ein Bewerber, der gut durchschnittlich befähigt ist, in der Lage ist, die Arbeiten mit positivem Erfolg vollständig zu schreiben. Der Senat vermag der Meinung des FM nicht darin zu folgen, daß, wenn sehr schwierige Prüfungsaufgaben gestellt würden, es ausreiche, die Arbeit entsprechend milder zu benoten; dies besonders deshalb nicht, weil es sich auch nicht immer nachprüfen läßt, ob Die Arbeit entsprechend milder benotet worden ist. Es ist zutreffend, daß bei der Steuerberaterprüfung erhebliche Anforderungen gestellt werden können, da § 5 Abs. 1 Nr. 1 StBerG als Vorbildung für die Zulassung als Steuerberater u. a. grundsätzlich ein wirtschaftswissenschaftliches oder rechtswissenschaftliches abgeschlossenes Hochschulstudium voraussetzt. Das darf jedoch nicht zur übersteigerung der Anforderungen führen.

Die Zurückverweisung der Sache an das FG beruht auf § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO, die übertragung der Entscheidung über die Kosten an das FG auf § 143 Abs. 2 FGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 140 Abs. 3 FGO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412773

BStBl III 1967, 712

BFHE 1967, 504

BFHE 89, 504

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