Leitsatz (amtlich)

Erläßt im Lande Bremen das FA einen Bescheid in einer Kirchensteuererlaßsache, für den nicht das FA, sondern die Kirchenbehörde zuständig ist, so ist der Finanzrechtsweg gegeben, soweit die Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

 

Normenkette

Steuerordnung für die Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften vom 9. November 1922 i.d.F. der Verordnung vom 3. März 1932 (Sammlung des bremischen Rechts 61-d-1) § 2 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), Eheleute, stellten beim Beklagten und Revisionskläger (FA) den Antrag auf Erlaß von Kircheneinkommensteuer für die Jahre 1961 bis 1967 in Höhe von insgesamt 15 986,93 DM nach § 131 AO. Zur Begründung trugen sie vor, sie hätten steuerbegünstigte Gewinnanteile nach § 34 Abs. 1 und § 34 c Abs. 4 EStG bezogen. Bei der Berechnung der Kirchensteuer habe das FA die sogenannte Kappungsvorschrift (4 v. H. bzw. ab 1966 3 v. H. der unteren Grenze der Einkommensstufe der Einkommensteuertabelle als Höchstbetrag der Kirchensteuer) angewendet. Das habe dazu geführt, daß die Einkommensteuerermäßigung für die begünstigten Einkünfte sich auf die Kirchensteuer nicht ausgewirkt habe. Darin liege eine sachliche Härte. Soweit die Kirchensteuer auf steuerbegünstigte Einkünfte entfalle, dürfe sie nur mit dem halben Höchstbetrag erhoben werden.

Das FA leitete den Antrag an die Bremische Evangelische Kirche (BEK) weiter. Diese lehnte ihn mit Schreiben an die Kläger ab. Nachdem die Kläger einen förmlichen Bescheid hierüber erbeten hatten, erteilte das FA auf Veranlassung der BEK einen Bescheid mit Rechtsbehelfsbelehrung über die Ablehnung des Erlaßantrags. Die Beschwerde hiergegen wies die OFD Bremen als unzulässig zurück und führte als Begründung an, daß der Finanzrechtsweg nicht gegeben sei, weil nicht das FA, sondern die BEK für den Erlaß der Kircheneinkommensteuer zuständig sei.

Mit der Klage begehrten die Kläger, die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben. Die Klage hatte Erfolg. Das FG führte u. a. aus: Der Finanzrechtsweg sei nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO i. V. mit Art. 6 des Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung vom 23. Dezember 1965 - AGFGO - (BStBl II 1966, 97) gegeben. Für den beantragten Erlaß von Kircheneinkommensteuer sei neben der BEK auch die Finanzverwaltung des Landes Bremen zuständig. Die OFD habe daher die Beschwerde der Kläger zu Unrecht als unzulässig verworfen. Ihre Entscheidung sei daher aufzuheben. Das FG könne indessen ohne eine sachliche Vorentscheidung der OFD selbst nicht sachlich entscheiden, da den Klägern andernfalls eine Instanz verlorengehe. Die OFD müsse daher nunmehr sachlich über die Beschwerde der Kläger gegen die Ablehnung des Erlaßantrags entscheiden. Gegen dieses Urteil sei ein Rechtsmittel nicht gegeben. Denn nach § 2 der Steuerordnung für die Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen - Steuerordnung - vom 9. November 1922 i. d. F. der Verordnung vom 3. März 1932 (Sammlung des bremischen Rechts 61-d-1) i. V. mit dem Erlaß des RdF vom 13. Februar 1923 - III B - 60 - sei in Kirchensteuersachen der Rechtsmittelzug beim FG beendet.

Mit der Revision trägt das FA u. a. vor: Art. 6 AGFGO eröffne ausdrücklich den Finanzrechtsweg und nicht nur - wie das FG meine - den Rechtsweg zum FG. Der Finanzrechtsweg schließe aber die Anrufung des BFH ein. Etwas anderes ergebe sich nur, wenn der Landesgesetzgeber die Vorschriften über die Revision für nicht anwendbar erklärt habe. Dies sei aber im Streitfall nicht geschehen. Die Entscheidung des FG sei auch in der Sache unzutreffend. Die Finanzverwaltungsbehörden seien für die Entscheidung über den Erlaß von Kircheneinkommensteuer nicht zuständig, wenn ausschließlich der Erlaß von Kircheneinkommensteuer erstrebt werde.

Der Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen ist dem Verfahren beigetreten. In seiner Stellungnahme gelangt er zu dem Ergebnis, daß für das bremische Kirchensteuerrecht grundsätzlich der Finanzrechtsweg eröffnet und auch die Revisibilität der landesrechtlichen Vorschriften (einschließlich der Kirchengesetze) gegeben ist. Er hält jedoch für die Entscheidung über den vorliegenden Erlaßantrag den Finanzrechtsweg deshalb nicht für gegeben, weil die Verwaltung der Kirchensteuer den Landesfinanzbehörden insoweit nicht übertragen worden sei, als Erlaß von Kirchensteuer allein oder in einem weiteren Umfang, als ein Erlaß von Einkommensteuer begehrt wird, beantragt werde.

Die Stellungnahme des Senators für Finanzen stimmt im wesentlichen mit seiner Stellungnahme in dem Urteil vom 24. Oktober 1975 VI R 123/72 (BStBl II 1976, 101) überein. Hierauf wird Bezug genommen. Zusätzlich führt er folgendes aus: Der Erlaß des RdF vom 13. Februar 1923 bestimme in Nr. 4 Satz 1, daß über Stundungsund Erlaßanträge die Kirchengemeinden entscheiden. Diese Regelung korrespondiere mit der Vorschrift des § 2 Abs. 2 der Steuerordnung vom 9. November 1922 und mit § 5 des von der BEK erlassenen Gesetzes betreffend Erhebung einer Kirchensteuer im Gebiet der Bremischen Evangelischen Kirche vom 2. März 1932 (verkündet in dem Amtsblatt der Bremischen Evangelischen Kirche "Gesetze, Verordnungen und Mitteilungen - GVM -" 1932 Nr. 2 Z. 1) i. d. F. der kirchlichen Änderungsgesetze vom 26. Februar 1954 (GVM 1954 Nr. 1 Z. 2), vom 1. März 1957 (GVM 1957 Nr. 1 Z. 1) und vom 28. November 1958 (GVM 1958 Nr. 3 Z. 7). Auf Grund dieser Regelungen sei die Verwaltungskompetenz der Landesfinanzbehörden für die Kirchensteuer insoweit eingeschränkt gewesen, als sie zum Erlaß von Kirchensteuer nicht befugt war. Durch Ziff. II/9 der Verfügung des Oberfinanzpräsidenten Weser-Ems in Bremen vom 15. März 1938 - S 2270 - S II 3 - sei eine Änderung dahingehend eingetreten, daß die Zuständigkeit zum Erlaß von Kirchensteuer in den Fällen und in dem Umfang, in dem ein Erlaß von Einkommensteuer begehrt wird, auf die Finanzverwaltung übertragen worden sei. Soweit Erlaß von Kirchensteuer allein oder in einem weiteren Umfang als zur Einkommensteuer begehrt werde, sei die ausschließliche Zuständigkeit der kirchlichen Behörden nicht berührt worden. Dieser Rechtszustand sei zum Inhalt des § 10 Abs. 5 des Bremischen Abgabengesetzes vom 15. Mai 1962 (BStBl II 1962, 168) geworden. Eine Verpflichtung der Finanzverwaltungsbehörden zur Entscheidung über Anträge auf Erlaß der Kirchensteuer könne auch nicht unmittelbar aus § 2 Abs. 1 und § 4 des Bremischen Abgabengesetzes hergeleitet werden. Der Anwendungsbereich des genannten § 2 Abs. 1 sei auf die nicht der Bundesgesetzgebung unterliegenden Abgaben beschränkt, die von Landesfinanzbehörden oder von Steuerbehörden der Gemeinden verwaltet werden. Für die landesrechtlich geregelte Kirchensteuer gelte dies mit den sich aus § 3 Abs. 1 und § 10 Abs. 5 des Bremischen Abgabengesetzes ergebenden, vorstehend dargelegten Einschränkungen bezüglich der Verwaltungskompetenz der Landesfinanzbehörden. Soweit sich die Kirchenbehörden die Zuständigkeit für die Entscheidung über Anträge auf Erlaß von Kirchensteuer vorbehalten hätten, sei § 2 Abs. 1 des Bremischen Abgabengesetzes nicht anwendbar.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist zulässig.

Der Finanzrechtsweg ist gegeben, soweit die Kläger die Aufhebung des ihren Erlaßantrag ablehnenden Bescheides des FA begehren. Nach Art. 6 AGFGO i. V. mit § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO ist der Finanzrechtsweg eröffnet in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes nicht unterliegen und durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Zwar hat der Senator für Finanzen Bremen dargelegt, daß den FÄ die Zuständigkeit zum Erlaß von Kirchensteuer nur in den Fällen und in dem Umfang, in dem ein Erlaß von Einkommensteuer begehrt wird, übertragen worden ist. Soweit also, wie im Streitfall, Erlaß von Kirchensteuer allein oder in einem weiteren Umfang als zur Einkommensteuer begehrt wird, sind ausschließlich die kirchlichen Behörden zuständig. Im Streitfall hat jedoch tatsächlich das FA, obwohl es nicht zuständig war, eine formelle Entscheidung getroffen. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Entscheidung nichtig oder nur anfechtbar ist; denn es entspricht ständiger Rechtsprechung und auch der Auffassung in der Literatur, daß auch ein nichtiger Verwaltungsakt den Schein der Rechtswirksamkeit für sich hat und daß er mit Rechtsbehelfen angegriffen und damit auch formell wieder beseitigt werden kann (Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Finanzgerichtsordnung und den Nebengesetzen, § 40 FGO Anm. 43 - Lieferung 71 Juli 1972 - mit weiteren Nachweisen). Für die Frage des Rechtswegs sieht es der Senat als entscheidend an, daß das FA den streitigen Bescheid lediglich unter Überschreitung der ihm sonst grundsätzlich zustehenden Verwaltungskompetenz in Kirchensteuerfragen erlassen hat, daß also seine Tätigkeit nicht völlig aus dem Rahmen seiner allgemeinen Zuständigkeit herausfällt. In Fällen dieser Art muß jedenfalls die Beseitigung eines anfechtbaren oder nichtigen Verwaltungsakts in dem Rechtswege möglich sein, der bei Akten des FA im Rahmen seiner allgemeinen kirchensteuerrechtlichen Zuständigkeit gegeben wäre. Das ist der Finanzrechtsweg. Aus ähnlichen Überlegungen hat der Senat schon im Urteil vom 20. Oktober 1972 VI R 56/69 (BFHE 107, 349, BStBl II 1973, 170) den Finanzrechtsweg für gegeben erachtet, wenn ein Arbeitnehmer, der keiner kirchensteuererhebungsberechtigten Religionsgemeinschaft angehört, die Erstattung von Kirchensteuer begehrt, die rechtswidrig von seinem Arbeitslohn einbehalten worden ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob darüber hinaus die Beseitigung des Verwaltungsakts auch im Verwaltungsrechtsweg erreicht werden könnte, der z. B. durch § 8 Abs. 3 des (staatlichen) Kirchensteuergesetzes vom 18. Dezember 1974 (BStBl I 1975, 172) eröffnet worden ist. Eine endgültige Entscheidung über den Erlaßantrag kann jedoch nur im Verwaltungsrechtsweg herbeigeführt werden.

Die Anwendung der landesrechtlichen Vorschriften über die Kirchensteuer und der auf diesen beruhenden kirchenrechtlichen Vorschriften unterliegt der Nachprüfung durch den BFH im Revisionsverfahren. Der BFH leitet die Revisibilität aus § 7 Abs. 1 des (staatlichen) Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, andere Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgesellschaften in der Freien Hansestadt Bremen - Kirchensteuergesetz - vom 18. Dezember 1974 (BGBl I 1975, 172) ab, wie im Urteil VI R 123/72 im einzelnen dargelegt ist. Auf die Begründung dieser Entscheidung wird insoweit verwiesen.

Die Revision führt in der Sache zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils, der Beschwerdeentscheidung und des Bescheids des FA. Der Senat gelangt mit dem Senator für Finanzen zu dem Ergebnis, daß eine Zuständigkeit des FA für die Entscheidung über den Erlaßantrag nicht besteht, sondern daß darüber allein die Kirchenbehörde zu entscheiden hat. Das FG hat bei seiner Entscheidung übersehen, daß auch bei einer Verpflichtungsklage Gegenstand der Klage nach einem Vorverfahren der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt ist, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat. Abweichend von dem Wortlaut des § 44 Abs. 2 FGO, aber in Übereinstimmung mit dem Sinn dieser Vorschrift und ihrem Zusammenhang mit § 44 Abs. 1 FGO muß davon ausgegangen werden, daß die in § 44 Abs. 2 FGO nur für die Anfechtungsklage ausgesprochenen Grundsätze auch für Verpflichtungsklagen gelten (Kommentar von Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O. § 44 Anm. 26 - Lieferung 75, September 1973 -). Schon das FG hätte deshalb auch über den Bescheid des FA befinden und diesen aufheben müssen. Dies hatte der Senat nachzuholen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71703

BStBl II 1976, 99

BFHE 1976, 327

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