Leitsatz (amtlich)
1. Weder die allgemeine Gewährung des Rechtswegs gegen Akte der öffentlichen Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG) noch übergeordnete aus Art. 12 Abs. 1 GG herzuleitende Grundsätze gebieten es, daß die Niederschrift über den mündlichen Teil einer Steuerbevollmächtigtenprüfung die Fragen der Prüfer und die Antworten der Prüflinge wiedergeben muß.
2. Es sind keine rechtsstaatlichen Gründe ersichtlich, die es verböten, daß bei der Begutachtung der Klausurarbeiten der zweite Prüfer nach eigener Durchsicht der Prüfungsarbeit sich der Bewertung des ersten Prüfers anschließt und nur dort von ihr abweicht, wo es seiner Ansicht nach angebracht ist.
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; DVStBerG § 19 Abs. 1 S. 2, § 25 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte im Jahre 1970 an der Steuerbevollmächtigtenprüfung teilgenommen. Von den drei schriftlichen Arbeiten waren zwei mit ausreichend (4) und eine mit befriedigend (3) bewertet worden. In der mündlichen Prüfung hatte der Kläger viermal die Note mangelhaft (5) und einmal - für den mündlichen Vortrag - die Note ausreichend (4) erhalten. Bei einer Durchschnittsnote von 4,23 wurde die Prüfung vom Prüfungsausschuß der Beklagten und Revisionsbeklagten (OFD) für nicht bestanden erklärt. Der Kläger erhob nach erfolgloser Beschwerde Klage mit der Begründung, das Protokoll über die mündliche Prüfung entspreche nicht den Anforderungen, die an eine Niederschrift gestellt werden müßten. Bei der Beurteilung seiner schriftlichen Arbeiten seien zwei Prüfer zur gleichen Punktzahl gekommen. Daraus lasse sich schließen, daß sie seine Arbeit nur pauschal bewertet hätten.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Zur Begründung seiner Revision führt der Kläger aus:
§ 25 DVStBerG verlange eine Niederschrift über die Prüfung. Enthalte das Protokoll nur die in Abs. 1 Nr. 1 bis 3 dieser Vorschrift erforderlichen Angaben, könne schon nach einfachem Sprachgebrauch nicht von einer Niederschrift über eine Prüfung gesprochen werden. Eine Niederschrift über den Ablauf der Prüfung solle dem Prüfer und dem Prüfling die Möglichkeit verschaffen, zu einem einigermaßen sicheren Ergebnis bei der Beurteilung der Prüfungsleistungen zu gelangen. Ein Prüfer sei überfordert, wenn er eine abschließende Beurteilung der Leistungen des Prüflings nur aus dem Gedächtnis vorzunehmen hätte. Es sei zumutbar und auch möglich, schon vor der mündlichen Prüfung die zu stellenden Fragen in ein vorbereitetes Protokoll aufzunehmen und später bei der Beantwortung der Prüfungsfragen durch den Prüfling entsprechende Vermerke und Noten in dieses Protokoll aufzunehmen. Am Ende einer mehrstündigen Prüfung könne ein sog. Resümee gebildet werden. Käme es unter den Prüfern zu Meinungsverschiedenheiten über die Beurteilung der Leistungen eines Prüflings, so könne derjenige, der diese Leistungen positiv oder negativ bewerten möchte, an Hand seiner Aufzeichnungen seine Meinung unter Hinweis auf die Notizen rechtfertigen. Es könne einfach nicht richtig sein, daß in diesem wichtigen Teil einer mündlichen Prüfung die Beurteilung letztlich davon abhänge, über welche Gedächtnisqualitäten die Prüfer verfügten und inwieweit sie in der Lage seien, sich bei dem Gespräch über die Beurteilung durch bloße mündliche, also nicht durch schriftliche Aufzeichnungen zu belegende, Argumentation durchzusetzen. Die Prüfer könnten in einer Niederschrift Zwischennoten und Zwischenbeurteilungen abgeben, die bei der Bildung des Gesamteindrucks herangezogen werden könnten. Würden die Prüfer die Fragen oder Fragenkomplexe in der Niederschrift festhalten, könnten sie auch die Reaktion des Prüflings bewerten, wobei es keineswegs notwendig sei, daß dieser mit "Ja" oder mit einem einzelnen Satz zu antworten hätte, vielmehr lasse sich auch die Leistung eines Prüflings im Rahmen einer Diskussion über eine Einzelfrage oder zumindest über einen Fragenkomplex recht gut benoten.
Die Prüfungskommission habe auch gegen § 19 DVStBerG verstoßen. Die Arbeiten des Klägers seien nicht von mindestens zwei Mitgliedern des Prüfungsausschusses begutachtet worden. Eine Begutachtung im Sinne dieser Bestimmung setze ein selbständiges Urteil voraus. Der zweite Gutachter habe sich dem ersten ohne eigene Meinungsbildung angeschlossen. Anders lasse sich bei der differenzierten Punktbewertung der Umstand nicht erklären, daß beide Prüfer zur gleichen Punktzahl gelangt seien. Bei der hier vorliegenden Materie sei es ausgeschlossen, Fragen zu stellen, die konkret nur eine Lösung zuließen.
Entscheidungsgründe
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
Die Einwendungen des Klägers gegen die Niederschrift über die mündliche Steuerbevollmächtigtenprüfung sind nicht begründet. Selbst wenn man der Ansicht folgen könnte, daß in dieser Niederschrift mehr als nur die in § 25 Abs. 1 DVStBerG geforderten Angaben enthalten sein müssen, ist nicht zu erkennen, inwiefern dadurch der Ausfall der Prüfung des Klägers beeinflußt worden ist. Gesetzt den Fall, es wären alle an den Kläger gerichteten Fragen und seine Antworten sowie etwaige Bemerkungen der Prüfer hierzu in der Niederschrift festgehalten, hätten die Gerichte zwar eine bessere Übersicht über die an den Kläger gestellten Anforderungen und seine Leistungen. Sie könnten sich aber nicht an die Stelle des Prüfungsausschusses setzen und von sich aus die Leistungen des Prüflings völlig neu und möglicherweise abweichend vom Prüfungsausschuß bewerten. Der erkennende Senat hat in Übereinstimmung mit dem BVerwG in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, daß es dem Wesen der Prüfung und der Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit der Prüfenden entspricht, wenn dem Prüfungsausschuß ein Beurteilungsspielraum zugebilligt wird. Prüfungsentscheidungen beinhalten pädagogische Wertungen über geistige Leistungen; werden solche Leistungen von verschiedenen Stellen unabhängig voneinander bewertet, kann die Bewertung durchaus unterschiedlich ausfallen, ohne daß gesagt werden könnte, eine dieser Wertungen müsse unbedingt falsch sein. Aus diesem Grund hat der erkennende Senat mehrfach hervorgehoben, daß Prüfungsentscheidungen gerichtlich nur begrenzt nachprüfbar sind. Die Gerichte können lediglich darüber befinden, ob die Prüfer bei der Prüfung von falschen Tatsachen ausgegangen sind, allgemeingültige Bewertungsgrundsätze nicht beachtet haben oder sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen (Urteile des BFH vom 2. August 1967 VII 264/63, BFHE 89, 370, BStBl III 1967, 579; vom 26. September 1967 VII R 51/66, BFHE 89, 559, BStBl III 1967, 714; vgl. auch BVerwG-Urteil vom 24. April 1959 VII C 104,58, BVerwGE 8, 272). Im Rahmen der beschränkten gerichtlichen Nachprüfungsmöglichkeit und wegen des den Prüfern eingeräumten Beurteilungsspielraums kann es daher nicht darauf ankommen, ob die Prüfer zur Gedächtnisstütze eine derartige umfassende Niederschrift benötigen, wie der Kläger fordert. Es kann durchaus der Fall sein, daß sich die Prüfer während der Prüfung Notizen machen; diese haben aber nicht die Bedeutung einer Niederschrift und brauchen daher nicht zu den Akten genommen zu werden. Letztlich sind alle Prüfungsentscheidungen in einer Steuerbevollmächtigtenprüfung das Ergebnis einer Beratung des gesamten Prüfungsausschusses. Es ist nicht Sache der Gerichte, in diese Beratung einzudringen und nachzuprüfen, inwieweit sich die einzelnen Mitglieder des Prüfungsausschusses mit ihrer Ansicht haben durchsetzen können.
Weder die allgemeine Gewährung des Rechtswegs gegen Akte der öffentlichen Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG) noch übergeordnete aus Art. 12 Abs. 1 GG herzuleitende Gesichtspunkte noch andere rechtsstaatliche Grundsätze gebieten es, daß über den mündlichen Teil der Steuerbevollmächtigtenprüfung ein besonders ausführliches Protokoll hinsichtlich der Fragen und Antworten gefertigt werden müsse. Dergleichen ist von verschiedenen Verwaltungsgerichten bisweilen gefordert worden (Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Januar 1970 I OE 68/68, NJW 1970, 1061; Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Saarlouis vom 26. November 1970 I R 59/70, Deutsches Verwaltungsblatt 1971 S. 557). Das BVerwG ist aber dieser Auffassung in der Entscheidung vom 7. Mai 1971 VII C 51.70 (Juristenzeitung 1971 S. 690) und in der vom 1. Oktober 1971 VII C 5.71 (BVerwGE 38, 322) nicht gefolgt. Das BVerwG weist darauf hin, daß eine mündliche Prüfung sich nicht in Fragen und Antworten erschöpfe. Die für die Bewertung der Leistungen eines Prüflings in einer mündlichen Prüfung maßgeblichen Gesichtspunkte ließen sich in einer ausführlichen Niederschrift nicht festhalten. Die Bewertung der Leistungen des Prüflings hänge wesentlich auch davon ab, ob er eine Frage schnell erfasse, die Lösung richtig entwickle und seine Gedanken verständlich darlegen könne. Ferner sei der Gesamteindruck, den der Prüfling mache, bei der Bewertung zu berücksichtigen. Die in diesem Zusammenhang auf seiten des Prüfers und des Prüflings maßgeblichen Einzelheiten entzögen sich einer Protokollierung und könnten nicht einmal in einem Tonbandprotokoll vollständig festgehalten werden. Damit werde aber eine mündliche Prüfung nicht ungeeignet für besonders wichtige Prüfungen. Die Ordnungsmäßigkeit einer mündlichen Prüfung sei gesichert, wenn die Prüfungsordnung oder ähnliche Vorschriften die Anwesenheit eines Prüfungsvorsitzenden oder eines Prüfungsausschusses erforderten. Zum Nachweis der für die gerichtliche Kontrolle entscheidenden Tatsachen ständen dem Prüfling die üblichen Beweismittel im Prozeß, z. B. die Vernehmung von Zeugen, zur Verfügung. Auf eine mögliche Erleichterung der Beweisführung durch ein ausführliches Protokoll könne es nicht ankommen.
Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung. Durch schriftliche Niederlegung der Fragen und Antworten kann nur unvollkommen oder meistens überhaupt nicht wiedergegeben werden, in welcher Art und Weise der Prüfling die ihm gestellten Fragen abgehandelt hat, ob er folgerichtig zu denken und wie er sich auszudrücken versteht und welchen Gesamteindruck er bei der mündlichen Prüfung gemacht hat. Darüber hinaus würde eine Protokollierung das Prüfungsgespräch in einer unzumutbaren Weise behindern. Der ordnungsmäßige Ablauf der mündlichen Steuerbevollmächtigtenprüfung ist dadurch sichergestellt, daß diese vor sämtlichen Mitgliedern des Prüfungsauschusses stattfindet (§ 9 Abs. 1, § 13 DVStBerG) und der Vorsitzende die Prüfung leitet. Dieser ist berechtigt, jederzeit in die Prüfung einzugreifen (§ 21 Abs. 2 DVStBerG). In diesem Zusammenhang hat die nach § 25 DVStBerG anzufertigende Niederschrift nur eine formale Bedeutung. In ihr werden - vergleichbar mit der Niederschrift über eine mündliche Verhandlung vor Gericht - im wesentlichen nur gewisse, näher bezeichnete Vorgänge, hauptsächlich solche verfahrensrechtlicher Art, festgehalten, und nur insoweit wird über diese Vorgänge durch die Niederschrift Beweis geliefert.
Die weitere Rüge des Klägers, bei der Korrektur seiner schriftlichen Arbeiten sei gegen § 19 DVStBerG verstoßen worden, greift ebenfalls nicht durch. Es ist kein sachlicher Fehler, wenn sich bei der durch zwei Prüfer - dem Referenten und dem Korreferenten - vorgenommenen Begutachtung der schriftlichen Prüfungsarbeiten der zweite Prüfer der Auffassung des ersten Prüfers anschließt. Es ist in § 19 Abs. 1 DVStBerG nicht vorgeschrieben und nicht aus rechtsstaatlichen Gründen geboten, daß der zweite Prüfer sein Gutachten, ohne die Ansicht seines Kollegen zu kennen, abgeben müßte, Das ist um so weniger erforderlich, als die beiden Prüfer nur ein Vorschlagsrecht haben. Die endgültige Note wird später durch den Prüfungsausschuß vergeben, der notfalls durch Mehrheitsbeschluß entscheidet. Die Praxis bei der Begutachtung schriftlicher Prüfungsarbeiten, daß der zweite Prüfer nach eigener Durchsicht der Arbeit die Punktbewertung des ersten Prüfers übernimmt oder nur dort von ihr abweicht, wo es seiner Ansicht nach angebracht ist, ist daher nicht zu beanstanden. Dem FG ist auch in der Ansicht zu folgen, daß es verständlich sei, wenn beide Prüfer zu dem gleichen Ergebnis gelangten, weil die Prüfungsaufgaben in der schriftlichen Steuerbevollmächtigtenprüfung konkret nur eine Lösung zuließen. Die Steuerbevollmächtigtenprüfung ist eine auf praktisches Wissen ausgerichtete Prüfung, in der der Prüfling nachweisen soll, ob er die elementaren Grundsätze des Steuerrechts beherrscht. Sie befaßt sich nicht, wie etwa eine wissenschaftliche Hochschulprüfung, außerdem mit mehr oder weniger rein theoretischen Fragen, auf die verschiedene Antworten möglich sind. Das FG ist hier auch nicht in Widerspruch zu seinen Ausführungen über die Niederschrift bei der mündlichen Prüfung geraten. Auch wenn in der mündlichen Prüfung ebenfalls Fragen gestellt werden, die nur eine richtige Antwort zulassen, ist dadurch die Aufnahme der Prüfungsfragen und Antworten in die Niederschrift aus rechtlichen Gründen noch nicht gerechtfertigt. Die Nichtaufnahme des gesamten Prüfungsgesprächs in die Niederschrift hat, wie oben dargelegt, andere Gründe.
Da der Vorentscheidung voll beizutreten war, war die Revision mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 70583 |
BStBl II 1973, 804 |
BFHE 1974, 222 |