Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Wird der Ehegatte eines Arbeitnehmers nach § 26 a EStG 1957 getrennt veranlagt, so ist der Arbeitnehmer nach § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1957 zu veranlagen. Diese Vorschrift gilt nicht nur für den Veranlagungszeitraum 1957, sondern auch für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1956.

 

Normenkette

EStG § 46 Abs. 1 Ziff. 4, § 46/2/7, § 52/1, §§ 26a, 32a

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) und seine Ehefrau sind für 1956 getrennt nach Steuerklasse I veranlagt worden. Der Bf. hatte die folgenden Einkünfte:

nichtselbständige Arbeit ---------------------- 18.139 DM selbständige Arbeit ------------------------------ 270 DM Kapitalvermögen ------------------------------------ 7 DM. Seine Ehefrau hatte die folgenden Einkünfte: Kapitalvermögen -------------------------------- 1.000 DM Vermietung und Verpachtung ----------------------- 980 DM.Der Bf. will für 1956 nicht veranlagt werden. Er meint, § 46 Abs. 1 Ziff. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1957, auf Grund dessen ihn das Finanzamt veranlagt hat, sei für das Streitjahr 1956 noch nicht anwendbar. Lohnsteuer ist dem Bf. im Jahre 1956 unter Zugrundelegung der auf seiner Lohnsteuerkarte 1956 eingetragenen Steuerklasse III/1 einbehalten worden. Der Bf. will für 1956 den Lohnsteuer-Jahresausgleich vornehmen lassen und dabei nachträglich noch Werbungskosten und Sonderausgaben geltend machen.

Das Finanzgericht wies die Sprungberufung als unbegründet zurück und nahm in übereinstimmung mit dem Finanzamt an, § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1957 gelte auch für den Veranlagungszeitraum 1956.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

Nach § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1957 ist ein Arbeitnehmer zu veranlagen, wenn sein Ehegatte nach § 26a EStG 1957 getrennt veranlagt wird. Diese Bestimmung ist durch Art. 1 Ziff. 18 Buchst. c des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl 1957 I S. 848, BStBl 1957 I S. 352) - hier abgekürzt: StändG 1957 - in das Einkommensteuerrecht eingefügt worden. Sie hängt damit zusammen, daß nach der Neuregelung der Ehegattenbesteuerung nunmehr Ehegatten mit ihren eigenen Einkünften grundsätzlich getrennt veranlagt werden (ß 26a EStG 1957). Verlangt der Ehegatte des Arbeitnehmers die getrennte Veranlagung nach § 26a EStG 1957, so fallen nach dem ebenfalls neu geschaffenen § 32a Satz 1 EStG 1957 beide Ehegatten in die Steuerklasse I. Die Sonderausgaben, die außergewöhnlichen Belastungen usw. sowie die Kinderfreibeträge müssen bei getrennter Veranlagung auf beide Ehegatten aufgeteilt werden (ß 26a Abs. 2 und 3, § 32a EStG 1957). Verheiratete Arbeitnehmer sind im Lohnsteuerverfahren bis einschließlich 1957 unter Anwendung der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen familiengerechten Steuerklasse und unter Gewährung der anderen steuerlichen Vorteile für Verheiratete behandelt worden. Die günstigere Behandlung, die der Arbeitnehmer-Ehegatte während des Kalenderjahrs im Lohnsteuerverfahren erfahren hat, kann, wenn sein Ehegatte nach § 26a EStG 1957 getrennt veranlagt wird, nur nach Ablauf des Kalenderjahrs im Wege der Veranlagung ausgeglichen werden. Die Rechtsgrundlage für eine solche Veranlagung bildet § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG in der Fassung des StändG 1957.

Der Bf. bestreitet nicht, daß er nach dem Wortlaut des § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1957 veranlagt werden muß. Er beruft sich aber darauf, daß nach § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG 1957 das EStG in dieser Fassung erst für den Veranlagungszeitraum 1957 angewendet werden dürfe. Da für § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1957 hinsichtlich des Inkrafttretens nichts Besonderes bestimmt sei, könne die Vorschrift erst für den Veranlagungszeitraum 1957 angewendet werden. Für den Veranlagungszeitraum 1956 müsse § 46 Abs. 3 EStG 1957 gelten, wonach eine Veranlagung von Arbeitnehmern grundsätzlich ausgeschlossen ist, wenn die Veranlagung in § 46 Abs. 1 und 2 EStG 1957 nicht besonders vorgeschrieben ist.

Das Finanzgericht hat zutreffend ausgeführt, daß das "Einkommensteuergesetz in der Fassung vom 13. November 1957 (EStG 1957)" - BGBl 1957 I S. 1793, BStBl 1957 I S. 548 - kein neues Recht setzt, sondern nur eine Bekanntmachung des Wortlauts des EStG ist, wie er sich unter Berücksichtigung des StändG 1957 und des Allgemeinen Kriegsfolgegesetzes vom 5. November 1957 (BGBl 1957 I S. 1747) ergibt. Das betont auch die Einleitung zu der Bekanntmachung des EStG 1957. Die Rechtsgrundlage für die Bekanntmachung des neuen Wortlauts des EStG bildet § 51 Abs. 2 EStG 1957, wonach der Bundesminister der Finanzen ermächtigt ist, den Wortlaut des EStG und der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) in der jeweils geltenden Fassung mit neuem Datum, unter neuer überschrift und neuer Paragraphenfolge bekanntzumachen und Unstimmigkeiten des Wortlauts zu beseitigen. Mit Recht hat das Finanzgericht ausgeführt, daß die sachlichen änderungen des EStG im StändG 1957 enthalten sind; bei etwaigen Unstimmigkeiten zwischen dem EStG 1957 und dem StändG 1957 muß deshalb das StändG 1957 maßgebend sein.

Im StändG 1957 ist nicht besonders bestimmt, wann Art. 1 Ziff. 18 Buchst. c, der den Wortlaut des § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1957 enthält, in Kraft tritt. Es gilt deshalb die allgemeine Bestimmung des Art. 16 StändG 1957, wonach das Gesetz am Tage nach seiner Verkündung, d. h. am 6. August 1957, in Kraft tritt, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.

Nach dem Sinnzusammenhang des StändG 1957 und unter Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte muß die Neuregelung der Ehegattenbesteuerung im StändG 1957 als Ganzes gewürdigt werden. Nehmen Ehegatten für einen Veranlagungszeitraum von 1949 bis 1957 die ihnen günstigere Neuregelung der getrennten Veranlagung nach § 26a EStG 1957 in Anspruch, so können sie nicht die vom Gesetzgeber als Ausgleich gedachte Regelung des § 32a EStG 1957 ausschließen. Das hat der Senat bereits in der Entscheidung VI 90/58 U vom 8. August 1958 (BStBl 1958 III S. 418, Slg. Bd. 67 S. 375) betont. § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1957 zieht aber nur die verfahrensmäßigen Folgerungen aus §§ 26a, 32a EStG 1957. Es würde mit dem Sinn des Gesetzes unvereinbar sein und auch zu einer mit Art. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) unvereinbaren ungleichmäßigen Behandlung der Steuerpflichtigen führen, wenn man für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1956 in Fällen der getrennten Veranlagung nach § 26a EStG 1957 Ehegatten-Arbeitnehmer entgegen § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1957 von der Veranlagung ausnehmen wollte. Es besteht kein sachlicher Anlaß, insoweit Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anders und besser zu behandeln als andere Steuerpflichtige.

Die Berufung des Bf. auf den Wortlaut des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG 1957 greift demgegenüber nicht durch. Der Wortlaut dieser Vorschrift, ist, wie bereits gesagt, gegenüber dem des StändG 1957 nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Im übrigen kommt nach der Rechtsprechung des Senats für die Ermittlung des Willens des Gesetzgebers, zu dessen Vollzug die Gerichte nach Art. 20 Abs. 3 GG berufen sind, dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes zwar wesentliche Bedeutung zu; soll die Steuerpflicht entgegen dem eindeutigen Wortlaut verschärft werden, so ist bei einer Auslegung entgegen dem klaren Wortlaut besondere Zurückhaltung geboten (Urteil des Bundesfinanzhofs VI 162/55 U vom 14. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 207, Slg. Bd. 66 S. 539). Im vorliegenden Fall spricht aber auch der Wortlaut des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG 1957 nicht eindeutig für die Auffassung des Bf. Das EStG 1957 soll nämlich nach der Fassung des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG 1957 nur insoweit erstmalig für den Veranlagungszeitraum 1957 angewendet werden, als sich nicht aus "einzelnen Vorschriften des Gesetzes" etwas anderes ergibt. Aus § 46 Abs. 1 Ziff. 4 in Verbindung mit §§ 26a und 32a EStG 1957 ergibt sich aber etwas anderes, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch dem klaren Sinnzusammenhang nach. Bei unvoreingenommener objektiver Beurteilung kann niemand das Gesetz anders auffassen, als es die Vorinstanzen getan haben. In einem solchen Fall würden die Gerichte dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers zuwiderhandeln, wenn sie eine allein sinnvolle gesetzliche Regelung wegen einer vielleicht nicht ganz geglückten Wortfassung nicht anwenden würden.

Der Bf. meint ferner, der Gesetzgeber habe nicht im Laufe des Jahres 1957 rückwirkend zuungunsten von Arbeitnehmern deren Veranlagung für 1956 vorschreiben dürfen. Der Bf. stellt dabei aber nicht ausreichend in Rechnung, daß es sich hier nicht um eine den guten Sitten widersprechende einseitige willkürliche und mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutz der Bürger unvereinbare rückwirkende Verschlechterung der Gesetzeslage handelt, sondern um einen unlösbaren Bestandteil der den Steuerpflichtigen günstigen neuen Gesamtregelung der Ehegattenbesteuerung, die durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 über die Nichtigkeit des § 26 EStG a. F. (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 6 S. 83 ff.; BStBl 1957 I S. 193 ff.) erforderlich geworden war. Es geht, wie bereits gesagt, nicht an, daß ein Steuerpflichtiger die ihm günstige Regelung nach § 26a EStG 1957 in Anspruch nimmt, die damit zusammenhängende weniger günstige Regelung des § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1957 aber ablehnt.

 

Fundstellen

BStBl III 1959, 235

BFHE 1959, 616

BFHE 68, 616

StRK, EStG:46/1/4 (1957) R 2

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