Leitsatz (amtlich)

Für Klagen gegen Härtefall-Bescheinigungen der Landesstelle - Landwirtschaftskammer - nach § 9 Abs.2 der Milch-Garantiemengen-Verordnung ist der Finanzrechtsweg nicht gegeben. Zuständig sind die Verwaltungsgerichte.

 

Orientierungssatz

1. Die Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nach § 9 Abs. 2 MGVO hat zwar materiell-rechtliche Bedeutung für die Feststellung der Anlieferungs-Referenzmenge und die Festsetzung der Milchabgabe, sie ist jedoch kein Feststellungsbescheid i.S. des § 179 AO 1977.

2. Gegen nur scheinbar gültige Rechtsnormen und die auf sie gestützten Verwaltungsakte ist stets derselbe Rechtsweg gegeben wie im Falle der Gültigkeit der Norm. Denn es ist gerade diese Frage, die --neben anderen-- überhaupt erst der gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden soll (vgl. BVerfG-Beschluß vom 18.12.1985 2 BvR 1167/84 pp.). Rechtswegregelungen sind in besonderem Maße von Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmt. Rechtsstreitigkeiten sollen möglichst durch die Gerichte entschieden werden, die durch besondere Sachkunde und Sachnähe dazu berufen sind (BFH).

3. Für den Rechtsweg in Verfahren über den einstweiligen Rechtsschutz ist maßgebend, welche Gerichtsbarkeit für die Entscheidung über die Hauptsache zuständig ist (vgl. BFH-Beschluß vom 16.7.1985 VII B 53/85).

 

Normenkette

FGO § 33 Abs. 1 Nrn. 1, 4; MOG § 29 Abs. 1 S. 1; MilchGarMV § 9 Abs. 2; AO 1977 § 179; FGO § 114

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (Entscheidung vom 02.07.1985; Aktenzeichen IV 115/85 N)

FG Hamburg (Entscheidung vom 24.05.1985; Aktenzeichen IV 83/85 N)

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Landwirte und Milcherzeuger. Auf ihre Anträge erteilte die Beklagte und Revisionsbeklagte (die Landwirtschaftskammer) am 18.Dezember 1984, 13.August 1984, 17.August 1984 und 5.März 1985 jeweils eine "Bescheinigung zur Neuberechnung der Anlieferungs-Referenzmenge nach § 9 (2) 2 der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGVO)". Sie bescheinigte, daß die Voraussetzungen nach § 6 Abs.2 Nr.1 bzw. § 6 Abs.4 MGVO erfüllt seien und daß jeweils anstelle der bisherigen eine bestimmte höhere Anlieferungsmenge trete. Gegen diese Bescheinigungen wandten sich die Kläger --nachdem zwei der Kläger erfolglos Widerspruch bei der Landwirtschaftskammer eingelegt hatten-- mit ihren Klagen. Sie beantragten jeweils, die Bescheide der Landwirtschaftskammer aufzuheben. Zur Begründung machten sie im wesentlichen geltend, für die MGVO fehle es an einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klagen ab (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1985, 457).

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen der Kläger sind unbegründet.

Bei der Prüfung der Frage, ob der Finanzrechtsweg eröffnet ist, ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (vgl. zuletzt Beschluß des Senats vom 16.Juli 1985 VII B 53/85, BFHE 143, 523, BStBl II 1985, 553) auf die Rechtsnatur des Klagebegehrens abzustellen, wie sie sich aus dem dem Antrag zugrunde liegenden Sachverhalt ergibt. Die Kläger haben jeweils die Aufhebung der aufgrund des § 9 Abs.2 MGVO erlassenen Bescheinigung der Landwirtschaftskammer beantragt. Es geht also um die Rechtmäßigkeit dieser Verwaltungsentscheidungen. Der Streit darüber ist aber keine Streitigkeit, für die § 33 der Finanzgerichtsordnung (FGO) den Finanzrechtsweg eröffnet (vgl. Beschluß des FG Hamburg vom 16.August 1985 IV 133/85 S-H, EFG 1985, 567; Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts (VG) vom 18.April 1985 1 D 5/85, Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters --RIW/AWD-- 1985, 664, mit Anmerkung von Kaiser-Plessow, RIW/AWD 1985, 667 ff.; Voß, Die Milch-Garantiemengen-Verordnung, RIW/AWD 1985, 870, 873, Abschn.IV 3 b aa).

Als Grundlage für die Eröffnung des Finanzrechtswegs im vorliegenden Fall kommen allenfalls die Nrn.1 und 4 des § 33 Abs.1 FGO in Betracht. Danach ist u.a. erforderlich, daß eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt über eine Abgabenangelegenheit (§ 33 Abs.1 Nr.1 FGO) oder über die Festsetzung einer Abgabe im Rahmen von Produktionsregelungen (§ 33 Abs.1 Nr.4 FGO i.V.m. § 29 Abs.1 Satz 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Markorganisationen --MOG--). Beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Im vorliegenden Verfahren wird nicht über die Festsetzung einer Abgabe gestritten, sondern über die Rechtmäßigkeit einer Bescheinigung einer Landesbehörde, die zwar bei Vorliegen besonderer Situationen materiell-rechtliche Voraussetzung für die Festsetzung einer erhöhten Anlieferungs- Referenzmenge im Sinne der MGVO durch das Hauptzollamt (HZA) ist (vgl. § 10 Abs.3 Satz 2 MGVO) und daher für die Erhebung der Abgabe im Sinne der MGVO (im folgenden: Milchabgabe) von Bedeutung sein kann, selbst aber kein Akt des Steuerverfahrens ist.

Die Regelung der MGVO unterscheidet das Bescheinigungsverfahren (§ 9 Abs.2, § 10 Abs.3 Satz 2) deutlich vom eigentlichen Besteuerungsverfahren, zu dem auch das Verfahren der Festsetzung der Anlieferungs-Referenzmenge --sog. Milchquote-- gehört (vgl. insbesondere § 4 Abs.5, §§ 10, 11; Beschluß des Senats vom 26.März 1985 VII B 12/85, BFHE 142, 534, BStBl II 1985, 258). Nach § 9 Abs.2 MGVO hat der Milcherzeuger dem Käufer (bzw. dem zuständigen HZA; vgl. § 10 Abs.3 Satz 2 MGVO) durch eine von der zuständigen Landesstelle ausgestellte Bescheinigung nachzuweisen, daß eine bestimmte Sondersituation im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften (vgl. z.B. Art.3 der Verordnung (EWG) Nr.857/84 des Rates vom 31.März 1984, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 90/13 vom 1.April 1984) oder im Sinne der MGVO (vgl. z.B. § 6) gegeben ist, die zu einer höheren Anlieferungs-Referenzmenge führt. Bei der Entscheidung über das Vorliegen einer solchen besonderen Situation sind, wie den entsprechenden Vorschriften zu entnehmen ist, spezifisch landwirtschaftliche Sachverhalte und Landwirtschaftsrecht zu beurteilen, während abgabenrechtliche Fragen --auch wenn dieser Begriff im weitesten Sinne verstanden wird-- keine Rolle spielen. Deswegen ist auch die Entscheidung über die Ausstellung der Bescheinigung und über deren Inhalt den sachkundigen zuständigen Landesstellen, hier der Landwirtschaftskammer, übertragen worden. Aus demselben Grund sind, wie sich aus § 10 Abs.3 Satz 2 MGVO ergibt, die für die Referenzmengen- Feststellung und die Abgabenerhebung zuständigen Finanzbehörden an den Inhalt der Bescheinigung gebunden und ist dieser ihrer Nachprüfung entzogen. Das Bescheinigungsverfahren berührt also lediglich Vorfragen der Abgabenpflicht, gehört aber nach der positiven Regelung der MGVO nicht selbst dem Besteuerungsverfahren (im weiteren Sinne) an.

Diese Auffassung wird durch die folgende Erwägung bestätigt: Das geschilderte Verfahren nach der MGVO ist vergleichbar zum Beispiel mit dem Bescheinigungsverfahren des § 6b Abs.1 Satz 2 Nr.5, § 6d Abs.3 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Nach diesen Vorschriften sind bestimmte steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten davon abhängig, daß Bescheinigungen des Bundesministers für Wirtschaft bzw. der obersten Wirtschaftsbehörden der Länder über die Erfüllung bestimmter wirtschaftlicher Voraussetzungen vorgelegt werden (im Falle des § 6b EStG z.B. für die Frage, ob der Erwerb bestimmter Anteile an Kapitalgesellschaften volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig ist). Es ist einhellige Auffassung, daß gegen die Versagung einer solchen Bescheinigung der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist, weil die Versagung kein Akt des Steuerverfahrens ist (vgl. z.B. Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 4.Aufl., § 6b Anm.5, § 6d Anm.6; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 6b EStG Anm.182, § 6d EStG Anm.78; Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 3.Aufl., § 6b Anm.128, § 6d Anm.53, 54). Das gleiche muß auch gelten, wenn sich ein Rechtsmittel gegen den Inhalt einer solchen Bescheinigung richtet. Auf das Bescheinigungsverfahren nach der MGVO sind die gleichen Grundsätze anzuwenden (vgl. auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 7.Mai 1975 VII C 37.73, BVerwGE 48, 211, 213 ff., wonach für die Klage auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 1 Abs.4 des Investitionszulagengesetzes --InvZulG-- 1969 der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist).

Entgegen der Auffassung der Kläger ergibt sich aus der Entscheidung des Senats in BFHE 142, 534, BStBl II 1985, 258 nichts anderes. Dort hatte der Senat nur entschieden, daß für Streitigkeiten über die Feststellung der Anlieferungs-Referenzmenge der Finanzrechtsweg gegeben ist. Er hat dabei darauf hingewiesen, daß wegen des engen Zusammenhangs zwischen der Erhebung der Abgabe und der Feststellung der Referenzmenge die letztere eine Vorbereitungshandlung der Besteuerung sei, also selbst eine Abgabenangelegenheit. Damit ist nichts darüber ausgesagt, ob auch die Tätigkeit der zuständigen Landesstellen im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens nach der MGVO eine solche Vorbereitungshandlung der Besteuerung ist. Bei der oben geschilderten besonderen Ausgestaltung, die das Bescheinigungsverfahren in der MGVO erfahren hat, ist die Erteilung oder Nichterteilung dieser Bescheinigung sowie die Frage, welchen Inhalt ggf. die Bescheinigung haben soll, keine solche steuerliche Vorbereitungshandlung.

Entgegen der Auffassung der Kläger ist die Bescheinigung nach § 9 Abs.2 MGVO auch kein Feststellungsbescheid i.S. des § 179 der Abgabenordnung (AO 1977). Wie die Regelung der MGVO deutlich macht, stellt nach § 9 Abs.2 die zuständige Landesbehörde lediglich eine "Bescheinigung", ein Nachweispapier, aus. Dieses hat zwar, wie ausgeführt, materiell-rechtliche Bedeutung für die Feststellung der Anlieferungs-Referenzmenge und die Festsetzung der Abgabe nach der MGVO (im folgenden: Milchabgabe). Einen Steuerbescheid i.S. des § 179 AO 1977 stellt sie aber nicht dar.

Unzutreffend ist die Auffassung der Kläger, der Finanzrechtsweg sei gegeben, da die MGVO ungültig sei. Auf die Frage der Gültigkeit der MGVO kommt es für die hier zu entscheidende Frage nicht an. "Gegen nur scheinbar gültige Rechtsnormen und die auf sie gestützten Verwaltungsakte ist nach allgemeinen Grundsätzen stets derselbe Rechtsweg gegeben wie im Falle der Gültigkeit der Norm. Denn es ist gerade diese Frage, die --neben anderen-- überhaupt erst der gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden soll" (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 18.Dezember 1985 2 BvR 1167/84 pp., ZfZ 1986, 139, NJW 1986, 1483). Aber selbst unterstellt, die MGVO wäre ungültig, ergäben sich daraus keine Argumente für die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs. Denn, wie oben ausgeführt, ist die Frage der Ausstellung der Bescheinigung nach § 9 Abs.2 MGVO kein Akt des Steuerverfahrens. Eine Streitigkeit über die Ausstellung einer solchen Bescheinigung kann daher auch nicht als eine solche über Abgaben im Rahmen von Produktionsregelungen i.S. des § 29 Abs.1 Satz 1 MOG angesehen werden.

Diese Auffassung des Senats wird schließlich noch durch die Überlegung bestätigt, daß Rechtswegregelungen in besonderem Maße von Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmt sind (BFHE 142, 534, BStBl II 1985, 258). Rechtsstreitigkeiten sollen möglichst durch die Gerichte entschieden werden, die durch besondere Sachkunde und Sachnähe dazu berufen sind (Urteil des Senats vom 27.März 1979 VII R 106/75, BFHE 127, 314, 319, BStBl II 1979, 442, 444). Im Bescheinigungsverfahren werden landwirtschaftliche Landesbehörden tätig, die keine Steuerfragen im materiellen Sinn, sondern allein landwirtschaftliche und landwirtschaftsrechtliche Fragen zu entscheiden haben. Es wäre daher unzweckmäßig, wenn in Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung, eine Bescheinigung der in Rede stehenden Art zu erteilen, bzw. wegen des Inhalts dieser Bescheinigung die FG entscheiden müßten. Demgegenüber fallen die Nachteile nicht ins Gewicht, die darin liegen, daß sich zwei Gerichtszweige mit Fragen zu befassen haben, die --im weitesten Sinn-- mit der Erhebung der Milchabgabe zu tun haben.

Unrichtig ist die Auffassung der Kläger, für eine solche Rechtswegentscheidung sei einstweiliger Rechtsschutz vor den Gerichten einer anderen Gerichtsbarkeit zu suchen als für die Entscheidung in der zugehörigen Hauptsache. Für den Rechtsweg in Verfahren über den einstweiligen Rechtsschutz ist maßgebend, welche Gerichtsbarkeit für die Entscheidung über die Hauptsache zuständig ist (vgl. Beschluß des erkennenden Senats in BFHE 143, 523, BStBl II 1985, 553).

Da der Finanzrechtsweg nicht gegeben ist, hat das FG die Anfechtungsklagen zu Recht als unzulässig abgewiesen. Verweisungsanträge i.S. des § 34 Abs.3 FGO haben die Kläger vor dem FG und --ausdrücklich-- im Revisionsverfahren nicht gestellt.

 

Fundstellen

BFHE 146, 298

BB 1986, 1499-1499 (S)

DB 1986, 1708-1708 (S)

HFR 1986, 420-421 (ST)

Information StW 1986, 377-378 (ST)

RIW/AWD 1986, 645-647 (ST)

AgrarR 1987, 113-114 (ST)

BayVBl 1987, 345-346 (ST)

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