Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Rechtsschutzbedürfnis für Richterablehnung betreffend Nichtabhilfebeschluß; zu § 8 GKG
Leitsatz (NV)
1. Eine Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Gesuchs auf Ablehnung von Richtern, die gemäß § 130 Abs. 1 FGO an einem Nichtabhilfebeschluß mitgewirkt haben, ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig.
2. Die Voraussetzungen des § 8 GKG liegen nur vor, wenn das Gericht gegen eindeutige gesetzliche Normen verstoßen hat und dieser Verstoß offen zutage tritt.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, § 130 Abs. 1; ZPO § 42 ff.; GKG § 8
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhoben mit Schriftsatz vom 15. November 1990 Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1989 u. a. mit der Begründung, der Grundfreibetrag sei zu niedrig, die beschränkte Abziehbarkeit der Vorsorgeaufwendungen verstoße gegen das Sozialstaatsprinzip und der Bescheid sei nicht ordnungsgemäß adressiert. Am 19. Februar 1991 teilte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) den Klägern u. a. mit, es sei wegen der zur Zeit anhängigen Verfassungsbeschwerden unklar, ob sich daraus Folgerungen für den Grundfreibetrag ergäben. Das FA beabsichtige deshalb, mit Zustimmung der Kläger, den Einkommensteuerbescheid 1989 insoweit vorläufig zu stellen. Die Kläger verweigerten die Zustimmung hierzu und baten um eine klagefähige Entscheidung.Mit Schriftsatz vom 24. Juni 1991 erhoben die Kläger Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Finanzgericht (FG) wies die Klage auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 1991, an der weder die Kläger noch ihr Prozeßbevollmächtigter teilgenommen hatten, als unzulässig ab. Die Revision ließ das FG nicht zu. An der Entscheidung wirkten als Berufsrichter der Vorsitzende Richter am FG A und die Richter am FG B und C und die ehrenamtlichen Richter D und E mit.
Gegen die Entscheidung legten die Kläger Nichtzulassungsbeschwerde ein, die beim erkennenden Senat unter dem Az. X B 25/92 anhängig war und durch Beschluß vom heutigen Tage zurückgewiesen wurde. In der Beschwerdeschrift lehnten sie zugleich für die nach § 130 Abs. 1 FGO zu treffende Entscheidung des FG über die Abhilfe der Beschwerde die Richter A, B und C wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Vorsorglich lehnten sie auch den Richter am FG F wegen Befangenheit ab, falls dieser im Falle des Ausscheidens einer der drei abgelehnten Richter zur Vertretung berufen sein sollte.
Zur Begründung ihres Ablehnungsgesuchs beriefen sich die Kläger auf ein beim III. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) anhängig gewesenes, durch Rücknahme der Beschwerde beendetes Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde eines anderen, ebenfalls von ihrem, der Kläger, Prozeßbevollmächtigten vertretenen Steuerpflichtigen (Az. III B 76/91). In diesem Verfahren hätten die Richter A, B und C den III. Senat des BFH gedrängt, ,,schnellstmöglich" eine im Sinne des FG ,,positive", d. h. die Abweisung der vergleichbaren Untätigkeitsklage bestätigende, ,,,und damit für die Kläger negative Entscheidung" zu fällen.
Das Ablehnungsgesuch der Richter A, B und C begründeten die Kläger weiter damit, der Vorsitzende Richter am FG A habe in Parallelsachen, die andere ebenfalls von ihrem, der Kläger, Prozeßbevollmächtigten vertretene Steuerpflichtige betreffen, in der Zeit vom 30. September 1991 bis 3. Dezember 1991 247 Termine zur mündlichen Verhandlung anberaumt und dabei für jeden Termin nur etwa fünf Minuten angesetzt. Aus der Sicht der Kläger sei eine solche mündliche Verhandlung allenfalls eine Farce. Diese Verfahrensweise hätten die Richter B und C offenbar geduldet.
Die Kläger machten weiter geltend, ihrem Prozeßbevollmächtigten sei das Recht auf Akteneinsicht verweigert worden und der Termin zur mündlichen Verhandlung trotz Verhinderung durch ihren Prozeßbevollmächtigten nicht aufgehoben worden. In Parallelverfahren sei ihr Prozeßbevollmächtigter zurückgewiesen worden. Aus diesem Verhalten könnten sie nur schließen, daß es den auch an diesen Verfahren beteiligten Richtern A, B und C nur darum gehe, ihren Prozeßbevollmächtigten aus dem Verfahren herauszudrängen.
Die Ablehnung des Richters F stützten die Kläger auf die Behauptung, dieser Richter sei vorsorglich bei allen vergleichbaren Klagesachen in der mündlichen Verhandlung anwesend gewesen, um - als Vertreter - für den Fall der Ablehnung eines primär zuständigen Richters durch den Prozeßbevollmächtigten schnell an einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch mitwirken zu können. Richter F habe sich weiter in einem zufällig von seinem Prozeßbevollmächtigten mitgehörten Gespräch gegenüber Richterkollegen geäußert, es werde irgendwie möglich sein, den Prozeßbevollmächtigten ,,los zu werden". Da sich dieser Richter auch auf diesbezügliche Äußerungen der Richter A, B und C bezogen habe, begründe dies weiter die Besorgnis der Befangenheit dieser Richter. Für deren unsachliche Einstellung spreche auch, daß alle Kläger in vergleichbaren Fällen aufgefordert worden seien, die Klage zurückzunehmen, obwohl die Berichterstatter anderer Senate des FG die Klagen nicht für aussichtslos hielten.
Das FG verwarf durch die Richter A, B und C das Ablehnungsgesuch insgesamt als unzulässig. Es hielt deshalb dienstliche Äußerungen der betroffenen Richter nicht für erforderlich. In derselben Besetzung hat das FG am selben Tag beschlossen, der Beschwerde nicht abzuhelfen.
Das FG vertrat die Auffassung, das Ablehnungsgesuch betreffend Richter F sei schon deshalb unzulässig, weil dieser an der Entscheidung über die Frage der Abhilfe der Beschwerde nicht beteiligt gewesen sei. Die gegen die übrigen Richter vorgetragenen Gründe seien entweder nicht substantiiert vorgetragen, seien - soweit ihnen ein gewisser Tatsachenbezug zukomme - in einen falschen Sachzusammenhang gestellt worden oder hätten keinen Bezug zum vorliegenden Verfahren. Darüber hinaus habe das Ablehnungsgesuch fast ausschließlich verunglimpfenden Charakter und verfolge offensichtlich verfahrensfremde Zwecke wie die Verzögerung des Verfahrens.
Gegen die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Kläger vertreten weiter die Auffassung, die mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Ablehnungsgründe rechtfertigten die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter. Zusätzlich berufen sie sich auf weitere Umstände, die die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigten.
Mit Schriftsatz vom 1. April 1992, eingegangen beim BFH am 31. März 1992, legten die Kläger weiter ,,erstmals Beschwerde ein" gegen die Ablehnung des Vorsitzenden Richters am FG A und ,,die Richter B, C, F sowie G und H wegen Besorgnis der Befangenheit in der mündlichen Verhandlung vom 30. 9. 1991". Alle an der mündlichen Verhandlung beteiligten Richter am FG, auch die ehrenamtlichen Richter, hätten die 5-Minuten-Terminierung des Vorsitzenden stillschweigend geduldet und nicht versucht, auf den Vorsitzenden einzuwirken, als der Prozeßbevollmächtigte der Kläger versucht habe, den ,,5-Minuten-Takt" zu durchbrechen.
Für das Beschwerdeverfahren baten die Kläger für den Fall, daß der Beschwerde nicht abgeholfen werde, um Prüfung, inwieweit das Tätigwerden des erkennenden Senats durch dessen Geschäftsverteilungsplan gedeckt sei.
Die Kläger beantragen, unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens nach § 8 des Gerichtskostengesetzes (GKG) die Kosten des Verfahrens der Staatskasse aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
I. Der Senat entscheidet über die Beschwerde durch Beschluß (§ 132 FGO) außerhalb der mündlichen Verhandlung in der durch den Senatsgeschäftsverteilungsplan vom 23. Dezember 1991 und 9. Januar 1992 näher geregelten Besetzung von drei Richtern (§ 10 Abs. 3 FGO). Selbst bei weitestgehender Auslegung des § 21 g Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG - (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 8. November 1967 IV C 154/65, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1968, 811, und die im BFH-Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252, unter 5 c zitierten Literaturnachweise) sind durch den Geschäftsverteilungsplan des X. Senats die dort aufgestellten Grundsätze gewahrt.
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Ihr fehlt das auch für das Beschwerdeverfahren erforderliche Rechtsschutzinteresse (vgl. z. B. Beschluß des erkennenden Senats vom 28. Juni 1990 X B 163/88, BFH/NV 1991, 325).
1. Grundsätzlich fehlt im finanzgerichtlichen Verfahren für eine Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs wegen Besorgnis der Befangenheit nicht allein deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil das FG unter Mitwirkung des abgelehnten Richters entschieden hat und dadurch die Instanz beendet worden ist. Ein Rechtsschutzinteresse besteht jedoch nur dann und insoweit, als die im Beschwerdeverfahren gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs durchgesetzte Ablehnung der Richter in ein Rechtsmittelverfahren oder ein Nichtigkeitsverfahren gegen die Entscheidung in der Hauptsache eingebracht werden kann, an der die abgelehnten Richter - nach Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs - mitgewirkt haben (ausführlich Beschluß des Großen Senats des BFH vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217; BFH-Beschluß vom 8. Mai 1992 III B 163/92, BFHE 167, 299, BStBl II 1992, 675, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird).
2. Soweit die Beschwerde die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs gegen Richter F betrifft, fehlt ihr das Rechtsschutzbedürfnis schon deshalb, weil dieser Richter an dem Nichtabhilfebeschluß über die Nichtzulassungsbeschwerde, auf den sich das Ablehnungsgesuch bezieht, nicht mitgewirkt hat. Das gilt erst recht für die erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit der ehrenamtlichen Richter G und H. Über die vorliegende Klage ist nicht in der mündlichen Verhandlung vom 30. September 1991, sondern in der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 1991 unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter D und E entschieden worden.
3. Auch in bezug auf die Richter A, B und C, die den Beschluß über die Nichtabhilfe der Nichtzulassungsbeschwerde gefaßt haben, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Die Richter sind für die nach § 130 Abs. 1 FGO zu treffende Entscheidung über die Abhilfe abgelehnt worden.
Gegen den Nichtabhilfebeschluß gibt es kein selbständiges Rechtsmittel. Es gibt auch kein Wiederaufnahmeverfahren, denn ein Nichtigkeitsverfahren ist nach § 134 FGO i. V. m. § 579 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung nur gegen solche Entscheidungen zulässig, die ein Verfahren rechtskräftig beenden. Der Nichtabhilfebeschluß erwächst jedoch weder in Rechtskraft noch beendet er ein Verfahren. Der III. Senat hat deshalb in BFHE 167, 299, BStBl II 1992, 675 entschieden, daß eine Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Gesuchs auf Ablehnung von Richtern, die gemäß § 130 Abs. 1 FGO an einem Nichtabhilfebeschluß mitgewirkt haben, mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
5. Für eine Entscheidung nach § 8 GKG besteht kein Anlaß. Eine unrichtige Behandlung i. S. des § 8 GKG liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn das Gericht gegen eindeutige gesetzliche Normen verstoßen hat und dieser Verstoß offen zutage tritt, oder wenn ein offensichtliches Versehen vorliegt (vgl. z. B. Drischler/Oestreich/Heun/Haupt, GKG, Kommentar, 4. Aufl., § 8 Rz. 10 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Selbst wenn - wie die Kläger meinen - das Urteil des FG fehlerhaft wäre, ist dies allein kein Grund, von der Erhebung der Gerichtskosten für dieses Verfahren wegen fehlerhafter Behandlung abzusehen (z. B. Drischler/Oestreich/Heun/Haupt, a. a. O., § 8 Rz. 7). Für das vorliegende, mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässige Beschwerdeverfahren besteht erst recht kein Grund, von der Erhebung der Gerichtskosten abzusehen.
Fundstellen
Haufe-Index 418870 |
BFH/NV 1993, 557 |