Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Richterablehnung

 

Leitsatz (NV)

1. Über ein Ablehnungsgesuch entscheidet bei Kollegialgerichten derjenige Senat, dem der abgelehnte Richter angehört. Über ein Ablehnungsgesuch ist im Regelfall durch gesonderten Beschluß in einem selbständigen Zwischenverfahren, nicht erst im Rahmen der die Hauptsache abschließenden Entscheidung zu befinden.

2. Mit der Behauptung, in einem Gerichtsbescheid sei der Sachverhalt unzutreffend dargestellt, wird nicht die Voreingenommenheit eines Richters dargelegt.

 

Normenkette

FGO § 51; ZPO § 45

 

Tatbestand

Die Antragstellerin, Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) vereinbarte im ersten Halbjahr 1990 die Ausführung von Bauleistungen, die sie in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1990 auf dem Gebiet der DDR erbrachte. Die Verträge über diese Bauleistungen enthielten keine Regelungen hinsichtlich der Umsatzsteuer. Den Antrag der Klägerin, diese Umsätze nach §163 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) aus Billigkeitsgründen bei der Veranlagung gemäß dem Umsatzsteuergesetz der Deutschen Demokratischen Republik (UStG DDR) vom 22. Juni 1990 unberücksichtigt zu lassen, lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) ab.

Gegen die erfolglose Beschwerde (Entscheidung der Oberfinanzdirektion) erhob die Klägerin Klage. Während des Klageverfahrens stellte sie beim Finanzgericht (FG) den Antrag, die Vollziehung der streitigen Umsatzsteuer auszusetzen. Das FG gab dem Antrag durch Beschluß vom 23. Oktober 1995 statt. Auf die Beschwerde des FA hob der Bundesfinanzhof (BFH) durch Beschluß vom 18. März 1996 die Entscheidung des FG auf.

Der Klage gab das FG durch Urteil vom 4. Juni 1996 statt. Am 28. November 1996 erließ der BFH einen Gerichtsbescheid, nach dessen Tenor das Urteil des FG aufgehoben wurde. Nachdem die Klägerin mündliche Verhandlung beantragt hatte, lehnte sie in der mündlichen Verhandlung vom ... die Richter am Bundesfinanzhof A und B wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug sie vor:

1. Die abgelehnten Richter hätten sowohl an dem Senatsbeschluß vom 18. März 1996 als auch an dem Gerichtsbescheid mitgewirkt. In beiden Entscheidungen sei ausgeführt, "sie -- die Klägerin -- habe die betreffenden Umsätze weder in den Umsatzsteuervoranmeldungen noch in der Umsatzsteuererklärung 1990 erfaßt". Diese Sachverhaltsdarstellung sei unzutreffend. Vielmehr habe sie -- die Klägerin --, wie in der Beschwerdeentscheidung, dem FG-Beschluß vom 23. Oktober 1995 und dem FG-Urteil ausgeführt, "die Umsätze sowohl in den Umsatzsteuervoranmeldungen als auch in der Umsatzsteuererklärung 1990 als nicht steuerbar behandelt".

2. Sowohl im Senatsbeschluß vom 18. März 1996 als auch im Gerichtsbescheid werde ehemaliges DDR-Recht ausgelegt, obwohl dies ausschließlich Sache der Finanzgerichte sei. Ferner lasse der Gerichtsbescheid eine Auseinandersetzung mit dem FG-Urteil vermissen. Schließlich werde "nicht berücksichtigt, daß das Umsatzsteuergesetz der DDR nicht in einem dem ehemaligen Bundesrecht ähnlichen Verfahren zustandegekommen sei".

In seiner dienstlichen Äußerung hat sich Richter am Bundesfinanzhof A für nicht befangen erklärt. Richter am Bundesfinanzhof B hat erklärt, er sei bei Unterzeichnung des Gerichtsbescheids davon ausgegangen, daß dieser den vom FG festgestellten Sachverhalt zutreffend wiedergebe.

 

Entscheidungsgründe

Das Ablehnungsgesuch ist unbegründet.

1. Für die Ablehnung von Gerichtspersonen gelten nach §51 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die §§41 bis 49 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sinngemäß. Aufgrund des §45 ZPO entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört. Nach ständiger Rechtsprechung entscheidet bei Kollegialgerichten derjenige Senat, zu dem der abgelehnte Richter gehört (BFH-Beschluß vom 26. Juli 1996 VI B 15/96, BFH/NV 1997, 130). Gemäß §46 ZPO ist über ein Ablehnungs gesuch im Regelfall durch gesonderten Beschluß in einem selbständigen Zwischenverfahren, nicht erst im Rahmen der die Hauptsache abschließenden Entscheidung zu befinden (BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217).

Der Senat entscheidet daher gemäß §10 Abs. 3 FGO in der Besetzung mit den drei nicht abgelehnten Richtern, die mit der Hauptsache befaßt sind.

2. Ein Richter kann gemäß §42 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein derartiges Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde (Senatsbeschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, m. w. N.).

a) Die Klägerin sieht den Ablehnungsgrund darin, daß zumindest einer der abgelehnten Richter den Sachverhalt falsch dargestellt habe. Es sei deshalb davon auszugehen, daß die anderen beteiligten Richter sich "keine freie Meinung mehr bilden konnten". Dieses Vorbringen der Klägerin läßt nicht erkennen, worin die Voreingenommenheit der abgelehnten Richter gegen sie -- die Klägerin -- bestanden haben könnte. Eine unzutreffende Sachverhaltsdarstellung beruht -- sofern nicht weitere Umstände hinzutreten -- auf einem bloßen Fehler eines Richters. Die Klägerin legt nicht dar, daß die behauptete Fehlerhaftigkeit der Darstellung auf einer unsachlichen Einstellung der abgelehnten Richter gegen sie oder auf Willkür beruhen könnte.

Im übrigen ist die vom Senat im Beschluß vom 18. März 1996 und im Gerichtsbescheid verwendete Formulierung, die Klägerin habe "die betreffenden Umsätze weder in den Umsatzsteuervoranmeldungen noch in der Umsatzsteuererklärung 1990 erfaßt", nicht unrichtig. Die Worte beschreiben den Sachverhalt anhand der Umsatzsteuererklärung, die für nichtsteuerbare Umsätze keine Erklärungszeile vorsah und in der die Klägerin diese Umsätze dementsprechend auch nicht angeführt hat. Demgegenüber enthält die Formulierung des FG, die Klägerin habe "die Umsätze sowohl in den Umsatzsteuervoranmeldungen als auch in der Umsatzsteuererklärung 1990 als nicht steuerbar behandelt", bereits ein Element rechtlicher Wertung, welches der Senat im Tatbestand offenbar nicht übernehmen wollte. Sofern die Klägerin befürchten mußte, die vom Senat verwendete Formulierung könne zu Mißverständnissen Anlaß geben, hätte sie in der mündlichen Verhandlung darauf hinweisen und auf eine Änderung oder Klarstellung hinwirken können.

b) Die übrigen Rügen der Klägerin betreffen lediglich Verfahrensfehler des Senats und Verstöße gegen materielles Recht. Mit diesem Vorbringen wird eine Voreingenommenheit der abgelehnten Richter nicht dargelegt.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 38

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