Leitsatz

Der Ablauf der Frist zur Feststellung von privaten Veräußerungsverlusten wird nicht durch § 10d Abs. 4 Satz 6, 1. Halbsatz i.V.m. § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG gehemmt, soweit die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum zwar wegen Hinterziehung der auf Einkünfte aus Kapitalvermögen entfallenden Einkommensteuer verlängert ist, die festzustellenden Besteuerungsgrundlagen (Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften) die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung aber nicht erfüllen (Prinzip der Teilverjährung).

 

Normenkette

§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO, § 10d Abs. 4 Satz 6, § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG 2002 i.d.F. Art. 1 des JStG 2007 vom 13.12.2006 (BGBl I 2006, 2878) (= § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG n.F.)

 

Sachverhalt

K wurde aufgrund seiner im Mai 2003 eingereichten Einkommensteuererklärung für 2002 veranlagt. Im Rahmen einer strafbefreienden Selbstanzeige im Jahr 2010 erklärte K für 2002 Einkünfte aus Kapitalvermögen von 14.000 EUR und Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften von 30.000 EUR nach. Das FA erfasste im geänderten Einkommensteuerbescheid die positiven Einkünfte aus Kapitalvermögen, die Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften mangels Verrechenbarkeit aber nicht. K stellte den Antrag, einen verbleibenden Verlustvortrag von 30.000 EUR auf den 31.12.2002 festzustellen. Das FA lehnte den Antrag ab. K´s Klage hatte hingegen Erfolg: Das FG meinte, die Teilverjährung auf der Ebene der Steuerfestsetzung hindere die Verlustfeststellung nicht (FG Münster, Urteil vom 23.5.2012, 11 K 631/11 F, Haufe-Index 3114429, EFG 2012, 1638).

 

Entscheidung

Doch, entschied der BFH, hob die Vorentscheidung auf die Revision des FA auf und wies die Klage ab.

 

Hinweis

Mit einer interessanten Frage der Teilverjährung beschäftigt sich diese Entscheidung in einer typischen Fallkonstellation. Werden im Rahmen einer strafbefreienden Selbstanzeige im Jahr 2010 neben Einkünften aus Kapitalvermögen auch Spekulationsverluste erklärt (Streitjahr: 2002), fragt sich, ob die verlängerte Festsetzungsfrist auch für die Spekulationsverluste gilt oder eben nur für die Einkünfte aus Kapitalvermögen.

1. Bei den Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften ist die Feststellungsfrist zu beachten. Das Gesetz (§ 10d Abs. 4 Satz 6, 1. Halbsatz i.V.m. § 23 Abs. 3 Satz 9, 2. Halbsatz EStG)verknüpft sie mit der Festsetzungsfrist des Veranlagungszeitraums, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen ist. Festsetzungsfrist ist die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer des Streitjahres. Diese Festsetzungsfrist begann hier mit Ablauf des 31.12.2003 (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) und endete nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO mit Ablauf des 31.12.2007.

2. Der Ablauf der Festsetzungsfrist – und damit auch der Feststellungsfrist – wird nicht durch § 169 Abs. 2 Satz 2 AO gehemmt. Danach beträgt die Frist zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen worden ist. Hinterzogen wurde hier aber nur die Einkommen-steuer, die auf Einkünfte aus Kapitalvermögen entfällt; bei den Spekulationen fielen hingegen lediglich Verluste an. Aus dem Gesetz folgt umgekehrt: Soweit die Steuer nicht hinterzogen ist, bleibt es bei der regulären Festsetzungsfrist. Damit verblieb es für die Einkommensteuer, die auf Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften entfiel, bei der regulären Festsetzungs- und Feststellungsfrist. Nur die hinterzogene Steuer auf Kapitaleinkünfte ist noch nicht verjährt, die Steuer auf Spekulationsverluste hingegen schon: Eine Verlustfeststellung ist nicht möglich.

3. Dieses Ergebnis entspricht dem Gesetzeszweck: Wenn es § 169 Abs. 2 Satz 2 AO mit der auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist dem durch die Steuerstraftat geschädigten Steuergläubiger ermöglichen soll, die ihm vorenthaltenen Steuerbeträge auch nach Ablauf von vier Jahren zurückzufordern, so darf diese Grundentscheidung z.B. in Erstattungsfällen nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden. Genau dies wäre aber der Fall, wollte man den Ablauf der Feststellungsfrist durch die wegen Steuerhinterziehung verlängerte Festsetzungsfrist hemmen. Denn dann würde der Steuerpflichtige, der seine Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht vorschriftsgemäß erklärt hat, nur deshalb begünstigt, weil er darüber hinaus Steuern hinterzogen hat. Er könnte nun noch innerhalb der (verlängerten) Feststellungsfrist Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften geltend machen, während derjenige, der keine Steuerhinterziehung begangen hat, diese Möglichkeit nicht hätte.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 20.11.2012 – IX R 30/12

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