OFD Nürnberg, 17.7.2003, S 0223 - 20/St 24

In Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung dient es unter bestimmten Voraussetzungen der Effektivität der Besteuerung und dem Rechtsfrieden, wenn sich die Beteiligten über die Annahme eines bestimmten Sachverhalts und über eine bestimmte Sachbehandlung einigen können (AEAO, Nr. 1 zu § 88 AO).

Diese tatsächliche Verständigung kann nach der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 30.1.1985, BStBl 1985 II S. 345, vom 5.10.1990, BStBl 1991 II S. 45 und vom 6.2.1991, BStBl 1991 II S. 673) in jedem Stadium des Veranlagungsverfahrens, insbesondere auch anlässlich einer Außenprüfung und während eines anhängigen Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelverfahrens (z.B. im Rahmen einer Erörterung nach § 364a AO) getroffen werden. Beabsichtigen die Beteiligten, sich auf diese Weise über eine bestimmte Sachbehandlung zu verständigen, sind folgende Grundsätze zu beachten:

 

1. Zulässigkeit

Die tatsächliche Verständigung ist ausschließlich im Bereich der Sachverhaltsermittlung zulässig. Die tatsächliche Verständigung ist nicht zulässig

  • zur Klärung zweifelhafter Rechtsfragen,
  • über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen,
  • über die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften und
  • wenn sie zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.

Eine tatsächliche Verständigung ist aber insoweit möglich, als im Rahmen einer rechtlichen Beurteilung über eine Vorfrage zum Sachverhalt zu entscheiden ist. (vgl. BFH-Urteile vom 13.8.1997, BFH/NV 1998 S. 498 und vom 1.2.2001, BStBl 2001 II S. 520).

 

2. Voraussetzungen

Voraussetzung für eine tatsächliche Verständigung ist das Vorliegen eines Sachverhalts, der nur unter erschwerten Umständen ermittelt werden kann. Das ist z.B. der Fall, wenn sich einzelne Sachverhalte nur

  • mit überdurchschnittlichem Arbeits- und Zeitaufwand und/oder
  • mit überdurchschnittlicher Zeitdauer ermitteln lassen.

Bei der Frage, ob eine erschwerte Sachverhaltsermittlung vorliegt, kann auch auf das Verhältnis zwischen voraussichtlichem Arbeitsaufwand und steuerlichem Erfolg abgestellt und ferner berücksichtigt werden, in welchem Maß das FA durch ein zu erwartendes finanzgerichtliches Verfahren belastet wird, sofern es bei vorhandenen tatsächlichen Zweifeln dem Begehren des Steuerpflichtigen nicht entspricht und zu seinem Nachteil entscheidet.

 

3. Anwendungsbereich

Die tatsächliche Verständigung kommt insbesondere in Fällen in Betracht, in denen ein

  • Schätzungsspielraum,
  • Bewertungsspielraum,
  • Beurteilungsspielraum oder
  • Beweiswürdigungsspielraum

besteht. Die tatsächliche Verständigung unterscheidet sich von der verbindlichen Auskunft dadurch, dass sie sich ausschließlich auf abgeschlossene Sachverhalte bezieht.

 

4. Durchführung

Die tatsächliche Verständigung dient der Herstellung des Rechtsfriedens und der Vermeidung von Rechtsbehelfen, indem der Arbeits- und Zeitaufwand für die Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts auf ein vertretbares Maß beschränkt werden soll. In Fällen, denen keine wesentliche Bedeutung zukommt, soll eine Einigung außerhalb einer tatsächlichen Verständigung angestrebt werden. Es kann z.B. eine (ggf. auch fernmündliche) Einigung in Form einer Absprache für die Behandlung im Besteuerungsverfahren mit anschließendem Aktenvermerk getroffen werden. Die Abgrenzung hat sich an der Bedeutung des Gesamtsteuerfalles zu orientieren; hierbei ist nicht kleinlich zu verfahren.

Bei der Durchführung der tatsächlichen Verständigung ist Folgendes zu beachten:

4.1 Wird der Steuerpflichtige vertreten, muss eine entsprechende Vollmacht vorliegen. Eine uneingeschränkte Vollmacht gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 AO umfasst auch die Befugnis zu einer tatsächlichen Verständigung.

4.2 Auf Seiten des Finanzamts muss ein für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger beteiligt sein (vgl. BFH-Urteil vom 5.10.1990, BStBl 1991 II S. 45). Das sind z.B. neben dem Amtsleiter der zuständige Sachgebietsleiter des Veranlagungsbereichs und der Sachgebietsleiter der Rechtsbehelfstelle und der BNV, falls die Verständigung im Rahmen eines bei diesem Arbeitsbereich anhängigen Verfahren getroffen wird (vgl. BFH-Urteil vom 25.11.1997, BFH/NV 1998 S. 580, für den Rechtsbehelfsstellenleiter). Diese Beschränkung auf den Sachgebietsleiter ergibt sich aus der Zeichnungsrechtsregelung für die Finanzämter (vgl. Verfügungen OFD München vom 15.4.1999, O 1543 – 100/5 und OFD Nürnberg vom 14.4.1999, O 1543 – 53/St 11, jeweils Anlage 2 Tz. 1.4). Die Vereinbarung einer tatsächlichen Verständigung betrifft stets Fälle erschwerter Sachverhaltsermittlung und fällt deshalb unter den Zeichnungsrechtsvorbehalt des Sachgebietsleiters („Vorgänge von tatsächlicher Schwierigkeit”).

4.3 War an dem Abschluss einer tatsächlichen Verständigung ein für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger nicht beteiligt, kann dieser Mangel nicht durch nachträgliche Zustimmung geheilt werden (vgl. Rechtssatz in BFH-Urteil vom 28.7.1993, BFH/NV 1994 S. 290). Von einer wirksamen Beteiligung kann auch nicht ausgegangen werden, wenn...

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