Rz. 19

[Autor/Stand] Bekanntlich waren die den Erwerb von Betriebsvermögen begünstigenden Normen des reformierten, seit 1.1.2009 geltenden ErbStG verfassungswidrig. Trotzdem gewährte das Bundesverfassungsgericht, verknüpft mit einer Weitergeltungsanordnung, dem Gesetzgeber, wie gewohnt, erneut eine Frist zur Beseitigung dieser Situation: Spätestens am 30.6.2016 musste geliefert werden.[2] Tatsächlich wurde die verlangte Neuregelung erst am 9.11.2016 verkündet – nach deutlichem Druck des Vorsitzenden des Ersten BVerfG-Senats.[3]

 

Rz. 19.1

[Autor/Stand] Man mag diese Säumnis des Gesetzgebers kritisieren (s. Rz. 5). Doch immerhin versuchte er sie zu heilen. Mit dem Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts[5] v. 4.11.2016 ordnete er zugleich dessen Inkrafttreten ab dem 1.7.2016 an (Art. 3). Deshalb sind nach Abs. 12 Satz 1 die dort genannten Vorschriften des ErbStG ausdrücklich rückwirkend anzuwenden auf Steuerentstehungszeitpunkte nach dem 30.6.2016; ergänzende Regelungen enthalten Sätze 2 und 3 für Fälle, in denen der sog. Verschonungsabschlag in Großfällen durch Zusammenrechnung mit früheren Erwerben gemindert wird oder entfällt und ein Steueranspruch dadurch erst nach dem 30.6.2016 entsteht.[6]

 

Rz. 19.2

[Autor/Stand] Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung? In der Gesetzesbegründung findet sich in diesem Zusammenhang die Behauptung, aufgrund der Fristsetzung des Bundesverfassungsgerichts habe sich kein Vertrauen auf den Bestand des bisherigen Rechts über den 30.6.2016 hinaus gebildet.[8] Erste Zweifel wurden bereits geäußert.[9] Und mittlerweile befinden sich wohl schon wieder einige Kläger auf dem Weg zum Bundesverfassungsgericht.[10]

[Autor/Stand] Autor: Hartmann, Stand: 01.09.2021
[3] Pressemitteilung Nr. 41/2016 v. 14.7.2016.
[Autor/Stand] Autor: Hartmann, Stand: 01.09.2021
[5] Eine euphemistisch anmutende Titulierung?
[6] Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 37 ErbStG Rz. 67 f.
[Autor/Stand] Autor: Hartmann, Stand: 01.09.2021
[8] BT-Drucks. 18/8911 v. 22.6.2016, S. 51.
[9] Kien-Hümbert in Moench/Weinmann, § 37 ErbStG Rz. 24 (m.w.N.).
[10] S. FG Köln v. 8.11.2018 – 7 K 3022/17, EFG 2019, 455 m. Anm. Neu (Rev. BFH: II R 1/19); hierzu Hennigfeld, DB 2019, 461; Wachter, DB 2019, 688.

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