Rz. 25.11

[Autor/Stand] Bei der verwaltungsmäßigen Umsetzung waren verfahrensrechtliche Fragen zu diskutieren. Bei erster Betrachtung führt die gesetzliche Neuregelung zum Ansatz der Grundbesitzwerte nach dem Sechsten Abschnitt des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes, die tendenziell über den bisher maßgebenden Werten liegen. Ebenfalls war zunächst davon ausgegangen worden, dass eine höhere Bewertung im Einzelfall ausgeschlossen ist, weil § 176 AO Vertrauensschutz gewährt. Damit konnte die Rückwirkung zwar als Kritik am Gesetzgeber verstanden werden, jedoch hatte der Steuerzahler hieraus keine Nachteile zu erwarten.

 

Rz. 25.12

[Autor/Stand] Bei näherer Betrachtung ist dies jedoch nicht so eindeutig, weil – zumindest formal – durchaus bezweifelt werden kann, ob der Vertrauensschutz des § 176 AO angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts greift.

 

Rz. 25.13

[Autor/Stand] Die Finanzverwaltung hatte mit Blick auf die beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren bereits 2011 durch gleich lautende Erlasse vom 17.6.2011[4] angeordnet, dass Festsetzungen der Grunderwerbsteuer, diegem. § 8 Abs. 2 GrEStG die Steuer nach den Grundbesitzwerten bemessen, sowie die hierfür maßgeblichen Feststellungen der Grundbesitzwerte und Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen nach § 17 Abs. 2 und 3 GrEStG im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten hinsichtlich der Frage, ob die Heranziehung der Grundbesitzwerte i.S.d. § 138 BewG als Bemessungsgrundlage für die GrESt verfassungsgemäß ist, vorläufig nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO durchzuführen.

 

Rz. 25.14

[Autor/Stand] Nachdem die Ersatzbemessungsgrundlage in den Fällen des § 8 Abs. 2 GrEStG nunmehr der Grundbesitzwert i.S.d. § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 157 Abs. 1 bis 3 BewG und die gesetzliche Neuregelung rückwirkend auf Erwerbsvorgänge anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2008 verwirklicht werden,[6] sind zunächst die gleich lautenden Erlasse vom 17.6.2011[7] durch gleich lautende Erlasse v. 5.10.2015[8] aufgehoben worden. Dabei wurde angekündigt, dass es noch eine besondere Weisung zur weiteren Bearbeitung bisher vorläufig durchgeführter Festsetzungen und Feststellungen nach Inkrafttreten der Neuregelung geben werde.

 

Rz. 25.15

[Autor/Stand] Grund dafür war die erforderliche Würdigung der folgenden Fallgestaltungen, die in der Praxis im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Gesamtschuldnern[10] aufgetreten waren:

 

Beispiel 1:

Das Finanzamt erteilt X im Januar 2015 einen Grunderwerbsteuerbescheid, wobei die Grunderwerbsteuer nach § 8 Abs. 2 GrEStG nach den Grundbesitzwerten bemessen wurde. Gesamtschuldner der Steuer sind X und Y. Sowohl der Grunderwerbsteuerbescheid als auch die Feststellung des Grundbesitzwerts ergingen vorläufig im Hinblick auf das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren. Da X die GrESt nicht zahlt, soll Y als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden. Dabei ist zu entscheiden, ob es insoweit zulässig ist, den Grundbesitzwert nach § 8 Abs. 2 GrEStG n.F. anzusetzen mit der Folge, dass sich eine höhere Steuerfestsetzung ergibt.

 

Beispiel 2:

Wie Beispiel 1, jedoch zahlt X die Steuer. Auch hier würde die Anwendung des § 8 Abs. 2 GrEStG n.F. zu einer höheren Steuerfestsetzung führen, die allerdings wegen § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gegenüber X jedoch nicht möglich ist. Deshalb ist zu entscheiden, ob Y in Höhe der Differenz (erstmalig) in Anspruch genommen werden kann.

 

Rz. 25.16

[Autor/Stand] Die Inanspruchnahme des Y als Gesamtschuldner erscheint wohl grundsätzlich nicht ausgeschlossen.

Im Beispiel 1 stützt diese Auffassung, dass § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nur Fälle der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden betrifft. Da es sich gegenüber Y um eine Erstfestsetzung handelt, steht die Vorschrift dem Wortlaut nach einer höheren Steuerfestsetzung gegenüber Y nicht entgegen. Auch nach sinngemäßer Auslegung muss § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO der Anwendung des § 8 Abs. 2 GrEStG n.F. bei der Grunderwerbsteuerfestung gegenüber Y nicht entgegenstehen, weil X und Y als Gesamtschuldner nach § 13 Nr. 1 GrEStG in Anspruch genommen werden können. Nach dieser Vorschrift sind Schuldner der Grunderwerbsteuer die an einem Erwerbsvorgang beteiligten Personen. Daher schuldet Y neben X die gesamte Leistung.[12] Ist die Steuer von demjenigen der Gesamtschuldner, der zunächst in Anspruch zu nehmen wäre (X), nicht mehr zu erlangen, so entfällt das grundsätzlich erforderliche Auswahlermessen. Vielmehr hat das Finanzamt zur Geltendmachung des entstandenen Steueranspruchs Y zur Steuerzahlung heranzuziehen. Die Tatsache, dass sich der Steueranspruch durch die Entwicklung der Rechtsprechung und der Rechtslage zwischenzeitlich erhöht hat, geht zu Lasten des Y. Zudem ist gegenüber Gesamtschuldnern eine Festsetzung in unterschiedlicher Höhe grundsätzlich möglich ist.[13]

Im Beispiel 2 steht § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO der Anwendung des § 8 Abs. 2 GrEStG n.F. bei der Grunderwerbsteuerfestsetzung gegenüber Y ebenfalls nicht entgegen. Die Finanzverwaltung ist ...

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