Rz. 452

Nach § 153 Abs. 1 AO wird die Berichtigungspflicht nur ausgelöst, wenn der Anzeigenpflichtige nachträglich sowohl die Fehlerhaftigkeit der Erklärung als auch die sich daraus (möglicherweise) ergebende Steuerverkürzung positiv erkannt hat. Es ist insoweit also zwischen einem objektiven – die Unrichtigkeit der Erklärung – und einem subjektiven – das positive Erkennen – Element zu unterscheiden.

 

Rz. 453

Subjektiv muss der Anzeigepflichtige die Unrichtigkeit nachträglich positiv erkannt haben, denn sonst entsteht keine Berichtigungspflicht. Folglich besteht keine Berichtigungspflicht, wenn der Anzeigepflichtige seine Berichtigungspflicht fahrlässig nicht erkannt hat. Dies gilt selbst dann, wenn der Pflichtige seinen Fehler leicht hätte erkennen können und insoweit leichtfertig handelt.[1]

 

Rz. 454

Im Hinblick auf das subjektive Element ist folglich festzustellen, dass § 153 Abs. 1 AO nicht eingreift, wenn der Täter von Anfang an vorsätzlich gehandelt hat. Hier kann er schon nach dem Wortsinn die Mängel seiner Steuererklärungen und deren steuerverkürzende Wirkung nicht "nachträglich erkennen", denn er hatte ja bereits vorher positive Kenntnis.[2]

 

Rz. 455

Nach Ansicht des BGH[3] kann sich allerdings auch aus einem nachträglichen Vorsatzwechsel von einem bedingten Vorsatz zu einem direkten Vorsatz ein nachträgliches Erkennen und damit eine Anzeigepflicht i. S. d. § 153 AO ergeben (vgl. Rz. 397). Erfährt der Täter in der Folge z. B. durch die Mitteilung eines Betriebsprüfers oder seines Steuerberaters, dass sein Vorgehen nicht nur eventuell, sondern mit Sicherheit eine Steuerhinterziehung darstellt, so ändert sich sein Vorsatz damit nachträglich von einem bedingten Vorsatz zu einem direkten Vorsatz. Geht man von dieser Rechtsprechung aus, muss der Täter der bedingt vorsätzlichen Steuerhinterziehung sich jedoch selbst einer Straftat bezichtigen, sodass ein Verstoß gegen den nemo-tenetur-Grundsatz vorliegt.[4] Folglich ist diese Ansicht abzulehnen.

 

Rz. 455a

Joecks weist allerdings zu Recht darauf hin, dass sich aus der Rechtsprechung des BGH die Folge ergibt, dass im Fall einer lediglich bedingt vorsätzlichen Steuerhinterziehung, bei der es während einer laufenden Betriebsprüfung zu einem Vorsatzwechsel kommt, eine Berichtigungspflicht ergibt. Dann muss es aber auch möglich sein – trotz der laufenden Außenprüfung[5] – durch die Erfüllung der Berichtigungspflicht ein Verfahrenshindernis herbeizuführen. Diese Folge zu vermeiden würde z. B. eine teleologische Reduktion des § 371 Abs. 4 AO erfordern.[6]

 

Rz. 456

Eine weitere Problematik im Rahmen des § 371 Abs. 4 AO ergibt sich im Hinblick auf pflichtwidrig unterlassene Steuererklärungen, die nach dem klaren Wortlaut von § 153 AO nicht erfasst werden.[7] Anknüpfungspunkt der Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO ist die eigene abgegebene Steuererklärung, Voraussetzung für die Korrekturpflicht ist somit die Abgabe einer Erklärung.[8] Ist die Erklärung noch nicht abgegeben, so besteht die Steuererklärungspflicht gem. § 149 AO unverändert fort[9], eine Pflicht nach § 153 AO entsteht noch nicht. In Ermangelung einer entsprechenden Pflicht ist auch § 371 Abs. 4 AO nicht anwendbar. Dies führt zu einer unterschiedlichen Behandlung von unrichtig bzw. unvollständig abgegebenen Erklärungen und pflichtwidrig unterlassenen Erklärungen:

Im erstgenannten Fall begründet § 153 Abs. 1 AO für den Nachfolger eine Anzeigepflicht, deren Erfüllung dem Stpfl. gem. § 371 Abs. 4 AO profitieren lässt. Wurde die Erklärung hingegen pflichtwidrig gar nicht abgegeben, ist der Nachfolger zwar auch zur Nachholung der Erklärung verpflichtet, § 371 Abs. 4 AO greift jedoch nicht zugunsten des Stpfl. ein. Da ein sachlicher Grund für diese Differenzierung nicht ersichtlich ist, wird daraus die Forderung nach einer analogen Anwendung des Abs. 4 auf Steuerhinterziehungen durch Unterlassen abgeleitet.[10] Auch insoweit dürfte allerdings zu beachten sein, dass § 371 Abs. 4 AO und dem sich aus der Norm ergebenden Verzicht auf Strafverfolgung Ausnahmecharakter zukommt, sodass diese Norm folglich restriktiv auszulegen sein dürfte (vgl. Rz. 11). Mithin ist eine analoge Anwendung nicht angezeigt.

 

Rz. 456a

Die Auswirkungen dieser restriktiven Auslegung des § 371 Abs. 4 AO werden in der Praxis allerdings dadurch gemindert, dass die Möglichkeit besteht, die Fremdanzeige gleichzeitig als in verdeckter Stellvertretung abgegebene Selbstanzeige zu deuten. Ist dies der Fall, so kann auch derjenige, der die Ursprungserklärung nicht abgegeben hat, durch die Anzeige des nach § 153 AO Verpflichteten Straffreiheit erlangen.[11]

 

Rz. 457

§ 371 Abs. 4 AO ist hingegen anwendbar, wenn die Finanzbehörde wegen der unterlassenen Abgabe einer Steuererklärung gem. § 162 AO die Besteuerungsgrundlage zu niedrig geschätzt hat, denn daraus ergibt sich ebenfalls eine Berichtigungspflicht, sobald der Stpfl. die unzutreffende Steuerfestsetzung bemerkt.

[1] Beckemper, in HHSp, AO/FGO, 245. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 217 m. w. N.; Heuermann, in HHS...

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