Rz. 23

Die Aufgabe der Fahndung, "unbekannte Steuerfälle" aufzudecken und zu ermitteln, resultiert aus der finanzbehördlichen allgemeinen Steueraufsichtspflicht.[1] Nach § 85 S. 2 AO haben die Finanzbehörden insbesondere sicherzustellen, dass Steuern nicht verkürzt und Steuererstattungen bzw. Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt werden. Damit sollen aber nicht nur fiskalische Interessen des Staates gesichert werden; vielmehr dient die Steueraufsicht letztlich der Sicherstellung einer gleichmäßigen Besteuerung.[2] Im Verwaltungsverfahren wegen Abgabenangelegenheiten[3] sind der Finanzbehörde Befugnisse zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen[4] übertragen. Diese Ermittlungsbefugnisse im Besteuerungsverfahren bestehen nach der eindeutigen Gesetzessystematik aber nur im konkreten Steuerfall, d. h., der Finanzbehörde muss die Person des Beteiligten[5] bekannt sein, gegen die sie das Verwaltungsverfahren führen will. Die §§ 88ff. AO geben der Finanzbehörde keine Befugnis, nach unbekannten Stpfl. zu suchen.[6] Erst wenn ihr der Stpfl. bekannt ist, kann sie das Verwaltungsverfahren beginnen[7] und die Besteuerungsgrundlagen ermitteln. Das der im Besteuerungsverfahren tätigen Finanzbehörde in den §§ 88ff. AO gegebene Instrumentarium zur steuerlichen Ermittlung ist also zur Erfüllung der in § 85 AO gestellten Aufgabe nicht ausreichend. Diese Verfahrenslücke wird durch § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO geschlossen, der der Finanzbehörde in der Organisationsform der Fahndung die Aufgabe der Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle überträgt. Die Fahndung besitzt für diese Aufgabe die ausschließliche sachliche Zuständigkeit.

 

Rz. 24

Die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle umfasst nicht nur Nachforschungen nach unbekannten Stpfl., sondern auch Nachforschungen bei bekannten Stpfl. nach bisher unbekannten steuerlichen Sachverhalten . Unter diesem Gesichtspunkt liegt ein "unbekannter Steuerfall" vor, wenn noch ungewiss ist, ob durch einen – ggf. noch unbekannten – Stpfl. ein Sachverhalt verwirklicht wurde, der einen – ggf. noch nicht geltend gemachten – Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis begründet hat.[8] Die "Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle" nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO umfasst damit Nachforschungen sowohl nach unbekannten Stpfl. als auch bei bekannten Stpfl. nach bisher unbekannten steuerlichen Sachverhalten[9], also zwei Tätigkeitsbereiche, die zwar inhaltlich zusammengehören; dies bedeutet aber nicht, dass sie auch organisatorisch als Verfahrenseinheit gesehen werden müssen. Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen bei bekannten Stpfl. könnte zwar auch durch die steuerlich zuständige Finanzbehörde geleistet werden, hierdurch wird aber der Fahndung die Ermittlungsbefugnis nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO nicht genommen[10], weil insoweit eine konkurrierende Ermittlungsbefugnis besteht (s. Rz. 11). Vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Willens, der Gesetzessystematik und des Sinngehalts ist § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO dahingehend auszulegen, dass es nicht nur Aufgabe der Fahndung sein soll, "unbekannte Steuerfälle" aufzudecken, sondern auch die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen zu führen, mit dem der allgemeinen Steueraufsicht immanenten Ziel festzustellen, ob die Steuer zutreffend erhoben wurde.[11] § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO begründet demgemäß für die Fahndung die Befugnis, diesen "Fall" über die Entdeckung des Stpfl. hinaus kraft eigenen Rechts in vollem Umfang steuerlich zu ermitteln. Im Rahmen des § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO können demgemäß auch bei bekannten Stpfl. die Ermittlungen durch die Fahndung fortgeführt werden. Inhaltlich entspricht § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO dem Regelungsinhalt der Fahndungsaufgaben nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO.

Nicht erforderlich ist, dass objektiv die Möglichkeit einer Steuerverkürzung bestehen muss und dass Ermittlungen nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO ausgeschlossen sind, wenn Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist.[12]

 

Rz. 24a

Die Maßnahmen zur Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle sind dem steuerlichen Ermittlungsverfahren zunächst vorgelagerte "steuerliche Vorfeldermittlungen". Diese sind nicht zu verwechseln mit "strafrechtlichen Vorermittlungen" die einem Strafverfahren vorgelagert sein können, um aufzuklären, ob überhaupt ein Anfangsverdacht[13] vorliegt und wer als Tatbeteiligter oder als Zeuge in Betracht kommt.[14] Für eine effektive Arbeit im Bereich der Vorfeldermittlungen werden zunehmend neue Organisationsformen innerhalb der Fahndung eingerichtet. So wurden in einigen Bundesländern innerhalb der Fahndung besondere Einheiten geschaffen, deren Zweck die Ermittlung unbekannter Steuerfälle ist.[15] Danach gehört zu den Aufgaben dieser Sondereinheit u. a. die systematische Aufarbeitung risikoträchtiger Prüffelder und Erschließung sämtlicher dazu verfügbarer Informationen im Rahmen der Steueraufsicht. Dabei handelt es sich nicht um eine unzulässige "Rasterfahndung",...

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