Rz. 3

Rechtmäßige belastende Verwaltungsakte können nach pflichtgemäßem Ermessen der Finanzbehörde jederzeit widerrufen werden, ohne dass Einschränkungen in der Widerrufbarkeit bestehen. Der Widerruf kann bei Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder der Rechtslage erfolgen; der belastende Verwaltungsakt kann, auch ohne dass eine solche Änderung eingetreten ist, widerrufen werden. Weder die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts noch seine Bestätigung durch eine bestandskräftige Gerichtsentscheidung verhindert den Widerruf.[1] Der Widerruf steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Dieses Ermessen ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar.[2]

Die Behörde kann also auch dann widerrufen, wenn sie bei einem belastenden Dauerverwaltungsakt ihre rechtmäßigen Ermessenserwägungen durch andere, ebenfalls rechtmäßige Ermessenserwägungen ersetzen will.

 

Rz. 4

Von diesem Grundsatz der freien Widerrufbarkeit bestehen jedoch zwei Ausnahmen. Müsste die Verwaltung nach dem Widerruf einen Verwaltungsakt gleichen Inhalts erlassen (also in Bereichen, in denen der Finanzverwaltung kein Ermessen zusteht), so würde sie sich mit einem Widerruf mit ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch setzen und durch den Widerruf einen rechtswidrigen Zustand schaffen. Ein Widerruf ist in diesen Fällen nicht möglich.

Ausgeschlossen ist die Widerrufbarkeit auch, wenn sich das sonst aus Rechts- und Verwaltungsvorschriften ergibt; das kann etwa bei der Auftragsverwaltung[3] im Rahmen des Weisungsrechts der obersten Bundesbehörden der Fall sein.

 

Rz. 5

Aus dem Grundsatz, dass der Widerruf nur Wirkung für die Zukunft entfalten kann (Rz. 1), ergibt sich mittelbar ein Verböserungsverbot bei der Festsetzung steuerlicher Nebenleistungen. War etwa ein Zwangsgeld rechtmäßig festgesetzt, wäre aber auch die Festsetzung eines höheren Zwangsgelds ermessensfehlerfrei, dann wäre eine Erhöhung nur möglich, wenn die erste Festsetzung mit Wirkung für die Vergangenheit beseitigt werden könnte; damit erhielte die Finanzbehörde die Möglichkeit einer erneuten Regelung[4], die sie durch die Festsetzung eines höheren Zwangsgelds ausnützen könnte. Die Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit ist aber nur bei rechtswidrigen, nicht bei rechtmäßigen Verwaltungsakten möglich[5], eine Verböserung daher ausgeschlossen.

Aus der genannten Regelung ergibt sich aber auch ein Verbot zur Beseitigung einer rechtmäßigen Belastung des Betroffenen. Ist etwa ein Zwangsgeld rechtmäßig festgesetzt worden und hält die Behörde nun ein geringeres (oder gar kein) Zwangsgeld für zweckmäßig, kann eine Herabsetzung nicht erfolgen, da ein Widerruf für die Zukunft sinnlos wäre.[6] Nach dem Wortlaut des § 131 AO müsste das Zwangsgeld bestehen bleiben. Entsprechendes gilt für einen rechtmäßig festgesetzten Verspätungszuschlag; er kann aus Ermessensgründen nicht widerrufen werden, da der Widerruf nicht zurückwirkt.[7]

In Erweiterung der gesetzlichen Regelung sollte jedoch, entspr. § 130 Abs. 1, angenommen werden, dass eine Belastung, die rechtmäßig ist, mit Wirkung für die Vergangenheit beseitigt werden kann.[8] § 49 Abs. 3 VwVfG sieht für bestimmte Verwaltungsakte über Geldleistungen auch den Widerruf für die Vergangenheit vor; bei § 131 fehlt aber eine entsprechende Vorschrift.

[4] M. Frotscher, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 130 AO Rz. 15.
[5] M. Frotscher, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 130 AO Rz. 31.
[7] Zum Verspätungszuschlag vgl. auch Dißars, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 152 AO Rz. 38ff.
[8] Ebenso – mit weiteren Differenzierungen – Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 49 VwVfG Rz. 75.

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