6.1 Rechtsschutz gegen die Abgabe an die Staatsanwaltschaft

 

Rz. 46a

Gegen die Abgabe der Sache durch die Finanzbehörde an die Staatsanwaltschaft nach § 386 Abs. 4 S. 1 AO hat der Beschuldigte keine Rechtsschutzmöglichkeiten. Dem Beschuldigten bleiben lediglich formlose Rechtsbehelfe, wie Gegenvorstellung oder Dienstaufsichtsbeschwerden.[1]

Ein Anspruch des Beschuldigten auf Evokation durch die Staatsanwaltschaft besteht ebenfalls nicht. Der Beschuldigte kann dies jedoch anregen. Macht der Beschuldigte geltend, die Finanzbehörde handele nicht rechtmäßig, so stehen ihm sämtliche Rechtsschutzmöglichkeiten zu, die auch bei Tätigwerden der Staatsanwaltschaft hätte.

6.2 Rechtsschutz bei Kompetenzüberschreitungen

 

Rz. 47

Im Hinblick auf das grundsätzliche Ermittlungs- und Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft kommt eine Kompetenzüberschreitung durch diese nicht in Betracht.[1] Beginnt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wegen derselben Steuerstraftat in Unkenntnis eines schon von der Finanzbehörde eingeleiteten Verfahrens, so hat diese Doppelermittlung keine verfahrensrechtlichen Folgen. Solche Doppelermittlungen sind auch bei verschiedenen örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften denkbar, ohne dass hierdurch Ermittlungsmaßnahmen etwa rechtswidrig wären. Ist bei der zuständigen Finanzbehörde noch kein Verfahren anhängig, so muss der staatsanwaltschaftliche Ermittlungsbeginn als Evokation gesehen werden.

 

Rz. 48

Ermittelt die Finanzbehörde demgegenüber in selbstständiger Ermittlungskompetenz, also in staatsanwaltschaftlicher Rechtsstellung, obgleich die Voraussetzungen des § 386 Abs. 2 AO nicht vorliegen, sei es, dass die Finanzbehörde dies nicht erkennt, sei es, dass sie ihre Kompetenz wissentlich überschreitet, so sind diejenigen Maßnahmen rechtswidrig, die von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft nicht getroffen werden dürfen, z. B. die Anordnung der Vorführung des Beschuldigten bei Nichterscheinen nach ordnungsgemäßer Ladung. Im Übrigen sind die getroffenen Maßnahmen rechtswirksam.[2]

 

Rz. 49

Beantragt die Finanzbehörde den Erlass eines Strafbefehls nach § 400 AO, obgleich ihr die Abschlussbefugnis nicht zusteht, so ist dieser Antrag vom Amtsgericht als unzulässig abzuweisen.[3] Wird der Strafbefehl ohne Zurückweisung durch das Gericht erlassen, so wird seine Rechtmäßigkeit durch die Kompetenzüberschreitung der Finanzbehörde nicht berührt.[4] Der Strafbefehl ist jedoch anfechtbar. Das Gericht wird den Strafbefehl in diesem Falle aufheben. Weist das Gericht den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls aus Sicht der Finanzbehörde zu Unrecht wegen fehlender Zuständigkeit ab, so kann sie, nicht die Staatsanwaltschaft, gegen diese Entscheidung eine sofortige Beschwerde entsprechend §§ 408 Abs. 2, 210 Abs. 2 StPO erheben.[5]

[2] Für Rechtswidrigkeit insgesamt aber Wannemacher/Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 386 AO Rz. 42.
[3] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 386 AO Rz. 38.
[4] Klein/Jäger, AO, 14. Aufl. 2020, § 386 AO Rz. 15.
[5] Tormöhlen, in HHSp, AO/FGO, § 400 AO Rz. 65.

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