Rz. 348

Auf der Basis der strafrechtlichen Rechtsnatur der Nachentrichtungspflicht ergibt sich zwangsläufig, dass die Konkretisierung der Nachentrichtungspflicht durch ein Strafverfolgungsorgan zu erfolgen hat. § 371 Abs. 3 AO ist demgemäß auch als Regelung hinsichtlich der funktionellen und sachlichen Zuständigkeit für die Nachfristsetzung anzusehen.[1] Funktionell zuständig ist das Strafverfolgungsorgan, das nach dem jeweiligen Stand des strafrechtlichen Erkenntnisverfahrens über die Fortführung der Ermittlungen bzw. über die Verurteilung zu befinden hat.[2]

 

Rz. 349

Dies ist, soweit das Ermittlungsverfahren i. S. v. § 386 Abs. 2 AO selbstständig von der Finanzbehörde geführt wird, die Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 AO, die für das Steuerstrafverfahren zuständig ist, also i. d. R. die Bußgeld- und Strafsachenstelle.[3] Die übrigen Finanzbehörden i. S. v. § 6 AO haben nach § 399 Abs. 2 AO insoweit keine Entscheidungsbefugnis.[4] Dies gilt auch für die Zollfahndungsämter bzw. die Steuerfahndungsdienststellen da ihnen nicht die Rechtsstellung der Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 AO zukommt.[5]

 

Rz. 350

Führt nach § 386 Abs. 2 AO die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren, so hat ausschließlich diese über die Konkretisierung der Nachentrichtungspflicht zu befinden. Ist das Strafverfahren bereits im Stadium des gerichtlichen Verfahrens, so entscheidet das Gericht der Hauptsache in der jeweiligen Instanz.

Die sachliche und örtliche Zuständigkeit bestimmt sich im Übrigen nach den strafprozessualen Zuständigkeitsregelungen.[6]

 

Rz. 351

Die funktionelle und sachliche Zuständigkeitszuweisung nach § 371 Abs. 3 AO bewirkt, dass Steuerfestsetzungen und Leistungsgebote der für das Besteuerungsverfahren zuständigen Finanzbehörden i. S. v. § 6 AO keinen Einfluss auf den Ausschluss der Straffreiheit haben.[7] Die Nichtzahlung oder nicht fristgerechte Zahlung nach einem steuerlichen Leistungsgebot, auch nach Mahnung im steuerlichen Erhebungsverfahren, berührt die Anwartschaft auf die Straffreiheit nicht.

 

Rz. 352

§ 371 Abs. 3 AO gewährt dem funktionell, sachlich und örtlich zuständigen Strafverfolgungsorgan keine Delegationsbefugnis hinsichtlich der Konkretisierung der Nachentrichtungspflicht. Eine unzulässige Delegation i. d. S. liegt z. B. vor, wenn die Bußgeld- und Strafsachenstelle das Ende der Nachentrichtungspflicht undatiert auf das Ende der regulären steuerlichen Nachentrichtungsfrist bestimmt und der Fristbeginn damit von dem Erlass und den zeitlichen Zufälligkeiten der Bekanntgabe des Steuer- und Haftungsbescheids und des Leistungsangebots abhängig ist.[8]

[1] AG Berlin-Tiergarten v. 29.1.1986, 328 1 St 3286 Ls 251/85, DB 1986, 2210; Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 371 Rz. 225.
[2] Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 163; Kohler, in MüKo StGB Bd. 7, 2. Aufl., § 371 AO Rz. 154.
[3] BFH v. 17.12.1981, IV R 94/77, BStBl II 1982, 352; LG Hamburg v. 4.3.1987, (50) 187/86 Ns, wistra 1988, 317; Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 164; Rolletschke, DStZ 1999, 288.
[4] A. A. Blesinger, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 22. Aufl. 2018, § 371 AO Rz. 29, wonach die Nachentrichtungsfrist auch von den VeranlagungsFÄ wirksam gesetzt werden kann.
[7] Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 369.
[8] Nr. 11 Abs. 5 S. 1 AStBV (St) 2017.

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