Rz. 272

Die Tatentdeckung schließt nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO die Straffreiheit dann aus, wenn der Täter hiervon positive Kenntnis hat. Dies ist der Fall, wenn er aus den ihm bekannten Tatsachen den Schluss gezogen hat, eine Behörde oder ein anzeigewilliger Dritter habe von seiner Tat so umfassend Kenntnis erlangt, dass seine Verurteilung bei vorläufiger Beurteilung wahrscheinlich ist.[1] Die irrige Annahme des Selbstanzeigenden, dass die Tat entdeckt sei, hindert den Eintritt der Straffreiheit dagegen nicht.[2]

Die Kenntnis ist von den Strafverfolgungsorganen zu beweisen.[3] Tatsächliche Zweifel an der Kenntnis oder an dem Wissen um die Umstände, aus denen auf die Möglichkeit der Tatentdeckung geschlossen werden konnte, hindern nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" die Ausschlusswirkung.[4]

 

Rz. 272a

Eine Besonderheit besteht für Teilnehmer (Anstifter und Gehilfen). Nach dem klaren Wortlaut des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO ist allein auf die positive Kenntnis des Täters bzw. die Erkennbarkeit für den Täter abzustellen. Offensichtlich war dies auch vom Gesetzgeber gewollt, denn in den Nr. 1a) und 1b) des § 371 Abs. 2 S. 1 AO ist der Begriff des Täters durch den des an der Tat Beteiligten ersetzt worden. Im Gegensatz dazu ist dies in der Nr. 2 nicht geschehen, obwohl dieser Punkt bereits vor der Verschärfung des § 371 AO im Jahr 2015 in der Literatur diskutiert wurde.[5] Folglich kann ein Teilnehmer trotz objektiver Tatentdeckung solange eine wirksame Selbstanzeige abgeben, wie der Täter keine positive Kenntnis von der Tatentdeckung hat bzw. er mit der Entdeckung nicht rechnen musste. Die eigene Kenntnis der Teilnehmer oder die Erkennbarkeit für diese sind ohne Bedeutung.

[1] Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 322; Kohler, in MüKo StGB Bd. 7, 2. Aufl., § 371 AO Rz. 277; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 721.
[2] BT-Drs. 7/4292, 44; vgl. z. B. auch OLG Hamm v. 26.10.1962, 913/62, BB 1963, 459; Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 371 Rz. 176; Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 325; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 630, 726.
[3] Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 322.
[4] Vgl. Rz. 136; Blesinger, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 22. Aufl. 2018, § 371 AO Rz. 25; Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 371 Rz. 178; Blumers, wistra 1985, 85.
[5] Joecks, DStR 2014, 2262.

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