Rz. 133

Nach § 371 Abs. 1 AO hat der Selbstanzeigende die fehlerhaften oder unterlassenen Angaben zu berichtigen oder nachzuholen. Dabei treten allerdings immer wieder Situationen auf, in denen der Stpfl. gar nicht oder nicht zeitnah in der Lage ist, die exakten Angaben zu rekonstruieren.

 
Praxis-Beispiel

1. Der Einzelhändler V hat seit 2008 jeden Abend einen Betrag von ca. 100 EUR aus der Kasse genommen und nicht als Kasseneinnahme aufgezeichnet. Die exakten Beträge weiß er nicht mehr genau, weil er sie auch nicht aufgezeichnet hat.

2. Der R hat seit vielen Jahren ein Konto in der Schweiz und hat die Kapitalerträge nie erklärt. Um die Gefahr der Tatentdeckung zu verringern, hat er sich keine Auszüge schicken lassen. Nun verweigert die Bank die zeitnahe Übersendung von Erträgnisaufstellungen.

3. Der Gastronom K hat über Jahre die Kassenbelege, die von den Gästen nicht mitgenommen wurden, vor Geschäftsschluss aus der Kasse wieder ausgebucht. Die diesbezüglichen Unterlagen hat er jeweils vernichtet, sodass er den Umfang der Hinterziehung nicht exakt nachvollziehen kann.

Auf der Grundlage der schon vom RG vertretenen Rechtsauffassung, dass eine Berichtigung wahrheitsgemäß erfolgen muss, wurde in der Vergangenheit die Ansicht vertreten, dass eine Schätzung nicht als Berichtigung i. S. v. § 371 Abs. 1 AO angesehen werden könne.[1] Die Konsequenz dieser Ansicht wäre jedoch, dass nur derjenige Steuerhinterzieher eine wirksame Selbstanzeige abgeben könnte, der sein Fehlverhalten exakt aufzeichnet. Da dann – abgesehen von solchen untypischen Fällen – für alle übrigen Hinterzieher entgegen dem Zweck der Selbstanzeige eine Rückkehr zur Steuerehrlichkeit unmöglich wäre, ist nach herrschender Ansicht zu § 371 Abs. 1 AO eine Selbstanzeige durch Schätzung seitens des Selbstanzeigenden zulässig.[2] Die Selbstanzeige mit geschätzten Angaben ist geboten, da eine "Selbstanzeige dem Grunde nach" nicht in Betracht kommt (Rz. 96).

 

Rz. 134

Die Zulässigkeit von Schätzungen besteht jedoch nicht uneingeschränkt. Die Wahrheitspflicht erfordert es, dass der Anzeigende "nach bestem Wissen und Gewissen" aufgrund der ihm bekannten Umstände substanziiert ein möglichst zutreffendes steuerliches Ergebnis schätzt. Eine freie oder griffweise Schätzung ohne Grundlagen reicht hierfür aber nicht aus.[3] Der Stpfl. muss vielmehr alle steuerlich bedeutsamen Umstände, soweit sie bekannt sind oder ermittelt werden können, bei seiner Schätzung berücksichtigen.

In den Fällen, in denen sich die Einnahmen und Ausgaben gar nicht rekonstruieren lassen, ist allerdings eine (Voll-)Schätzung zulässig,[4] da an die Selbstanzeige keine höheren Anforderungen als an die Steuererklärung gestellt werden dürfen (Rz. 69). Darüber hinaus sanktioniert § 370 AO nicht die unzureichende Buchhaltung, sondern lediglich die auf diesem Verhalten basierende Steuerverkürzung.[5]

Folglich weiß die Gegenansicht, nach der die Erstattung einer Selbstanzeige bei fehlenden Aufzeichnungen ausgeschlossen sein soll[6], nicht zu überzeugen.

 

Rz. 135

Für die Wirksamkeit der Selbstanzeige ist es erforderlich, dass der Selbstanzeigende die Angaben macht, die er bei rechtmäßigem Verhalten auch in der Steuererklärung gemacht hätte (Rz. 69). Er muss folglich nicht offenlegen, dass es sich bei seinen Angaben um eine Schätzung handelt. Auch die Grundlagen seiner Schätzung muss er nur insoweit mitteilen, wie dies auch in der Erklärung erforderlich wäre.[7] Er muss jedoch in der Lage sein, bei der Überprüfung der Selbstanzeige seine Schätzungsgrundlagen und die angewandte Schätzungsmethode darzustellen.

 

Rz. 136

Eine Schätzung birgt allerdings stets eine Unsicherheit, ob auch das wahrscheinlich richtige steuerliche Ergebnis erreicht worden ist. Dies hat aber nicht zur Folge, dass bei Anwendung einer anderen Schätzungsmethode[8] durch die Finanzbehörde ein für den Anzeigenden nachteiliges Ergebnis auch strafrechtlich relevant ist. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn das unter strafrechtlichen Gesichtspunkten gefundene Schätzungsergebnis[9] von dem Schätzungsergebnis des Anzeigenden abweicht.[10] Nur dann ist die weitergehende Steuerhinterziehung strafrechtlich nachgewiesen, wobei zugunsten des Anzeigenden selbstverständlich der Grundsatz des "in dubio pro reo" zu beachten ist.

 

Rz. 137

Ist unter diesem Gesichtspunkt die Selbstanzeige unrichtig und die Schätzung des Anzeigenden zu niedrig, so ist dies nach der zutreffenden h. M.[11] bei einer geringfügigen Fehlschätzung von bis zu 5 % unschädlich (vgl. Rz. 116f).

Bei vorsätzlich fehlerhaften Angaben oder einer versehentlichen Abweichung von mehr als 5 % tritt zwar keine Straffreiheit ein, aber es kann eine Strafminderung geboten sein und eine Einstellung des Verfahrens ist nicht ausgeschlossen (vgl. Rz. 385f).

Insgesamt ist somit festzustellen, dass der Stpfl. das Risiko einer zu niedrigen Schätzung trägt.[12]

 

Rz. 138

Ist die Selbstanzeige insoweit unrichtig, dass die Schätzung des Anzeigenden zu hoch ausgefallen ist, so wird hierdurch die Wirksamkeit einer Se...

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