Rz. 96

Aufgrund des Erfordernisses der vollständigen Richtigstellung (Rz. 118ff.) begründet nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO eine Selbstanzeige ohne konkrete Angaben zu den Besteuerungsgrundlagen keine Anwartschaft auf Straffreiheit.

 
Praxis-Beispiel

Unternehmer U hat an einen Kunden K Waren ohne Rechnung geliefert. Er erfährt von K, dass anlässlich der dortigen Betriebsprüfung Kontrollmitteilungen über die Zahlungen an U, die in Form von Eigenbelegen in die Buchführung eingeflossen sind, gefertigt wurden. U teilt sofort seinem FA mit, dass die Umsätze und Erträge aus den Geschäften mit K steuerlich nicht erfasst seien, und bittet um Gewährung einer Frist von 4 Wochen für die Zusammenstellung der erforderlichen Angaben.

In einer solchen "Selbstanzeige dem Grunde nach", bei der in der ersten Erklärung nur mitgeteilt wird, dass Steuern hinterzogen wurden, liegt nur die Ankündigung einer Selbstanzeige.[1] Zweifelsfrei entspricht diese Erklärung nicht den inhaltlichen Erfordernissen des § 371 Abs. 1 AO, sodass ihr keine strafbefreiende Wirkung zukommt.[2] Verschiedentlich wurde in der Vergangenheit jedoch mit einer sehr weiten Auslegung des § 371 AO versucht, aus dieser Selbstanzeigeankündigung einen Anspruch auf ein befristetes Nachbesserungsrecht abzuleiten und den Eintritt eines Ausschlussgrunds zu verhindern, wenn nachfolgend die erforderlichen Angaben gemacht wurden.[3]

 

Rz. 97

Derartige Selbstanzeigeankündigungen sind in der Praxis durchaus üblich. Nr. 120 Abs. 1 der Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren in der bis 2003 geltenden Form[4], wonach die Finanzbehörde Gelegenheit zur Nachbesserung geben sollte, bestätigte, dass die Finanzbehörden diese Verfahrensweise geduldet haben. Diese Praxis mag ausgehend vom Zweck des § 371 AO, neue Steuerquellen aufzudecken, noch akzeptabel erscheinen[5], der Gesetzeswortlaut lässt aber einen solchen Weg, den Eintritt eines Ausschlussgrunds nach § 371 Abs. 2 S. 1 AO zu verhindern, nicht zu.[6] Die Selbstanzeigeankündigung begründet darüber hinaus i. d. R. einen strafprozessualen Anfangsverdacht, da es durch sie nach kriminalistischer Erfahrung als möglich erscheint, dass eine konkrete Steuerhinterziehung vorliegt. In diesem Fall ergibt sich aus dem Legalitätsprinzip des § 152 Abs. 2 StPO darüber hinaus, dass die Finanzbehörde nicht nur berechtigt, sondern vielmehr verpflichtet ist, ein Strafverfahren einzuleiten.[7] Auch durch diese Einleitung wird eine weitere Selbstanzeige bzw. die Vervollständigung der Selbstanzeige ausgeschlossen. Wirksam kann eine solche Selbstanzeige lediglich in dem – schwer vorzustellenden – Fall sein, in dem vor dem Eingang der die Vollständigkeit herbeiführenden (Teil-)Erklärung noch kein Sperrgrund eingetreten ist.[8] Dies könnte z. B. der Fall sein, wenn die Selbstanzeige dem Grunde nach am Samstag in den Briefkasten des FA eingeworfen wird und der die weiteren Informationen enthaltene zweite Brief direkt am folgenden Sonntag eingeworfen wird, so dass beide erst am Montag vorgefunden und zur Kenntnis genommen werden.

 

Rz. 98

Ein Rechtsanspruch auf die Fristgewährung zur Nachbesserung der Selbstanzeigeankündigung besteht nicht.[9] Würde ein Finanzbeamter eine Nachbesserungsfrist gewähren, so würde er sich damit vielmehr der Gefahr einer Strafverfolgung wegen Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB aussetzen.

Mit der "Selbstanzeige dem Grunde nach" kann die Sperrwirkung der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 S. 1 AO somit nicht umgangen werden.[10] Die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige kann nur dadurch erreicht werden, dass bereits auf der ersten Stufe der Selbstanzeige Angaben gemacht werden, die eine "vollständige Richtigstellung" i. S. d. § 371 Abs. 1 AO bewirken.[11]

 

Rz. 99

Der Begriff der "gestuften Selbstanzeige" ist nicht klar umrissen. Mit ihm wird überwiegend eine "Selbstanzeige dem Grunde nach" (Rz. 96) mit anschließender Nachlieferung der Angaben beschrieben.[12] Folglich besteht die gestufte Selbstanzeige aus mehreren, zeitlich aufeinander folgenden Erklärungen, die erst als Einheit die Anforderungen des § 371 Abs. 1 AO erfüllen und die – im Gegensatz zu Teilselbstanzeigen (Rz. 122ff.) – schon im ersten Schritt den gesamten Berichtigungssachverhalt zum Gegenstand haben, wobei die erforderliche Konkretisierung zeitverzögert erfolgt. Mit dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO dürfte die Abgabe einer aus mehreren Teilen bestehenden Selbstanzeige zwar vereinbar sein[13], es sind jedoch das Erfordernis der Vollständigkeit und das Eingreifen von Ausschlussgründen zu berücksichtigen. Folglich muss bereits die erste Erklärung so beschaffen sein, dass es den Finanzbehörden ohne größere weitere Ermittlungen möglich wird, den Sachverhalt vollends festzustellen und die zutreffende oder zu hohe Steuer zu ermitteln und festzusetzen (Rz. 69). Mithin kann eine "gestufte Selbstanzeige" wirksam sein, wenn im ersten Schritt eine nicht zu geringe Schätzung abgegeben und diese im zweiten Schritt ggf. nach unten korrigiert wird[14] oder im zweiten...

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