Rn. 36

Stand: EL 158 – ET: 06/2022

In Reaktion auf diese neue Rspr wurde § 33 EStG geändert. § 33 EStG erhielt mit dem StVereinfG v 01.11.2011 (BGBl I 2011, 2131) einen neuen Abs 4, der die Bundesregierung ermächtigte, durch Rechts-VO mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten des Nachweises ag und zwangsläufiger Aufwendungen zu bestimmen. In Erfüllung dieser Ermächtigung wurde § 64 EStDV geändert. Damit sollten die bis dahin geltenden Verwaltungsanweisungen zum Nachweis der Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten (R 33.4 EStR 2008) zur Aufrechterhaltung der früheren Rspr und Verwaltungsauffassung gesetzlich festgeschrieben werden (zum Wortlaut des § 64 EStDV nF s Abdruck oben nach dem Gesetzestext des § 33 EStG; s vor Rn 1). Dieser gesetzlichen Regelung sind als solcher keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenzusetzen (vgl BFH BStBl II 2012, 577). Danach ist nun für bestimmte Maßnahmen ein amtsärztliches Gutachten für den Nachweis erforderlich. Anderweitige Nachweise oder bloße Glaubhaftmachung scheiden in diesen Fällen aus (BFH BStBl II 2015, 586; BFH/NV 2016, 393).

Die Regelung des § 64 EStDV geht wie bisher (s R 33.4 Abs 1 EStR 2008) von dreifach gestuften Nachweisanforderungen aus. Neben der ärztlichen VO als Grundsatz (§ 64 Abs 1 Nr 1 EStDV),

kommt das amtsärztliche Gutachten oder die ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung für bestimmte Maßnahmen in Betracht.

Fehlt der Nachweis, so fehlt es an der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen. Der Nachweis hat eine eingeschränkte Tatbestandswirkung. FG und FinBeh sind grds daran gebunden (ebenso Kanzler in H/H/R, § 33 EStG Rz 243 aE, Dezember 2020). Eine andere Frage ist aber, ob ein formalisierter Nachweis im Einzelfall erforderlich war, und wenn ja, ob der formalisierte Nachweis des Amtsarztes bzw des Medizinischen Dienstes einer Prüfung standhält. Beide Fragen sind letztlich vom FG als Tatsacheninstanz zu beantworten:

  • Ob insbesondere eine Behandlungsmethode wissenschaftlich anerkannt ist (§ 64 Abs 1 Nr 2 Buchst f EStDV), hat das FG festzustellen, wenn vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb eines medizinischen Hilfsmittels kein amtsärztliches Gutachten oder ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vorliegt (BFH BStBl II 2015, 9; Mellinghof in Kirchhof/Seer, § 33 EStG Rz 53, 20. Aufl; Geserich, SteuK 2015, 414). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzeswortlaut einen formalisierten Nachweis nur dann fordert, wenn es sich um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Methode handelt. Dies führt dazu, dass es sich jedoch um eine in der Wissenschaft umstrittene Methode handeln darf (Mellinghof in Kirchhof/Seer, § 33 EStG Rz 53, 20. Aufl; Geserich, DStR 2012, 1491). Um festzustellen, ob eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode iSd § 64 Abs 1 Nr 2 S 1 Buchst f EStDV vorliegt, kann sich das FG auf allgemein zugängliche Fachgutachten oder solche Gutachten stützen, die in Verfahren vor anderen Gerichten zur Beurteilung dieser Frage herangezogen wurden (BFH BStBl II 2015, 803).
  • Liegt ein abweisender Nachweis des Amtsarztes bzw des Medizinischen Dienstes vor, so hat das FG des Weiteren zu prüfen, ob im jeweiligen Streitfall eine medizinische Indikation trotz der fehlenden wissenschaftlichen Anerkennung der Heilbehandlung (ausnahmsweise) angezeigt ist. Das Gutachten hat daher zur Art der Krankheit und der medizinischen Indikation der den Aufwendungen zugrunde liegenden Behandlung, zur Arznei- und den Heil- oder Hilfsmitteln im konkreten Einzelfall Stellung zu nehmen (Geserich, SteuK 2015, 413).

Maßgeblich für die Beurteilung der wissenschaftlichen Anerkennung einer Behandlungsmethode iSd § 64 Abs 1 Nr 2 S 1 Buchst f EStDV ist der Zeitpunkt der Behandlung (BFH BStBl II 2015, 803; s. FG RP EFG 2021, 1825, Rev eingelegt Az VI R 18/21 zu Liposuktionsbehandlung im Streitjahr 2018 und FG Sachsen EFG 2021, 43, Rev eingelegt Az VI R 39/20 zu Liposuktionsbehandlung im Streitjahr 2017; FG Thüringen EFG 2021, 211, Rev eingelegt Az VI R 36/20 zu Liposuktionsbehandlung im Streitjahr 2016 sowie FG Mchn EFG 2021, 650 rkr und FG Nbg EFG 2021, 455 rkr).

Eine andere Frage ist, wie zu verfahren ist, wenn ein Fall des § 64 EStDV nicht vorliegt. Hier gilt uE die oben skizzierte neuere Rspr des BFH, so dass unter Umständen ein amtsärztliches Attest nicht erforderlich ist. Folgende Fälle kommen beispielsweise in Betracht, in denen die neue Rspr des BFH noch zum Tragen kommt:

  • Fälle der Sanierung von Gebäuden zur Beseitigung von Schadstoffen. Hier enthält § 64 EStDV keine Regelung. Nach neuerer Rspr des BFH bedarf es wegen Fehlens einer gesetzlichen Grundlage keines vorher erstellten amtlich-technischen Sachverständigengutachtens (BFH BStBl II 2012, 570; ebenso Mellinghoff in Kirchhof/Seer, § 33 EStG Rz 53, 20. Aufl; Bleschick, NWB 2012, 2301; Loschelder in Schmidt, § 33 EStG Rz 90 "Umweltbeeinträchtigung", 40. Aufl). § 64 EStDV kommt nicht zur Anwendung (BFH BStBl II 2012, 574; ebenso Geserich, DStR 2012, ...

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