Rn. 406

Stand: EL 167 – ET: 09/2023

§ 17 Abs 5 EStG greift gemäß S 2 nicht, wenn eine Sitzverlegung einer SE oder einer anderen KapGes innerhalb der EU vorliegt. Art 10d Abs 1 Fusionsrichtlinie untersagt eine Besteuerung der Gesellschafter bei Sitzverlegung einer SE. Auch eine Sitzverlegung von anderen KapGes innerhalb der EU würde der Niederlassungsfreiheit (Art 49 AEUV) entgegenstehen, sodass § 17 Abs 5 S 2 EStG gemeinschaftsrechtlich erforderlich ist.

Die Ausnahme der Entstrickung erfasst aber nur die Verlegung des Sitzes der Gesellschaft und nicht eine Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung. ME müsste jedoch auch eine Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung innerhalb der EU zu einer Steuerstundung führen, diesem steht jedoch der insoweit eindeutige Wortlaut entgegen.

 

Rn. 407

Stand: EL 167 – ET: 09/2023

Im Falle einer Veräußerung von Anteilen an der KapGes nach einer Sitzverlegung innerhalb der EU ist der Veräußerungsgewinn ungeachtet der Bestimmungen eines DBA so zu besteuern, als sei keine Sitzverlegung erfolgt. Folglich wird der Veräußerungsgewinn lediglich gestundet. Hierbei handelt es sich um ein "Treaty override"; nach Auffassung des BVerfG ist die Überschreitung von DBA durch innerstaatliche Gesetze verfassungsrechtlich zulässig (BVerfG vom 15.12.2015, 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1).

 

Rn. 408

Stand: EL 167 – ET: 09/2023

Gemäß § 17 Abs 5 S 4 EStG ist die Regelung des § 15 Abs 1a S 2 EStG entsprechend anzuwenden. Eine nachträgliche Besteuerung findet daher nicht nur bei einer späteren Veräußerung, sondern auch in den veräußerungsgleichen Fällen der verdeckten Einlage, der Auflösung der Gesellschaft, der Herabsetzung und Rückzahlung des Kapitals und der Zahlung aus dem steuerlichen Einlagekonto (§ 27 KStG) statt.

 

Rn. 409

Stand: EL 167 – ET: 09/2023

Aus der Nachversteuerung bei Steuerstundung resultiert ein Risiko der Doppelbesteuerung hinsichtlich derjenigen stillen Reserven, die nach der Sitzverlegung gebildet werden.

 

Beispiel:

Zum Zeitpunkt einer Sitzverlegung einer Ltd aus Deutschland in einen EU-Staat betrugen die stillen Reserven in den Geschäftsanteilen EUR 100 000. Seit dem Zeitpunkt der Sitzverlegung hat Deutschland kein Besteuerungsrecht hinsichtlich eines Veräußerungsgewinns aus den Geschäftsanteilen gemäß des anzuwendenden DBA. Aufgrund der Sitzverlegung gemäß § 17 Abs 5 S 2 EStG wurde eine Stundung der Versteuerung gewährt. Zum Zeitpunkt einer späteren Veräußerung der Geschäftsanteile betrugen die stillen Reserven EUR 120 000.

Lösung:

Zumindest für diejenigen Wertsteigerungen, die im anderen EU-Staat gebildet wurden (EUR 20 000), wird der ausländische Fiskus sein Besteuerungsrecht geltend machen. Nach dem Wortlaut des § 17 Abs 5 S 3 EStG erstreckt sich die Nachversteuerung in Deutschland jedoch nicht nur auf die stillen Reserven, die im Zeitraum der Ansässigkeit in Deutschland gebildet wurden (EUR 100 000), sondern auf die gesamten stillen Reserven zum Zeitpunkt der Veräußerung (EUR 120 000). Stille Reserven in Höhe von EUR 20 000 müssten doppelt versteuert werden.

 

Rn. 410

Stand: EL 167 – ET: 09/2023

Pung geht für einen solchen Fall der Doppelbesteuerung davon aus, dass eine solche (lediglich) nach den Regelungen des jeweiligen DBA (Verständigungsverfahren) zu lösen sei (Pung in D/P/M, § 17 EStG Rz 557, 88. EL).

Die wohl herrschende Auffassung geht jedoch davon aus, dass – entgegen dem Wortlaut des § 17 Abs 5 S 3 EStG – die Nachversteuerung zum Zeitpunkt der Veräußerung nur für diejenigen stillen Reserven vorzunehmen ist, die im Inland stattfanden (Schmidt in H/H/R, § 17 EStG Rz 355, (August 2018); Strahl, KÖSDI 2007, 15 657, 15 659; Frotscher/Moritz/Strohm in Frotscher/Geurts, § 17 EStG Rz 364 (April 2021); Gosch in Kirchhof/Seer, § 17 EStG Rz 143 (22. Aufl)).

Diesem ist zuzustimmen, da andernfalls ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit vorliegt, weil bei einer Sitzverlegung innerhalb Deutschlands keine spätere Doppelbesteuerung von stillen Reserven stattfindet. Ferner entspricht eine solche Besteuerung auch nicht dem Leistungsfähigkeitsprinzip, weshalb eine verfassungskonforme Auslegung entgegen dem Wortlaut geboten ist. Schließlich spricht für eine Auslegung entgegen dem Wortlaut auch, dass andernfalls eine Sitzverlegung in einen Drittstaat im Ergebnis bessergestellt wird als eine Sitzverlegung innerhalb der EU. Bei einer Sitzverlegung in einen Drittstaat findet zwar keine Steuerstundung statt, jedoch findet auch keine Doppelbesteuerung hinsichtlich derjenigen stillen Reserven statt, die nach der Sitzverlegung entstanden sind.

 

Rn. 411–415

Stand: EL 167 – ET: 09/2023

vorläufig frei

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