Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 05.09.2018; Aktenzeichen 94 O 73/17)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. September 2018 - 94 O 73/17 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.587.324,29 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 1.465.105,12 EUR ab dem 29. Juli 2016 sowie auf weitere 122.219,17 EUR ab dem 8. Juni 2018 zu zahlen.

2. Den Beklagten bleibt vorbehalten, nach Zahlung an den Kläger ihre Rechte in Höhe der an ihn gezahlten Beträge durch Anmeldung zur Insolvenztabelle zu verfolgen.

3. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Kosten in Höhe von 8.910,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.10.2017 zu zahlen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Zwangsvollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der T. Aktiengesellschaft (im Folgenden: Schuldnerin) und macht mit seiner Klage Ansprüche auf Schadensersatz gegen die früheren Aufsichtsräte der Schuldnerin geltend.

Die Schuldnerin wurde am 12. November 2010 durch formwechselnde Umwandlung einer T. GmbH gegründet. Nach § 2 der Satzung befasste sich die Gesellschaft unter anderem mit der technischen Beratung im In- und Ausland in den Bereichen Verkehr, Kommunikation und Umwelt.

Das Grundkapital von 500.000,00 EUR wurde je zur Hälfte von den beiden Vorständen der Schuldnerin H1 und H2 gehalten. Die Beklagten wurden am 29. Februar 2012 gemeinsam mit dem weiteren und später verstorbenen Mitglied E., der jedoch in dieser Funktion zu keinem Zeitpunkt tätig geworden ist, zu Aufsichtsräten gewählt.

Das Landgericht hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Es bestehe kein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagten aus § 116 AktG i. V. m. § 421 BGB. Zwar habe der Kläger zutreffend und substantiiert die Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Schuldnerin entsprechend der rechtlichen Anforderungen des Bundesgerichtshofs dargelegt. Grundsätzlich bestehe auch die Möglichkeit der Haftung des Aufsichtsrats wegen Zahlungen nach Insolvenzreife wegen der Verweisung des § 116 AktG auf § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, weil damit ein Schaden der Gesellschaft einem Schaden der Insolvenzgläubiger gleichgestellt werde. Trotz der personalistischen Struktur der Schuldnerin scheide eine Haftung der Beklagten auch nicht von vornherein aus.

Allerdings fehle es vorliegend an einer Pflichtverletzung der Beklagten im Sinne des § 116 AktG. Zwar treffe den Aufsichtsrat eine Pflicht zur Überwachung des Vorstandes gemäß § 111 Abs. 1 AktG. Der Kläger habe hier jedoch viel zu hohe Maßstäbe angelegt. Aus der Überwachungspflicht folge kein allgemeines Misstrauensgebot. Zentraler Streitpunkt sei die Frage nach einer Informationsobliegenheit der Beklagten. Von dem Aufsichtsrat könne insofern keine laufende Überwachung in dem Sinne erwartet werden, dass er einzelne Geschäftsvorfälle, Zahlungseingänge und Buchungsunterlagen prüfe. Das Tagesgeschäft sei gerade nicht erfasst. Schließlich sei das Aufsichtsratsamt ein Nebenamt. Der Aufsichtsrat dürfe sich grundsätzlich auf Informationen des Vorstandes verlassen, so dass das Verhalten der Beklagten nicht zu beanstanden sei.

Die Anforderungen an die Überwachungspflicht stiegen erst dann, wenn es eine Krise des Unternehmens oder sonst einen besonderen Anlass gebe. Der Kläger habe aber weder vorgetragen noch sei sonst erkennbar, zu welchem Zeitpunkt oder und durch welches Ereignis die Beklagten eine Krise bei der Schuldnerin hätten erkennen können. Der Lagebericht der Anlage K 13, wohl von August 2013, komme nicht in Betracht, weil es auf eine Einschätzung des Aufsichtsrats ex ante ankomme und der weite unternehmerische Spielraum des Vorstandes zu berücksichtigen sei, in den der Aufsichtsrat nicht eingreifen dürfe. Nachdem auch der Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwalt Dr. K., der dem Vorstand und der Schuldnerin als Fachmann zur Seite gestanden habe, eine Insolvenzantragspflicht nicht gesehen habe, könne den Beklagten insoweit auch kein Vorwurf gemacht werden. Nachdem sich im Sommer 2014 eine Krise abgezeichnet habe, die den Beklagten nicht habe verborgen bleiben dürfen, seien von diesen auf der Aufsichtsratssitzung vom 14. August 2014 die Anforderungen an die Berichtspflichten des Vorstands pflichtgemäß erhöht worden.

Selbst wenn man zu einem früheren Zeitpunkt eine erhöhte Ber...

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