Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG i.V.m. § 52 Abs. 39 S. 1 EStG bei der Besteuerung des Gewinns aus dem Verkauf eines Gebäudes, dessen Errichtung bereits vor der Gesetzesänderung beschlossen wurde

 

Leitsatz (redaktionell)

§ 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG i.V.m. § 52 Abs. 39 S. 1 EStG in der im Streitjahr 1999 geltenden Fassung verstößt insoweit gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz i.V.m. dem Grundsatz der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Grundgesetz, als aus der Veräußerung von errichteten Gebäuden Gewinne erfasst werden, die bereits vor dem 01.01.1999 latent entstanden waren, aber erst durch eine Veräußerung nach dem 31.12.1998 realisiert wurden.

 

Normenkette

EStG § 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, § 52 Abs. 39 S. 1

 

Streitjahr(e)

1999

 

Tatbestand

Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist als selbständig tätig. Im Dezember 1997 erwarben er und die Klägerin je einen Miteigentumsanteil von 116/1000 bzw. 402/1000 an dem unbebauten Grundstück A. Die Planung für das Bauvorhaben hatte bereits im Sommer 1995 begonnen; der Bauantrag war am 1995 eingereicht worden. Am 1997 wurde der Generalunternehmervertrag zum Bauvorhaben geschlossen. Baubeginn war nach erteilter Baugenehmigung am 1997 der

1998. Auf dem Grundstück wurde ein Gebäude mit elf Wohnungen und zwei Büroeinheiten errichtet. Die Miteigentümer teilten nach Beschränkung ihres Miteigentumsanteils gem. § 3 Wohnungseigentumsgesetz mit notariellem Vertrag vom 1998 das Grundstück u. a. dergestalt auf, dass die Klägerin eine der beiden Büroeinheiten sowie drei Eigentumswohnungen und der Kläger zwei Wohnungen jeweils zu Alleineigentum erhielten. Der Kläger veräußerte eine seiner beiden Wohnungen mit notariellem Vertrag vom 1998, die Klägerin in der Folgezeit drei ihrer Wohnungen mit Verträgen vom 1998,

1998 und 1999. Die Bauabnahme des gesamten Objektes erfolgte am

1998.

Der Beklagte hat nach einer Betriebsprüfung für die von der Klägerin in 1999 verkaufte Eigentumswohnung sonstige Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von ,-- DM berücksichtigt und am 2002 einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid 1999 erlassen. Hiergegen haben die Kläger erfolglos Einspruch eingelegt.

Da die Klage nicht innerhalb der einmonatigen Frist beim Finanzgericht eingegangen war, haben die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit Zwischenurteil des Senats vom 29. Oktober 2009 ist die Zulässigkeit der Klage festgestellt worden.

Die Kläger sind der Auffassung, § 23 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG sei in ihrem Fall nicht anzuwenden. Die Wohnungen hätten zum Teil aus Finanzierungsgründen verkauft werden müssen, weil sich die Baukosten in nicht vorhersehbarer Weise erheblich erhöht hätten. Auf ihren Fall bezogen liege eine tatbestandliche Rückwirkung vor. Der Vertragsschluss am 1999 sei zwar erst nach dem Beschluss des Bundesrates, jedoch noch vor der Veröffentlichung der Neuregelung im Bundessteuerblatt erfolgt. Die neuere verfassungsrechtliche Rechtsprechung zur Rückwirkung von Änderungen der Steuergesetze schütze das Vertrauen des Steuerbürgers in planungsmäßiger Hinsicht. Ihr Vertrauen in die nicht nur zum Zeitpunkt des Planungsbeginns, sondern auch noch im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages gültige rechtliche Situation sei auch nicht durch die Kenntnis von Umständen erschüttert worden, die auf eine Änderung der steuerlichen Behandlung von so genannten Herstellungsfällen durch den Gesetzgeber hindeuteten. Die Bundesregierung habe noch 1996, also nach Beginn der Planungsphase für das im Streit befindliche Bauvorhaben ausdrücklich betont, an der damals geltenden Regelung des § 23 Abs. 1 EStG festhalten zu wollen. Wenn der BFH in seiner Rechtsprechung der Auffassung sei, dass Verkaufsfälle nach Ablauf der Spekulationsfrist wegen schwerwiegender verfassungsrechtlicher Bedenken nicht steuerlich belastet werden dürften, so müsse das auch für Herstellungsfälle gelten.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 2003 die mit Bescheid vom 2002 festgesetzte Einkommensteuer auf …  Euro (DM) herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes lägen vor. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der streitentscheidenden Norm bestünden für den Streitfall nicht, da die Eigentumswohnung zeitlich nach dem Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages und auch nach der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt verkauft wurde und daher das Vertrauen der Kläger nicht schutzwürdig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die Einkommensteuerakten 1999 mit Schriftverkehr zum Einspruchs- und Aussetzungsverfahren verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat legt die Vorlagefrage dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG),...

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