Entscheidungsstichwort (Thema)

Einspruch gegen einen bereits vorläufigen Steuerbescheid

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Erledigung der Hauptsache durch einseitige Erklärung kann nur wirksam erfolgen, wenn die Klage zulässig gewesen ist.

2. Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Rechtsbehelf gegen einen vorläufigen Bescheid kann nur dann verneint werden, wenn feststeht, dass der Rechtsbehelfsführer durch den Rechtsbehelf keine bessere Rechtsposition erlangen kann, als die, die er durch die Vorläufigkeit des Bescheids ohnehin schon innehat.

3. Aufgrund der durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 10.11.1998 begründeten Unsicherheit über die Frage, ob ein bloßer Vorläufigkeitsvermerk in jedem Fall dieselbe Rechtsposition wie ein Rechtsbehelf zu vermitteln vermag, kann dem Steuerpflichtigen nicht mehr entgegengehalten werden, sein Rechtsbehelf sei wegen fehlendem Rechtschutzbedürfnis unzulässig.

4. Wegen der rechtlichen Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage, ob vorläufige, aber formell bestandskräftige Steuerfestsetzungen aus haushaltsmäßigen Gründen von einer Änderung wegen der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur der Verfassungsmäßigkeit der Familienbesteuerung ausgenommen werden sollten, besteht ein schutzwürdiges Interesse, die teilweise vorläufige Steuerfestsetzung auch formell-rechtlich offenzuhalten.

 

Normenkette

EStG §§ 53, 32 Abs. 6; AO § 165 Abs. 1; FGO § 138

 

Streitjahr(e)

1989

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.02.2005; Aktenzeichen VI R 37/01)

 

Tatbestand

Die Kläger sind Eheleute und wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie haben einen in 1983 geborenen Sohn. Im Einkommensteuerbescheid für 1989 vom 8. Januar 1991 gewährte der Beklagte einen Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG/in der für das Streitjahr gültigen Fassung) in Höhe von 2.484 DM. Der Bescheid erging u.a. hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. Juni 1990 gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) vorläufig.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger mit am 30. Januar 1991 beim Beklagten eingegangenem Schreiben Einspruch. Mit Einspruchsentscheidung vom 18. Februar 1999, zur Post gegeben am 8. März 1999, setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf ______ DM herab und wies den Einspruch im Übrigen unter Aufrechterhalten des Vorläufigkeitsvermerks bezüglich der Höhe der Kinderfreibeträge zurück.

Mit der am 1. April 1999 erhobenen Klage wenden sich die Kläger gegen die Verfassungswidrigkeit der Familienbesteuerung ab dem Jahr 1983. In der

Klageschrift beantragten sie unter Verweis auf die Beschlüsse des BVerfG vom 10. November 1998, das Verfahren auszusetzen bzw. ruhen zu lassen, bis der Gesetzgeber eine Neuregelung der Familienbesteuerung vorgenommen habe.

Mit Bescheid vom 19. Oktober 2000 erließ der Beklagte einen auf Grund des § 53 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (Bundesgesetzblatt I S. 2552) geänderten Bescheid und setzte die Einkommensteuer auf ______ DM fest.

Die Kläger haben daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Beklagte hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

festzustellen, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.

Der Beklagte beantragt,

die Klage als unzulässig abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, die Klage könne sich nicht erledigen, da sie mangels Rechtsschutzinteresses von Anfang an unzulässig gewesen sei. Die Kläger hätten mit der Klage die Verfassungswidrigkeit der Familienbesteuerung geltend gemacht. Ihnen sei es ersichtlich nur darum gegangen, den Einkommensteuerbescheid nicht bestandskräftig werden zu lassen, um im Falle einer für sie günstigeren gesetzlichen Neuregelung nach dem Ergehen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts höhere Freibeträge bei der Familienbesteuerung als nach der bisherigen Gesetzeslage abziehen zu können. Gerade diesem Begehren sei durch den Vorläufigkeitsvermerk in vollem Umfang Rechnung getragen worden, denn die Festsetzungsfrist ende nicht vor Ablauf eines Jahres, nachdem die Ungewissheit, auf der die Vorläufigkeit beruhe, beseitigt sei (§ 171 Abs. 8 AO). Damit aber fehle der Klage nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (unter Hinweis auf die Beschlüsse des BFH vom 9. August 1994 X B 26/94, Bundessteuerblatt -BStBl- Teil II 1994, 119, und vom 22. März 1996 III B 173/95, BStBl II 1996, 506; sowie das Urteil vom 17. Mai 1995 X B 274/94; desweiteren Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 9. Juni 1995 10 K 1366/94; Anwendungserlass zur AO zu § 350, Tz. 6) von Anfang an das Rechtsschutzinteresse.

Sei die Klage von Anfang an unzulässig, so könne sich der Rechtsstreit nicht durch ein nachträgliches Ereignis in Form des Änderungsbescheids vom 19. Oktober 2000 erledigen, weil die Kläger nicht erst durch diesen Bescheid gehindert gewesen wären, die angestrebte Entscheidung durchzusetzen. Somit sei der Änderung...

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