Rz. 64

Erblasser ist derjenige, in dessen Rechtsnachfolge der oder die Erben eintreten. Als Erblasser kommt nur eine natürliche Person in Betracht. Der Tod des Erblassers bildet den Erbfall.[1] Dem Tod steht die (widerlegbare) Todesvermutung gleich, die durch Todeserklärung eines Verschollenen begründet wird (§§ 2, 9 VerschG). Möglich ist die Todeserklärung auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft (§ 16 Abs. 2a VerschG), die aber in der Praxis kaum vorkommt.[2] In der erbschaftsteuerlichen Praxis von großer Bedeutung ist demgegenüber die Frage nach dem Todeszeitpunkt oder dem Zeitpunkt der Wirksamkeit einer Todeserklärung. Davon kann im Einzelfall die Erbfolge abhängen, weil Erbe, Vermächtnisnehmer, Pflichtteilsberechtigter oder Beschenkter auf den Todesfall nur werden kann, wer zur Zeit des Erbfalls noch lebt[3] oder als juristische Person existiert (§ 2101 Abs. 2 BGB; zum Sonderfall der Stiftung vgl. Rz. 68, 528 ff.). Des Weiteren ist der Zeitpunkt maßgeblich für die Zusammensetzung des Nachlasses und die Entstehung der Steuer nach § 9 ErbStG.

 

Rz. 65

Nach h. M. im Erbrecht[4] und damit auch im Erbschaftsteuerrecht ist maßgeblich der Zeitpunkt des Hirntodes. Bei Todesfällen in Deutschland ist der Todeszeitpunkt von Standesbeamten beurkundet und in einer von ihm ausgestellten Sterbeurkunde genannt. Todesfälle von deutschen Staatsangehörigen im Ausland können auf Antrag beim Standesamt Berlin I beurkundet werden. In allen übrigen Todesfällen im Ausland ist es notwendig, auf entsprechende Unterlagen öffentlicher Stellen zurückzugreifen.[5] Wenn der natürliche Tod gewiss, aber der Todeszeitpunkt unklar ist, kann auf das Verfahren zur Feststellung der Todeszeit (§ 39 VerschG) zurückgegriffen werden. Hier ist § 49 AO nicht anwendbar[6], sodass es auch steuerrechtlich auf den festgestellten Todestag ankommt.

 

Rz. 66

Wenn der natürliche Tod nicht nachgewiesen werden kann und sich die Todeserklärung nach dem VerschG richtet, ist für die Festlegung der Todeszeit erbrechtlich der in dem Beschluss festgestellte Zeitpunkt maßgebend. Demgegenüber stellt § 49 AO auf den Zeitpunkt ab, in dem der Beschluss über die Todeserklärung formell rechtskräftig wird. Nach Ansicht des BFH[7] ist für die Entstehung der Steuerschuld § 49 AO maßgeblich.[8] Das hat zur Folge, dass der Besteuerungszeitpunkt wesentlich später liegt als der erbrechtliche Todeszeitpunkt. Demnach sind alle bis zur Rechtskraft der Todeserklärung angefallenen Gewinne bzw. zu versteuernden Einnahmen, die als solche eine Bereicherung gem. § 11 ErbStG darstellen, dem Vermögen des Erblassers zuzurechnen und nicht dem Vermögen des späteren Erben.[9] Wenn der Erbe zwischen dem im Beschluss bezeichneten Todeszeitpunkt und der Rechtskraft des Beschlusses gestorben ist, so ist für die Frage nach seiner Erbeneigenschaft wiederum der im Beschluss bezeichnete Todeszeitpunkt maßgeblich, weil § 49 AO nur "für die Besteuerung", also für die Entstehung der Steuer[10] gilt.[11]

[2] Hannes/Holtz, in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 2021, § 3 Rz. 3.
[4] OLG Frankfurt/Main v. 11.7.1997, 20 W 254/95, NJW 1997, 3099; Weidlich, in Grüneberg, 2022, BGB, § 1922 Rz. 2.
[5] Weinmann, in Moench/Weinmann, ErbStG, § 3 Rz. 7.
[8] A. A. Weinmann, in Moench/Weinmann, ErbStG, § 3 Rz. 7.
[9] Hülsmann, in Wilms/Jochum, ErbStG, § 3 Rz. 25.
[11] Gottschalk, in T/G/J/G, ErbStG, § 3 Rz. 8; Wälzholz, in V/S/W, ErbStG, 2020, § 3 Rz. 6.

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