Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein vorrangiger Kindergeldanspruch des im EU-Ausland mit dem Kind wohnhaften Elternteils bei geschiedener Ehe

 

Leitsatz (amtlich)

Dem im EU-Ausland gemeinsam mit dem Kind wohnhaften Elternteil, der weder nach Art. 11 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 883/2004 den deutschen Rechtsvorschriften unterliegt noch die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 EStG, 1 Abs. 1 BKGG erfüllt, steht kein gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG gegenüber dem Anspruch des in Deutschland wohnhaften und erwerbstätigen anderen Elternteils vorrangiger Kindergeldanspruch zu. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ehe der Elternteile geschieden ist.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1, § 64 Abs. 2 S. 1; BKGG § 1 Abs. 1; EGV 883/2004 Art. 11 Abs. 3, Art. 67; DVO (EG) Nr. 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2; DVO (EG) Nr. 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 3

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 13.07.2016; Aktenzeichen XI R 33/12)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld gegenüber dem in Deutschland wohnhaften Kläger mit der Begründung aufheben durfte, der in Zypern lebenden, nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Kindesmutter, in deren Haushalt die gemeinsamen Kinder aufgenommen sind, stehe nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG der vorrangige Kindergeldanspruch zu.

Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und der leibliche Vater der beiden Kinder A, geboren am 25. Juli 1995, und B, geboren am 17. November 1996. Seit April 1999 ist er als Beamter beim Statistischen Bundesamt in W beschäftigt. Er wohnt mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind N, geboren am 10. Januar 2005, in L.

Die Kindesmutter, Frau C. T., ist zyprische Staatsangehörige und lebt mit A und B seit dem 01. Juli 2004 in Zypern. Die Ehe des Klägers und der Kindesmutter war im Mai 2004 geschieden worden. Bis Dezember 2003 hatte die bis dahin im öffentlichen Dienst beschäftigte Kindesmutter Kindergeld für A und B erhalten. Danach wurde die Zahlung von Kindergeld eingestellt.

Aufgrund eines im September 2005 eingereichten Kindergeldantrags des Klägers setzte die beklagte Familienkasse mit Bescheid vom 19. November 2008 gegenüber dem Kläger zunächst Kindergeld für A und B ab Juli 2004 i.H. von 308,00 € monatlich fest. Nachdem sie durch Mitteilungen der zuständigen zyprischen Behörde erfahren hatte, dass die Kindesmutter in Zypern erwerbstätig ist und zyprische Familienleistungen für A und B erhält, setzte die Beklagte Kindergeld für A und B vorläufig i.H. des Unterschiedsbetrags zwischen den an die Kindesmutter gezahlten zyprischen Familienleistungen und dem deutschen Kindergeld gemäß § 165 Abs. 1 AO fest, zuletzt mit bestandskräftigem Bescheid vom 12. Mai 2010 ab Mai 2010 i.H. von 180,08 € (vgl. Bl. 220 ff. d. KG-Akte).

Mit Bescheid vom 24. Januar 2012 hob die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für A und B ab Februar 2012 gemäß § 70 Abs. 3 EStG auf. Zur Begründung verwies sie darauf, dass nach § 64 Abs. 1 EStG für jedes Kind nur einer Person Kindergeld gezahlt werde. Bei mehreren Berechtigten werde das Kindergeld gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG derjenigen Person gewährt, die das Kind in ihren Haushalt aufgenommen habe. Nach den bei ihr vorliegenden Unterlagen lebten die Kinder nicht im Haushalt des Klägers, sondern bei der Kindesmutter in Zypern. Daher müsse die an ihn erfolgte Kindergeldfestsetzung nach § 63 Abs. 1 Satz 4 EStG i.V. mit § 2 Abs. 4 Satz 2 BKGG aufgehoben werden (Bl. 404 d. KG-Akte).

Gegen den Aufhebungsbescheid vom 24. Januar 2012 legte der Kläger am 08. Februar 2012 Einspruch ein, den die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 2012 als unbegründet zurückwies.

Zur Begründung heißt es in der Einspruchsentscheidung, der Einspruchsführer erfülle zwar die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG. Für die Kinder A und B bestehe jedoch zugleich in einem anderen Staat der EU-Staat ein Anspruch auf Kindergeld, nämlich in Zypern. Welcher Anspruch vorrangig sei, bestimme sich im Verhältnis zu anderen EU-/EWR-Staaten seit dem 01. Mai 2010 nach den Regelungen der VO 883/2004 und der DVO 987/2009. Von den Rangfolgeregelungen der VO unabhängig zu beurteilen sei allerdings, an wen die Familienleistungen (auch Differenzbeträge) auszubezahlen seien. Das Gemeinschaftsrecht regele nicht, an welche in Betracht kommenden Personen die Familienleistungen auszuzahlen seien. Dies bestimme sich ausschließlich nach dem nationalen Recht des jeweiligen Staates, in Deutschland somit nach § 64 EStG im Bereich des steuerrechtlichen Kindergeldes. Hiernach werde das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe (§ 64 Abs. 2 AO). Da die Kinder bei der leiblichen Mutter in Zypern lebten, sei diese somit nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig anspruchsberechtigt. An den Einspruchsführer könnten hingegen keine Leistungen (auch keine Differenzbeträge) ausgezahlt werden (vgl. Bl. 420 ff. d. KG-Akte).

Mit seiner am 27. Februar 2012 bei Gericht eingegangenen Klage stützt sich der Kläger im Wesentlichen auf ein Urteil des Finanzgerichts Rheinland-P...

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