Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf eines rechtmäßigen VA; Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen bei der Leistungsbemessung nach dem GSiG

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Nach § 131 Abs. 1 AO ist es grundsätzlich möglich, einen rechtmäßigen nicht begünstigenden VA, selbst bei Unanfechtbarkeit, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen. Voraussetzung ist, dass ein VA gleichen Inhalts nicht erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

2) Ein an die Eltern gezahltes Kindergeld ist kein gem. § 3 Abs. 2 GSiG einzusetzendes Einkommen eines volljährigen Kindes und darf daher auch nicht auf dessen Grundsicherungsanspruch angerechnet werden.

 

Normenkette

GSiG § 3 Abs. 2; AO § 131 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 13.07.2009; Aktenzeichen III R 9/08)

 

Tatbestand

I.

Zu entscheiden ist, ob der Beklagte (Bekl.) es zu Recht abgelehnt hat, eine zu Gunsten der Tochter des Klägers (Kl.) getroffene Abzweigungsentscheidung aufzuheben.

Der Kl. ist der Vater des am 14.11.1972 geborenen und am 16.06.2004 verstorbenen Kindes N. L.. N. war schwerbehindert (Grad der Behinderung: 100, Merkzeichen H, G, B). N. ihrerseits war Mutter des Kindes M., das im Haushalt des Kl. lebt.

Seit dem 01.09.2000 bewohnte N. in einer Einrichtung für „Betreutes Wohnen” zusammen mit ihrem Lebensgefährten Herrn O. T. eine eigene Wohnung und wurde von einem Fachdienst für „Betreutes Wohnen” betreut. Bis zum 31.12.2002 bezog N. Sozialhilfe von der Stadt X.. Ab dem 01.01.2003 erhielt N. Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG).

Der Kl., der mit Beschluss des Amtsgerichts X. vom 26.03.1997 – … – zum Kindergeldberechtigten für das Kind N. bestellt worden war, war für die Zeiten, in denen N. Sozialhilfe bezogen hatte, mangels Leistungsfähigkeit nicht zur Zahlung eines Unterhaltsbeitrages herangezogen worden. Auch für die Zeiten, in denen N. Leistungen nach dem GSiG bezogen hatte, war der Kl. nicht auf Zahlung eines Unterhaltsbeitrags in Anspruch genommen worden.

Mit Schreiben vom 31.08.2000 hatte N., vertreten durch ihren Betreuer, beim Bekl. beantragt, dass für sie zu Gunsten des Kl. festgesetzte Kindergeld an sie selbst auszuzahlen. Diesem Antrag hatte der Bekl. mit Bescheid vom 30.08.2001 entsprochen. Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren vom Kl. erhobene Klage wies der erkennende Senat mit Urteil vom 21.02.2003 – 11 K 5726/01 Kg ab.

Zur Begründung seiner Entscheidung führte der erkennende Senat aus, die vom Bekl. getroffene Abzweigungsentscheidung sei im Hinblick darauf, dass der Kl. mangels Leistungsfähigkeit gegenüber N. nicht unterhaltspflichtig sei, nicht zu beanstanden. Demgegenüber könne sich der Kl. nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er – obwohl dazu nicht verpflichtet – seine Tochter gleichwohl mit Sachleistungen unterstützt habe und sie auch in Zukunft unterstützen wolle. Denn nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 74 Abs. 1 S. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) reiche es für die Entscheidung, das Kindergeld nicht an den Kindergeldberechtigten, sondern an das Kind selbst auszuzahlen, aus, dass der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig sei. Dass tatsächlich kein Unterhalt gezahlt werde, sei gerade nicht erforderlich. Unabhängig davon stellten sich die Leistungen des Kl., die er – aus durchaus anerkennenswerten Motiven – an und für seine Tochter erbrachte habe bzw. erbringe, aber auch schon deshalb nicht als Gewährung von Unterhalt dar, da sie entgegen § 1612 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht in Form einer Geldrente gezahlt worden seien bzw. würden.

Die Entscheidung des Bekl., das festgesetzte Kindergeld nicht an den Kl., sondern an das Kind N. auszuzahlen, sei auch nicht ermessensfehlerhaft. Insbesondere sei in diesem Zusammenhang nicht zu beanstanden, dass der Bekl. dem Antrag des Kindes N. entsprochen habe, obwohl der Kl. an bzw. für seine Tochter wenn auch keine als Unterhalt zu qualifizierenden Leistungen, so doch in einer das festgesetzte Kindergeld übersteigenden Höhe geldwerte Leistungen erbracht habe bzw. erbringe.

Zum einen dürfte ohnehin bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 S. 1 und 3 EStG grundsätzlich von einer Ermessensbindung der Familienkasse im Hinblick auf eine Auszahlung des Kindergeldes an das Kind selbst auszugehen sein. Denn nach der vom Gesetzgeber getroffenen Wertentscheidung – wie sie z.B. auch in den §§ 74 Abs. 1 S. 4 und 64 Abs. 3 EStG zum Ausdruck komme – soll ein Kindergeldberechtigter das Kindergeld nur dann erhalten, wenn er dem Kind, für das das Kindergeld gezahlt werde, tatsächlich Unterhalt i.S.d. §§ 1610 und 1612 BGB gewähre bzw. für den Fall, dass er dem Kind nicht allein Unterhalt gewähre, wenn er die höchste Unterhaltsrente zahle.

Zum anderen sei im Streitfall aber auch zu berücksichtigen, dass N. den Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes an sich gerade auch mit dem Ziel gestellt habe, einen eigenen Beitrag zu den für sie von der Stadt X. getätigten Unterhaltsaufwendungen leisten zu kön...

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