Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Kindergeldanspruch für einen nur bei einer bestimmten Bildungsstätte angestellten türkischen Lehrer, dessen Aufenthaltserlaubnis nur für unselbständige Erwerbstätigkeiten bei dieser Bildungsstätte auf Zeit besteht

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Ein bei einer öffentlichen staatlichen Einrichtung der Türkei auf Zeit beschäftigter Lehrer, der eine auf diese nichtselbständige Tätigkeit eingeschränkte Aufenthaltserlaubnis hat und dessen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in der Türkei einbehalten und abgeführt werden, kann wegen § 62 Abs. 2 Nr. 2 b EStG kein deutsches Kindergeld beanspruchen. Der durch § 62 Abs. 2 EStG aufgestellte Differenzierungsgrund einer nicht gewollten langfristigen Integration der Familie in Deutschland ist verfassungsgemäß.

2) Das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 Buchst. 1 VEA wird im Streitfall durch die spezielleren und zeitlich nachfolgenden Vorschriften des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit in der aktualisierten Fassung verdrängt. Danach kommt es für einen Kindergeldanspruch auf die im Streitfall nicht vorliegende Eingliederung des Anspruchstellers in das deutsche Sozialversicherungssystem an.

3) Der Kindergeldanspruch unterfällt tatbestandlich nicht dem Diskriminierungsverbot des Art. 10 ARB 1/80, das sich nur auf das Arbeitsentgelt und die sonstigen Arbeitsbedingungen bezieht.

4) Im Streitfall besteht aufgrund des Sozialabkommens Türkei kein Anspruch auf Gleichbehandlung nach Art. 3 ARB 3/80.

 

Normenkette

VEA Art. 2 Abs. 1 Buchst. a; ARB 1/80 Art. 10; ARB 3/80 Art. 3; EStG § 62 Abs. 2 Nr. 2b

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob der für eine öffentliche staatliche Einrichtung der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland arbeitende Kläger einen Anspruch auf Kindergeld hat.

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 1.9.2007 nach Deutschland ein, um eine Tätigkeit als Lehrkraft im A (ergänzender Hinweis: A ist eine Bildungsstätte) aufzunehmen. Er wohnt seitdem mit seiner Familie in B und erhielt von der Stadt B eine (zuletzt) bis 3.8.2012 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Abs. 4 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Eine unselbstständige Erwerbstätigkeit gemäß § 18 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 1 a.F. der Verordnung über die Zulassung von neu einreisenden Ausländern zur Ausübung einer Beschäftigung (BeschV a.F.) war ihm nur als Lehrkraft beim A im Bezirk der Arbeitsagentur B und längstens bis zum Ablauf des Aufenthaltstitels gestattet. Selbstständige Erwerbstätigkeit war nicht gestattet.

Vom 1.9.2007 bis 9.7.2012 arbeitete der Kläger als Lehrkraft beim A. Er war in dieser Zeit bei einem öffentlichen, dem inländischen Kultusministerium vergleichbaren Arbeitgeber der Türkei beschäftigt. Die Steuern und die Sozialversicherungsbeiträge aus dieser Tätigkeit wurden in der Türkei einbehalten und abgeführt. Daneben war der Kläger vom 1.9.2007 bis 9.7.2012 auch als freiwilliges Mitglied bei der C (ergänzender Hinweis: C ist eine deutsche Krankenversicherung) krankenversichert.

Seit dem 13.2.2013 arbeitet der Kläger sozialversicherungspflichtig im Inland und führt seine Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge im Inland ab. In der Zeit dazwischen bestand über seine seit dem 1.8.2011 sozialversicherungspflichtig im Inland arbeitende Ehefrau eine Familienversicherung bei der C.

Im Mai 2012 beantragte der Kläger vergeblich für die Zeit ab Januar 2008 Kindergeld für seine drei am 1.1.1994, 9.5.2005 bzw. 6.6.2011 geborenen Kinder X, Y und Z. Den gegen den Ablehnungsbescheid vom 6.6.2012 eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 12.12.2012 mit der Begründung zurück, der Kläger sei aufgrund des Besteuerungsrechts der Türkei für seine Einkünfte nicht unbeschränkt steuerpflichtig.

Mit der Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, die Voraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 EStG lägen vor, da er und seine Kinder in B ihren Wohnsitz hätten. Eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht setze diese Vorschrift (anders als § 62 Abs. 1 Nr. 2 EStG) nicht voraus. Die Abführung der Lohnsteuer in der Türkei beruhe allein auf dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland (DBA-Türkei), dessen Art. 19 der Türkei das Besteuerungsrecht für Vergütungen aus unselbstständiger Arbeit in dessen öffentlichen Dienst zuweise.

Seinem Kindergeldanspruch stehe nicht § 62 Abs. 2 EStG entgegen.

Die Anwendung dieser Vorschrift sei durch das Vorläufige Europäische Abkommen über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zu Gunsten der Hinterbliebenen vom 11.12.1953, BGBl II 1956, 507 und 528, BGBl II 1958, 18, BGBl II 1972, 175, BGBl II 1985, 311 (VEA) ausgeschlossen.

Des Weiteren verbiete Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19.9.1980 (ARB 1/80) jede Diskriminierung türkischer Arbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstige...

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