Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe von ab 2019 entstandenen Säumniszuschlägen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei einem Abrechnungsbescheid handelt es sich dann um einen vollziehbaren Verwaltungsakt im Sinne des § 69 FGO, wenn sich die Wirkung des Abrechnungsbescheides nicht auf eine Negation beschränkt, sondern er (erstmalig) eine Leistungspflicht begründet und selbst Grundlage der Verwirklichung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ist. Die ist bei einem Abrechnungsbescheid, in dem erstmalig Säumniszuschläge ausgewiesen werden, der Fall.

2. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 08.07.2021, 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) zur Verfassungswidrigkeit der Verzinsungsregelung gemäß § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO und zu deren Unanwendbarkeit für Verzinsungszeiträume ab 2019 sowie zur eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung anderer Verzinsungstatbestände nach der AO erscheint die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO zweifelhaft im Sinne von § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO (Anschluss an BFH-Urteil vom 30.06.2020, VII R 63/18).

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 7; AO § 240 Abs. 1 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 20.09.2022; Aktenzeichen II B 3/22 (AdV))

 

Tatbestand

I.

Zu entscheiden ist, ob die Vollziehung eines Abrechnungsbescheides über die Entstehung von Säumniszuschlägen in voller Höhe aufzuheben ist.

In der Sache streiten die Beteiligten über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der in einem Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge.

Die Antragstellerin ist eine mit Gesellschaftsvertrag vom 00.00.2019 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Gegenstand des Unternehmens der Antragstellerin sind der Erwerb, das Halten, Verwalten und Vermieten von eigenem Grundbesitz.

Mit notariellem Vertrag vom 00.00.2019 erwarb die Antragstellerin das beim Amtsgericht E im Grundbuch von L, Blatt 0001, Gemarkung L, Flur 1, Flurstücke 001, 002, 003 und 004 eingetragene Grundstück A-Straße 1, 2 zu einem Kaufpreis in Höhe von X €.

Die mit dem Grundstückserwerb verbundene Grunderwerbsteuer in Höhe von X € wurde am 05.09.2019 fällig und von der Antragstellerin am 19.11.2019 entrichtet. Die durch die verspätete Zahlung entstandenen und für die Zeit vom 05.09.2019 bis zum 05.12.2019 berechneten Säumniszuschläge in Höhe von X € beglich die Antragstellerin am 09.01.2020.

Am 24.02.2021 beantragte die Antragstellerin die Erteilung eines Abrechnungsbescheides in Bezug auf die Säumniszuschläge zur Grunderwerbsteuer sowie zugleich die Aufhebung der Vollziehung der Säumniszuschläge in Höhe von X €.

Daraufhin erteilte der Antragsgegner am 10.03.2021 den begehrten Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) und lehnte zugleich die Aufhebung der Vollziehung der Säumniszuschläge ab. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 10.03.2021 verwiesen.

Sowohl gegen den Abrechnungsbescheid als auch die Ablehnung der Vollziehungsaussetzung legte die Antragstellerin fristgerecht Einspruch ein und erklärte sich wegen der beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge mit dem Ruhen der Einspruchsverfahren einverstanden.

Mit Schreiben vom 18.08.2021 bat die Antragstellerin erneut um Aufhebung der Vollziehung der Säumniszuschläge zur Grunderwerbsteuer 2019 in Höhe von X €.

Dies lehnte der Antragsgegner mit Verfügung vom 19.10.2021 ab.

Mit ihrem daraufhin bei Gericht gestellten Aussetzungsantrag macht die Antragstellerin geltend, die Vollziehung der Säumniszuschläge sei nach dem Beschluss des BFH vom 31.08.2021 in dem Verfahren VII B 69/21 und unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 08.07.2021 (Aktenzeichen –Az.-: 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) in voller Höhe aufzuheben.

Abweichend von dem vom BFH entschiedenen Fall (Az.: VII B 69/21), in dem sich der Aussetzungsantrag auf die hälftigen Säumniszuschläge, und zwar den in den Säumniszuschlägen enthaltenen Zinsanteil, beschränkt habe, sei vorliegend eine vollständige Aufhebung der Vollziehung der Säumniszuschläge geboten.

Soweit eine Norm verfassungswidrig sei, sei die Aussetzung der Vollziehung insgesamt vorzunehmen. Eine Beschränkung auf einen angemessenen Anteil sei im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nicht möglich.

Die Antragstellerin beantragt,

  1. die Vollziehung des Abrechnungsbescheides über Säumniszuschläge zur Grunderwerbsteuer 2019 vom 10.03.2021 in voller Höhe, d. h. in Höhe von X €, aufzuheben,
  2. hilfsweise, für den Fall des vollen oder teilweisen Unterliegens, die Beschwerde zuzulassen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung trägt er vor, verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm bestünden nicht.

Säumniszuschläge wirkten als Druckmittel, dienten der Abgeltung von Verwaltungsaufwand und seien eine Gegenleistung für...

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