Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für eine Bescheidsänderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO; Einkünfte aus sonstigen Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 EStG auch ohne tatsächliche Leistungserbringung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Bescheidsänderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO verstößt trotz Ermittlungsverstößen des FA nicht gegen Treu und Glauben, wenn ein Steuerpflichtiger bewusst irreführende, missverständliche oder unvollständige Angaben macht und so das FA von weiteren Ermittlungen abhält (Anschluss an ständige BFH-Rechtsprechung).

2. Für die Annahme von "Einkünften aus Leistungen" i.S.v. § 22 Nr. 3 EStG ist entscheidend, dass der Zahlende infolge des Auftretens des Zahlungsempfängers eine solche Gegenleistung erwartet und dass die Zahlung bzw. die Verpflichtung zur Zahlung auf diese Erwartungshaltung zurückzuführen ist, egal wie sicher oder vage diese auch immer in Aussicht gestellt war und ob der Zahlungsempfänger eine solche Leistung tatsächlich hätte erbringen wollen und können.

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 22 Nr. 3

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 20.04.2004; Aktenzeichen IX R 39/01)

 

Tatbestand

Die Klägerin (Klin) war im Streitjahr 1992 Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Firma … GmbH und erzielte außerdem Einkünfte aus der Beratung für Marktforschung und Design. Neben diesen Einkünften erklärte sie in ihrer am 21.3.1994 beim Finanzamt eingegangenen Einkommensteuererklärung erhebliche Kapitaleinkünfte aus festverzinslichen Wertpapieren (70.842 DM gegenüber im Vorjahr 6.800 DM; die übrigen Einkünfte beliefen sich auf 79.000 DM nach § 19 Einkommensteuergesetz –EStG– bzw. ./. 31.570 DM nach § 18 EStG). Die Erklärung zu Einkünften aus Leistungen war im Erklärungsfeld nicht ausgefüllt, enthielt jedoch im Fragebereich nach Einkünften aus sonstigen Leistungen den Hinweis „(V. entf.)”. Außerdem ging mit getrennter Post, aber etwa zeitgleich die Vermögensteuererklärung zum 1.1.1993 beim Finanzamt ein. In dieser Erklärung war „Festgeld (…)” in Höhe von 5.038.541 DM ausgewiesen.

Mit Schreiben vom 22.3.1994 forderte der Beklagte (das Finanzamt) die Klin auf, die Steigerung der Zinseinnahmen zu erklären und eventuell darüber Belege einzureichen, außerdem die in diesem Zusammenhang geltend gemachten Werbungskosten aus Kapitalvermögen nachzuweisen. Daraufhin legte die Klin mit Schreiben vom 18.4.1994 Belege zum Nachweis der Werbungskosten vor und erklärte zu der Steigerung der Zinseinnahmen: „Im Zusammenhang mit der …-Versicherung ist es in 1992 zu einem Vermögensanfall gekommen, der die erklärten Zinsen bei der Wiederanlage auslöste”.

Das Finanzamt gab sich mit dieser Erläuterung zufrieden und setzte mit Bescheid vom 14.6.1994 die Einkommensteuer erklärungsgemäß ohne Vorbehalt der Nachprüfung auf 15.373 DM fest. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Später stellte sich heraus, dass es sich bei dem „Vermögensanfall” um eine provisionsähnliche Zahlung gehandelt hatte. Nach Durchführung einer Steuerfahndungsprüfung änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) und erhöhte die Einkommensteuer unter Ansatz von Einkünften aus sonstigen Leistungen in Höhe von 4.886.000 DM mit Bescheid vom 12.12.1997 auf 2.599.980 DM. Nach Mitteilung des damaligen Prozessbevollmächtigten im Schreiben vom 26.11.1997, es bestehe „Einverständnis mit der Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung bezüglich des Bescheides über Einkommensteuer 1992”, stellte das Finanzamt diese Steuerfestsetzung unter den Vorbehalt der Nachprüfung. Nach einem handschriftlichen Aktenvermerk auf diesem Schreiben wurde telefonisch geklärt, dass es sich nicht um eine „Aufrechterhaltung”, sondern um die erstmalige Setzung des Vorbehalts handelte. Der Vorbehalt wurde – ohne sachliche Änderung – mit Bescheid vom 29.9.1998 aufgehoben. Der Einspruch gegen die Steuerfestsetzung hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 15.9.1999).

Hiergegen richtet sich die Klage.

Die Klin beantragt, den Änderungsbescheid vom 12.12.1997 und die Einspruchsentscheidung vom 15.09.1999 aufzuheben. Sie beruft sich zum einen verfahrensrechtlich darauf, die Voraussetzungen für die Änderung des ursprünglichen Bescheides nach § 173 AO hätten nicht vorgelegen. Sie sei ihrer Erklärungspflicht im erforderlichen Umfang nachgekommen. Das Finanzamt habe es versäumt, den Hintergrund des Vermögensanfalls rechtzeitig aufzuklären. Schon wegen des Hinweises der Klägerin im Antwortschreiben vom 18.04.1994 auf Überweisung eines Teils der gezahlten Zinsen in Höhe von 38.541 DM auf ein „… RA-Anderkonto” habe das Finanzamt nicht vom Vorliegen einer Lebensversicherungszahlung ausgehen dürfen. Zum anderen seien die Voraussetzungen des § 22 Nr. 3 EStG nicht gegeben. Die Klin habe keine Leistung für die Entgeltzahlung erbracht, so dass keine „Einkünfte für Leistungen” im Sinne dieser Vorschrift vorgelegen hätten. Sie habe von Herrn Rechtsanwalt …, einem Rechtsberater der …-Versicherung, mit dem sie eng befreundet gewesen sei, erfahre...

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