Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsinanspruchnahme des Geschäftsführers auch nach Antragstellung zur Insolvenzeröffnung möglich
Leitsatz (redaktionell)
- Bei der Haftungsinanspruchnahme eines GmbH-Geschäftsführers wegen der Nichtabführung in dem Drei-Monats-Zeitraum vor Insolvenzantragsstellung fälliger Steuern entfällt die Kausalität der Pflichtverletzung nicht dadurch, dass der Steuerausfall im Ergebnis auch bei pflichtgemäßem Verhalten hätte eintreten können, weil die Zahlungen der von den Haftungsbescheiden erfassten Steuern der Insolvenzanfechtung unterlegen hätten.
- Ob hypothetische Schadensursachen zu einer Entlastung des Schädigers führen, ist eine Wertungsfrage und richtet sich nach dem Schutzzweck der Norm.
- Gegen den Schutzzweck des § 69 AO, das Steueraufkommen in besonderer Weise zu schützen, würde verstoßen, wenn den Geschäftsführer einer GmbH die bloß potenzielle Anfechtungsmöglichkeit durch den Insolvenzverwalter im zum Fälligkeitszeitpunkt hypothetischen Fall der Insolvenzeröffnung bereits davon befreite, den steuerlichen Verpflichtungen der GmbH nachzukommen.
- Die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Steuerzahlung entfällt auch nicht dadurch, dass sie möglicherweise mit privat-rechtlichen Schadensersatzverpflichtungen konkurriert, hier: mit der Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft gem. § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG.
Normenkette
AO § 34 Abs. 1, §§ 69, 191 Abs. 1; InsO § 129; GmbHG § 64 Abs. 2 S. 1
Streitjahr(e)
2002
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger als Haftungsschuldner für rückständige Körperschaftsteuern, Umsatzsteuern und Lohnsteuern in Anspruch zu nehmen ist.
Der Kläger war seit dem 5. März 1997 gemeinsam mit dem Mitgeschäftsführer und Alleingesellschafter der GmbH, allein vertretungsberechtigter Geschäftsführer derselben. Mit Schreiben vom 15. Juli 2002 beantragte der Kläger beim Amtsgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit. Im Eröffnungsantrag, der vom Kläger mit unterzeichnet wurde, heißt es: „Die Antragstellerin konnte die für den Monat Juni 2002 fälligen Löhne bis zum heutigen Tage nicht zahlen. Bereits seit Mai 2002 bestehen Liquiditätsschwierigkeiten, da die Bank bestehende Kredite gekündigt hat.” Im gerichtlich bestellten Gutachten in dem Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der GmbH vom 30. August 2002 führt der spätere Insolvenzverwalter aus:
„Hiernach ist als Ursache für die Insolvenz der Schuldnerin zuvörderst eine fehlende Kostendisziplin, verbunden mit einer unzureichenden kaufmännischen Führung des Unternehmens, erkennbar. Die Berechnungen des Unterzeichneten haben ergeben, dass monatlich Kosteneinsparungen von mindestens 50.000 € erforderlich wären, um das Unternehmen langfristig wieder auf „gesunde Füße” zu stellen. In der Vergangenheit hat die Geschäftsführung klar „über die Verhältnisse gelebt”. Angefangen bei zu hohen Geschäftsführer-Gehältern, einem kostenaufwändigen Fahrzeugpark bis hin zu einer deutlich überhöhten Miete für die Geschäftsräume müssten in vielen Bereichen beträchtliche Kostensenkungen vorgenommen werden. Die bisherige Geschäftsführung hat dies versäumt. Solange die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens gut war, fiel das Missmanagement nicht ins Gewicht. Heute, wo die Werbeetats in allen großen Unternehmen gekürzt werden, konnte die Schuldnerin dieser Entwicklung nicht mehr entgegen wirken.…Vor Stellung des Insolvenzantrags war die Schuldnerin bereits mehreren Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern ausgesetzt. So hat etwa das Finanzamt am 15./17. Mai 2002 das Geschäftskonto der Schuldnerin bei der Bank wegen Steuerrückständen in Höhe von 35.377,06 € gepfändet. Die Pfändungsverfügung wurde am 18./20. Juni 2002 aufgehoben. Am 29. April 2002 wurde der Bank eine weitere Pfändung zugestellt. Diese Zwangsvollstreckungsmaßnahme wurde durch Zahlung erledigt. Am 23. April 2002 wurde der Bank schließlich eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung der AOK über 71.401,72 € zugestellt. Auch diese Zwangsvollstreckungsmaßnahme erledigte sich durch eine Zahlung der Schuldnerin.”
Mit Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 1. September 2002 ist über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet worden (Az.: 503 IN 181/02), das bisher noch nicht abgeschlossen ist. Gegen den Kläger ist ein Strafverfahren wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und Bankrott vor dem Amtsgericht Langenfeld anhängig (Az.: 15 Ds 120 Js 2010/02 (332/03); Anklage der Staatsanwaltschaft Düsseldorf vom 1. September 2003).
Der Beklagte nahm den Kläger als Geschäftsführer wegen rückständiger Körperschaftsteuervorauszahlung für das zweite Quartal 2002 und Umsatzsteuern für Januar bis März 2002 mit Haftungsbescheid vom 18. Oktober 2002 und für rückständige Lohnsteuern für März bis Mai 2002 mit Haftungsbescheid vom 23. Januar 2003 in Anspruch. Die Umsatzsteuer-Voran...