Revision zugelassen durch das FG

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldanspruch eines in Deutschland lebenden, als als selbständiger Unternehmer tätigen polnischen Staatsangehörigen; Zugehörigkeit der Kinder zum Haushalt von Pflegeeltern in Polen bzw. des volljährigen Bruders in Großbritannien

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Dem Kindergeldanspruch eines in Deutschland lebenden, als als selbständiger Unternehmer tätigen polnischen Staatsangehörigen steht die Zugehörigkeit der Kinder zum Haushalt von Pflegeeltern in Polen bzw. des volljährigen Bruders in Großbritannien nicht entgegen.
  2. § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG gilt nur, wenn prinzipiell mehrere Berechtigte den Anspruch auf Bewilligung des Kindergeldes geltend machen könnten.
  3. Durch die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009 werden keine Ansprüche der im EU-Ausland wohnenden Betreuungspersonen begründet, die den einem im Inland wohnhaften Berechtigten zustehenden Kindergeldanspruch schmälern oder gänzlich ausschließen.
 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 3, § 64 Abs. 2 S. 1, Abs. 3; VO (EG) Nr. 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2; VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 67-68

 

Streitjahr(e)

2007

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 15.06.2016; Aktenzeichen III R 60/12)

 

Tatbestand

Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er hat als selbständiger Unternehmer seit dem Jahr 2005 seinen Wohnsitz in Deutschland.

Den Kindergeldantrag des Klägers für seine beiden Kinder „X”, geb. am 28. Dezember 1988, und „Y”, geb. am 10. Februar 1995, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 15. Juli 2011, bestätigt mit Einspruchsentscheidung vom 8. November 2011, ab. Angesichts des ausländischen Wohnsitzes der Kindesmutter wie auch der Kinder selbst (Großbritannien) sei ein etwaiger inländischer Kindergeldanspruch des Klägers nachrangig.

Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren auf Festsetzung von Kindergeld für seine beiden Kinder „X” und „Y” ab Januar 2007 weiter. Seine Tochter habe in Großbritannien bei ihrem volljährigen Bruder gewohnt und dort bis Juni 2008 ein College besucht; nach abgeschlossenem Schulbesuch im Juni 2008 sei sie mittlerweile berufstätig. Zur Kindesmutter bestehe kein Kontakt; ihr sei das Sorgerecht entzogen. In Polen habe er – der Kläger – für die Tochter keinen Anspruch auf Familienleistungen, weil sein Einkommen zu hoch sei. Auch der Kindesmutter stehe in Polen schon deshalb kein Anspruch zu, weil ihr das Sorgerecht entzogen sei. In Großbritannien gebe es ebenfalls keinen Kindergeldanspruch für „X”, weil entgegen der ausländischen Kindergeldregelung kein Elternteil mit dem Kind zusammen lebe. Sein Sohn „Y”, für den allein er – der Kläger – das Sorgerecht inne habe (nicht die Kindesmutter), lebe bei Pflegeeltern (zugleich Onkel und Tante) in Polen. Das Kind sei von Geburt an behindert und absolviere eine schulische Ausbildung. Auch für den Sohn hätten weder er selbst noch die Kindesmutter aus den o. a. Gründen Ansprüche auf polnische Familienleistungen. Gleiches gelte für die Pflegeeltern, weil sie keinen Adoptionsantrag gestellt hätten und damit den Anforderungen des polnischen Gesetzes nicht genügten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Juli 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. November 2011 für das Kind „X” von Januar 2007 bis September 2008 und für das Kind „Y” ab Januar 2007 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Aufforderung zur Klageerwiderung hat die Beklagte nicht entsprochen; lediglich die Kindergeldakte ist dem Gericht übersandt worden. Gegen den am 24. Juli 2012 erlassenen Gerichtsbescheid der Berichterstatterin, berichtigt am 30. Juli 2012, hat die Beklagte mündliche Verhandlung beantragt, ohne hierzu weiter vorzutragen.

Hinsichtlich der Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Klagevorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der dem Gericht vorgelegten Steuerakten sowie der beigezogenen Strafakten Bezug genommen.

Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist überwiegend begründet.

Die Beklagte war in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Gewährung von Kindergeld zu verpflichten, denn der Kläger hat insoweit Anspruch auf Kindergeld (§ 101 Satz 1 FGO); lediglich für den Zeitraum Juli bis September 2008 betreffend die Tochter „X” hat die Klage keinen Erfolg.

Der Kläger hat einen Wohnsitz im Inland (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes –EStG-); die Kinder haben Wohnsitze in Mitgliedsstaaten der EU (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).

Der behinderte und in schulischer Ausbildung befindliche Sohn „Y” ist für den gesamten streitigen Zeitraum ein berücksichtigungsfähiges Kind i. S. des § 63 Abs. 1 Nr. 1 i. V. mit § 32 Abs. 1, 4 EStG. Für die volljährige Tochter „X” kann dies angesichts der Beendigung der Ausbildung nur bis zum Juni 2008 festgestellt werden; die Tochter ist sodann berufstätig geworden. Na...

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