Entscheidungsstichwort (Thema)

Festsetzung von Verspätungszuschlägen – Entschuldbarkeit der Versäumnis – Verletzung der Hinweis- und Fürsorgepflicht trotz vollständiger Deklaration des Sachverhalts

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist rechtswidrig, wenn die nicht fristgemäße Abgabe der Steuererklärung wegen eines überwiegenden Mitverschuldens des Finanzamtes (FA) als entschuldbar anzusehen ist.
  2. Ein derartiges Mitverschulden liegt vor, wenn sich dem FA aufgrund der vollständigen und zeitgerechten Deklaration des relevanten Sachverhalts in den ertragsteuerlichen Feststellungserklärungen geradezu aufdrängen musste, dass die unterbliebene Abgabe paralleler Umsatzsteuererklärungen auf einem Irrtum des Steuerpflichtigen über die materielle Rechtslage beruht, ein entsprechender Hinweis des FA unter Verletzung der ihm obliegenden Fürsorgepflicht aber gleichwohl nicht erteilt wird.
 

Normenkette

AO a.F. § 152 Abs. 1; EGAO Art. 97 § 8 Abs. 4; AO §§ 88, 89 Abs. 1 S. 1, § 149 Abs. 2; BGB § 254; FGO § 102 S. 1; UStG § 18 Abs. 3

 

Streitjahr(e)

2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2017

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch über die Festsetzung von Verspätungszuschlägen zur Umsatzsteuer der Jahre 2012 bis 2017.

Die Klägerin vermietet seit 1998 in größerem Umfang Pkw-Stellplätze und Garagen. Die zwei Gesellschafter der Klägerin sind Geschwister; der vertretungsberechtigte Gesellschafter ist Rechtsanwalt und Justitiar. Die Klägerin gab pflichtwidrig (§ 4 Nr. 12 Satz 2, § 18 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -) zunächst keine Umsatzsteuererklärungen, sondern lediglich Feststellungserklärungen ab. Mit der Feststellungserklärung 2018 reichte die Klägerin die Umsatzsteuererklärungen 2012 bis 2018 ein. Für die weiter zurückliegenden Jahre berief sie sich auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung. Mit Umsatzsteuerbescheiden vom 30.8.2019 setzte der Beklagte Umsatzsteuer und Verspätungszuschläge wie folgt fest (in €):

Jahr

 USt

 Verspätungszuschlag

 2006

 13.838,28

 1.380,00

 2007

 13.989,37

 1.390,00

 2008

 16.018,44

 1.600,00

 2009

 14.467,32

 1.440,00

 2010

 14.862,44

 1.480,00

 2011

 14.239,88

 1.420,00

 2012

 15.813,38

 1.580,00

 2013

 14.918,89

 1.490,00

 2014

 15.635,69

 1.560,00

 2015

 10.755,83

 1.070,00

 2016

 9.867,92

 980,00

 2017

 16.299,34

 1.140,00

 Summe

 170.706,78

 16.530,00

Gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen der Jahre 2006 bis 2011 und gegen die Festsetzung von Verspätungszuschlägen in allen Jahren legte die Klägerin am 6.9.2019 Einspruch ein und machte u.a. geltend: Für die Jahre 2006 bis 2011 sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Es greife keine verlängerte Festsetzungsfrist. Sie sei irrig davon ausgegangen, dass die Vermietung umsatzsteuerfrei sei. Nach § 152 der Abgabenordnung (AO) i.d.F. vom 26.6.2013 sei von der Festsetzung von Verspätungszuschlägen abzusehen, wenn die Verspätung entschuldbar erscheine.

Das Finanzamt wies den Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen mit Einspruchsentscheidung vom 16.12.2019 und den Einspruch gegen die Festsetzung der Verspätungszuschläge mit Einspruchsentscheidung vom 7.1.2020 als unbegründet zurück und führte u.a. an, die Klägerin hätte hinsichtlich der Abgabeverpflichtungen rechtlichen Rat einholen müssen.

Auf die sodann erhobene Klage hob der 5. Senat des Finanzgerichts Düsseldorf mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 26.5.2021 (Aktenzeichen 5 K 143/20 U) die Umsatzsteuerfestsetzungen der Jahre 2006 bis 2011 auf. Zur Begründung führte der 5. Senat unter anderem an, die Klägerin habe den Beklagten nicht i.S.d. § 169 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen. Denn durch die eingereichten Feststellungserklärungen sei der Beklagte über alle relevanten Tatsachen - insbesondere über den Inhalt der Geschäftstätigkeit und die Höhe der jeweiligen Umsätze - unterrichtet gewesen. Der Beklagte könne sich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben bzw. nach den Grundsätzen eines fairen Verfahrens auch nicht darauf berufen, dass die Klägerin die entsprechenden Tatsachen nicht durch Abgabe von Umsatzsteuererklärungen mitgeteilt habe. Wenn der Beklagte meine, ein Irrtum oder ein Versehen der Klägerin hinsichtlich der Erklärungspflicht sei undenkbar, so sei es zumindest ebenso undenkbar, dass der jeweils für die Feststellungserklärungen zuständige Sachbearbeiter über ca. 20 Jahre nie den sich aus § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG einfach zu folgernden Schluss einer bestehenden Umsatzsteuerpflicht gezogen habe. Dies habe sich aufgedrängt, so dass der Beklagte seine Pflichten aus §§ 85 Satz 2, 89 Abs. 1 Satz 1 AO, die u.a. den Grundsatz eines fairen Verfahrens näher konkretisierten, verletzt habe. Zudem habe der Vertreter der Klägerin, der in keiner Weise versucht habe, die steuerlich erheblichen Tatsachen zu verbergen, jedenfalls nicht vorsätzlich gehandelt. Wegen der weiteren Gründe wird auf den Urteilsabdruck verwiesen.

Die Klägerin hat am 16.1.2020 die hiesige, gegen die Festsetzung von Verspätungszuschläge...

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