Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt der Anschaffung eines Grundstücks im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bei befristetem Recht auf Benennung eines Erwerbers oder eigener Erwerbspflicht bei Fristablauf. Folgen einer Potestativbedingung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für die Berechnung des Zeitraums zwischen Anschaffung und Veräußerung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG sind grundsätzlich die Zeitpunkte maßgebend, in denen die obligatorischen Verträge abgeschlossen wurden.

2. Verpflichtet sich in einem notariellen Grundstückskaufvertrag ein „Benenner”, innerhalb einer bestimmten Frist dem Veräußerer des Grundstücks Erwerber für Miteigentumsanteile an dem Grundstück zu benennen oder aber am Ende der Frist selbst Erwerber für alle Miteigentumsanteile zu werden, für die er noch keine Erwerber benannt hat, so ist keine Wollensbedingung, sondern eine aufschiebende Potestativbedingung vereinbart worden. Das Datum des notariellen Vertrags gilt als Datum der Anschaffung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 für die Miteigentumsanteile, hinsichtlich derer sich der Benenner später selbst als Erwerber benannt hat oder hinsichtlich derer er bei Fristablauf Erwerber geworden ist.

3. Eine Potestativbedingung ist grundsätzlich eine mögliche Bedingung im Sinne von § 158 BGB. Bezüglich ihres künftigen Verhaltens ist die Vertragspartei hier zwar frei, die an ihr Verhalten geknüpfte Rechtsfolge tritt aber unabhängig davon ein, ob sie zu diesem Zeitpunkt noch gewollt ist oder nicht. Entscheidend ist, dass die Vertragspartei bei Abschluss des Rechtsgeschäfts ihre spätere Bindung für den Fall ihres künftigen Verhaltens gewollt hat. Die Vertragsschließenden haben hier die Absicht, ungeachtet der Bedingung schon eine Bindung einzugehen; der Verkäufer bindet sich endgültig und der Käufer legt sich bereits auf den Inhalt des möglichen Vertrages fest (vgl. BGH-Rechtsprechung). Bei einer Potestativbedingung ist zwar das Geschehen vom Willen einer Person, ggf. auch des Verpflichteten, abhängig, nicht aber die an das Geschehen geknüpfte Rechtswirkung, die zwingend und automatisch als Folge eines bestimmten Geschehens eintritt.

 

Normenkette

EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 22 Nr. 2; BGB § 158 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 26.10.2021; Aktenzeichen IX R 12/20)

 

Tenor

Der Einkommensteuerbescheid 2011 vom 27.01.2020 wird dahingehend geändert, dass bei den sonstigen Einkünften als Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften der Klägerin statt 31.320 EUR nur 0 EUR zugrunde gelegt werden.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Von den Kosten des Verfahrens tragen die Kläger 30 % und der Beklagte 70 %.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten wegen der Steuerbarkeit einer Grundstücksveräußerung gemäß § 23 EinkommensteuergesetzEStG – um den Zeitpunkt der Anschaffung. Das Grundstück mit Reihenmittelhaus wurde am 25.02.2011 verkauft, die Anschaffung fand nach Ansicht der Kläger am 21.09.2000, nach Ansicht des beklagten Finanzamts – FA – am 20.08.2001 statt.

I.

Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr 2011 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

1.a)

Am 21.09.2000 wurde ein mehrseitiger notarieller Vertrag unter Beteiligung der Klägerin geschlossen. Gemäß dessen Eingang war das Land Berlin als „Veräußerer”, die Klägerin als „Benenner”, zwei weitere Personen als „weitere Beteiligte” und C. als „Erwerber” daran beteiligt. Der Vertrag ist mit „Grundstückskaufvertrag über zwei unvermessene Teilflächen” überschrieben. In ihm ist u. a. bestimmt, dass das Land Berlin eine beschriebene, noch zu vermessende Grundstücksteilfläche an sechs Erwerber, einer davon C., die anderen fünf noch zu benennen, verkauft. Die Erwerber erwerben jeweils einen bestimmten Miteigentumsanteil am Grundstück, haben einen bestimmten Teil des Grundstückskaufpreises zu tragen, verpflichten sich zur Begründung von Wohnungseigentum nach dem WEG, wobei die jeweilige Größe und Lage ihres Sondereigentums und ihrer Sondernutzungsflächen bestimmt ist, und zur Errichtung von Einfamilienreihenhäusern. Zur Benennung ist in § 2 ausgeführt:

„Die Benennung hat bis zum 31.06.2002 zu erfolgen.

Nach Ablauf der vorgenannten Frist gilt der Benenner als Erwerber der bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht benannten Miteigentumsanteile.”

Der Kaufpreis wurde fällig vier Wochen nach notarieller Mitteilung über die Eintragung einer Auflassungsvormerkung und Vorliegen der Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsordnung, die Übergabe erfolgte am Monatsersten nach Kaufpreiszahlung und Besitz, Nutzung und Lasten gingen bei Übergabe über. Weiter ist für die Erwerber eine Belastungsvollmacht zur Bestellung von Grundpfandrechten zugunsten deutscher Banken und eine Zwangsvollstreck...

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