Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Anspruch auf Erlass von Nachforderungszinsen nach § 233a wegen einer Bearbeitungsdauer des FA von 13 Monaten. kein Erlassanspruch infolge sachlicher Unbilligkeit des vermeintlich verfassungswidrigen Zinssatzes von 6 % bei der Berechnung von Nachforderungszinsen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine längere Bearbeitungsdauer des FA rechtfertigt grundsätzlichen keinen Erlass der dadurch entstandenen Nachforderungszinsen nach § 233a AO infolge sachlicher Unbilligkeit. Bei einer Bearbeitungsdauer des FA (hier: für die Auswertung einer ESt 4 B-Mitteilung) von 13 Monaten liegt jedenfalls noch keine unangemessene, überlange Verfahrensdauer vor, die ggf. ausnahmsweise einen Erlass infolge sachlicher Unbilligkeit rechtfertigen könnte.

2. Sofern der Steuerpflichtige angesichts des niedrigen allgemeinen Zinsniveaus den gesetzlichen Zinssatz des § 238 Abs. 1 S. 1 AO von 0,50 % für jeden Monat für verfassungswidrig zu hoch hält, so betrifft diese Frage die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung einschließlich der Verfassungsmäßigkeit der einfach-rechtlichen Grundlagen und muss damit schon vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Zinsfestsetzung und nicht erst im Erlassverfahren geltend gemacht werden (gegen FG Thüringen, Urteil v. 22.4.2015, 3 K 889/13). Eine rechtlich unzutreffende, aber bestandskräftige Festsetzung von Steuern oder steuerlichen Nebenleistungen kann grundsätzlich nicht durch einen Billigkeitserweis aus sachlichen Gründen nachträglich korrigiert werden.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; AO §§ 227, 233a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 238 Abs. 1 S. 1; FGO § 102 S. 1; EStG § 36 Abs. 1 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 03.12.2019; Aktenzeichen VIII R 25/17)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist der Erlass von Nachzahlungszinsen nach § 233a AO aus sachlichen Billigkeitsgründen.

Die Kläger sind Ehegatten, die im Streitjahr 2012 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Aufgrund einer Mitteilung über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen des Finanzamts X für 2012 vom 7. April 2014 betreffend die Beteiligung des Klägers an der Y..gesellschaft in Z, die beim Beklagten (Finanzamt –FA–) am 8. April 2014 einging, änderte das FA mit Bescheiden vom 5. Mai 2015 die festgesetzte Einkommensteuer und setzte erstmalig Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2012 in Höhe von 305,00 EUR fest.

Mit Schreiben vom 26. Mai 2015 beantragten die Kläger den Erlass von Zinsen in Höhe von 140,00 EUR. Den gegen den Ablehnungsbescheid vom 1. Juni 2015 gerichteten Einspruch begründeten die Kläger mit der –nach ihrer Auffassung– überlangen Bearbeitungsdauer. Der Änderungsbescheid sei erst beinahe 13 Monate nach Eingang der Mitteilung beim FA erlassen worden. Soweit eine übliche Bearbeitungsdauer von sechs Monaten überschritten sei, werde der Erlass der daraus resultierenden Zinsen beantragt. Im Übrigen fehle es an einer Gegenleistung durch Kapitalnutzung, da der Anlagezins derzeit unter einem Prozent liege.

Mit Einspruchsentscheidung vom 30. September 2015 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis könnten nach § 227 der Abgabenordnung (AO) erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die für einen Erlass der Nachzahlungszinsen erforderliche Unbilligkeit der Einziehung der Zinsen liege vor, wenn die Geltendmachung im Einzelfall dem Wortlaut der Vorschrift entspreche, aber nach dem Zweck des zu Grunde liegenden Gesetzes nicht zu rechtfertigen sei und dessen Wertungen zuwiderlaufe.

Im Streitfall sei eine derartige Unbilligkeit nicht gegeben, da die Festsetzung und die Erhebung der Zinsen dem Willen und den Wertungen des Gesetzgebers entspreche.

Zweck der Regelungen des § 233a AO sei es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerbürgern zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig würden. Liquiditätsvorteile, die dem Steuerbürger oder dem Fiskus aus der verspäteten Festsetzung von Steuern bzw. Zinsen typischerweise entstanden seien, sollten mit Hilfe der Vollverzinsung ausgeglichen werden. Der Liquiditätsvorteil werde dabei in typisierender Weise bemessen. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass eine überlange Bearbeitungsdauer (grundsätzlich) keinen (Teil-)Erlass begründen könne, da nach den Wertungen des Gesetzgebers ein Verschulden des Steuerschuldners oder des Steuergläubigers grundsätzlich unbeachtlich sei. Die reine Möglichkeit der Kapitalnutzung bzw. die bloße Verfügbarkeit des Kapitalbetrags sei insoweit ausreichend. Ob Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden seien, sei grundsätzlich unbeachtlich. Da die Festsetzung der Zinsen im Streitfall damit den Wertungen des Gesetzgebers entspreche, könne die Bearbeitungsdauer keine Unbilligkeit i.S. des § 227 AO begründen.

Mit ihrer am 3. November 2015 erhobenen Klage verf...

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