Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinsames Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten. Vermeidung der Doppelbesteuerung. Verbot der Besteuerung erlangter Gewinne. Einbeziehung der von der Tochtergesellschaft ausgeschütteten Dividende in die Steuerbemessungsgrundlage der Muttergesellschaft. Abzug der ausgeschütteten Dividende von der Steuerbemessungsgrundlage der Muttergesellschaft und zeitlich unbeschränkte Übertragung des Überschusses auf die nachfolgenden Steuerjahre. Reihenfolge der Anrechnung der Steuerabzüge auf die Gewinne. Verlust eines Steuervorteils

 

Normenkette

EWGRL 435/90 Art. 4 Abs. 1

 

Beteiligte

Brussels Securities

Brussels Securities SA

État belge

 

Verfahrensgang

Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (Belgien) (Beschluss vom 26.01.2018; ABl. EU 2018, Nr. C 294/32)

 

Tenor

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach die Dividenden, die eine Muttergesellschaft von ihrer Tochtergesellschaft erhalten hat, in einem ersten Schritt in die Steuerbemessungsgrundlage der Muttergesellschaft einbezogen werden müssen, bevor sie in einem zweiten Schritt in Höhe von 95 % abgezogen werden können, wobei der Überschuss zeitlich unbegrenzt auf die folgenden Steuerjahre übertragen werden kann und dieser Abzug Vorrang vor einem anderen Steuerabzug hat, dessen Übertragung zeitlich begrenzt ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal de première instance francophone de Bruxelles (französischsprachiges Gericht Erster Instanz Brüssel, Belgien) mit Entscheidung vom 26. Januar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juni 2018, in dem Verfahren

Brussels Securities SA

gegen

État belge

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. G. Xuereb sowie der Richter T. von Danwitz (Berichterstatter) und A. Kumin,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündlichen Verhandlungen vom 4. April 2019 und 3. Juli 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Brussels Securities SA, vertreten durch R. Forestini, avocat,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, P. Cottin und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte sowie durch G. Vercauteren, Sachverständiger,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und N. Gossement als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. September 2019

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 1990, L 225, S. 6) in der durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 (ABl. 2004, L 7, S. 41) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 90/435).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Brussels Securities SA und dem belgischen Staat wegen der Reihenfolge, in der abzugsfähige Einkünfte von den steuerpflichtigen Gewinnen abzuziehen sind.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 90/435 lautet:

„Die für die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten geltenden Steuerbestimmungen weisen von einem Staat zum anderen erhebliche Unterschiede auf und sind im Allgemeinen weniger günstig als die auf die Beziehung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften desselben Mitgliedstaats anwendbaren Bestimmungen. Die Zusammenarbeit von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten wird auf diese Weise gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaats benachteiligt. Diese Benachteiligung ist durch Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems zu beseitigen, wodurch Zusammenschlüsse von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene erleichtert werden.”

Rz. 4

In Art. 4 dieser Richtlinie heißt es:

„(1) Fließen einer Muttergesellschaft oder ihrer Betriebstätte aufgrund ihrer Beteiligung an der Tochtergesellschaft Gewinne zu, die nicht anlässlich der Liquidation der Tochtergesellschaft ausgeschüttet werden, so

  • besteuern der Staat der Muttergesellschaft und der Staat der Betriebstätte diese Gewinne entweder nicht oder
  • lassen im Falle einer Besteuerung zu, dass die Muttergesellschaft und die Betriebstätte auf die geschuldete Steuer den Steuerteilbetrag, den die Tochtergesellschaft und jegliche Enkelgesellschaft für diesen Gewinn entrichtet, bis zur Höhe der entsprechenden Steuerschuld anrechnen können, vorausgesetzt, dass die Gesellschaft und die ihr nachgeordne...

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