Leitsatz

Ein Senat des BFH, der von einer Entscheidung eines anderen Senats abweichen will, hat auch dann bei diesem Senat nach § 11 Abs. 3 FGO anzufragen und für den Fall, dass dieser an seiner Rechtsauffassung festhält, den Großen Senat anzurufen, wenn der erkennende Senat zwar nach dem Geschäftsverteilungsplan für die Rechtsfrage zuständig geworden ist, der andere Senat aber weiterhin mit der Rechtsfrage befasst werden kann.

 

Normenkette

§ 11 Abs. 2 und 3 FGO

 

Sachverhalt

Der Ausgangssachverhalt – streitig war, ob Adoptionskosten als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen seien – und die hier vom Großen Senat beantwortete Vorlagefrage folgen aus dem Vorlagebeschluss des Lohnsteuersenats vom 18.4.2013 (VI R 60/11, Haufe-Index 5086310, BFH/NV 2013, 1725, BFH/PR 2013, 431); auf die Erläuterungen dort sei im Einzelnen verwiesen. Der vorlegende VI. Senat beabsichtigte in der Sache, von der früheren Rechtsprechung des III. Senats abzuweichen und nunmehr Adoptionskosten als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen. Die Frage lautete: Muss der VI. Senat dazu trotz Übergang der Zuständigkeit auf ihn beim III. Senat anfragen?

 

Entscheidung

Der Große Senat beantwortete die Vorlagefrage wie aus dem Leitsatz ersichtlich, dass nämlich noch immer anzufragen sei.

 

Hinweis

Nach § 11 Abs. 2 FGO entscheidet der Große Senat, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will und der andere Senat oder der an dessen Stelle getretene weitere Senat nach Anfrage an dieser bisherigen Rechtsauffassung festhält (§ 11 Abs. 3 FGO). Solche Regelungen bestehen im Grundsatz schon seit 1919. Darüber – sowie über die vergleichbare Rechtslage in anderen Rechtsgebieten (Sozial-, Arbeits-, Verwaltungsgerichtsbarkeit) – gibt der Beschluss ebenso einen Überblick wie über die im Schrifttum dazu vertretenen Auffassungen.

1. Auf dieser Grundlage entschied der Große Senat, die Auffassung des vorlegenden Senats nicht zu teilen. Sein wesentliches Argument folgt aus § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO, der u.a. voraussetzt, dass der andere Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, "wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befasst werden" kann. Dies setze einen vollständigen Zuständigkeitsverlust des anderen Senats voraus; ansonsten könnte der bisher zuständige Senat trotz Änderung der Geschäftsverteilung doch noch in die Lage kommen, die strittige Rechtsfrage erneut entscheiden und dann seinerseits den Großen Senat anrufen zu müssen. Die Großen Senate an allen obersten Bundesgerichten haben die Aufgabe, Rechtseinheit herzustellen und zu bewahren. Auf dieser Interpretationsgrundlage gelangt der Große Senat sodann zu der Auffassung, dass zur Vermeidung von Divergenzen die Pflicht zur Vorlage nur entfällt, wenn eben eine solche Divergenz nicht zu befürchten ist. Wenn also der Geschäftsverteilungsplan geändert wird, entfällt die Pflicht zur Vorlage nur dann, wenn die Zuständigkeit gänzlich auf den neuen Senat übergegangen ist. Nur dann ist der neue Senat alleine und ausschließlich zuständig, ohne dass es zu divergierenden Entscheidungen kommen könnte. Und selbst wenn in der Vergangenheit eine Anfrage versehentlich unterblieb, entfällt künftig die Anfragepflicht nicht.

2. Der Große Senat folgt nicht der Auffassung des vorlegenden Senats, dass § 11 Abs. 3 Satz 2 FGO mehrdeutig sei. Denn auch nach einem Zuständigkeitswechsel soll das Spannungsverhältnis zwischen Rechtsfortbildung und Einheitlichkeit der Rechtsprechung ausschließlich nach Maßgabe des § 11 FGO aufzulösen sein. Die Argumente des vorlegenden Senats, dass mit dem Zuständigkeitswechsel diesem nun die Rechtsprechung und Rechtsfortbildung übertragen sei, überzeugten den Großen Senat ebenso wenig wie die Erwägung, dass der bisher zuständige Senat allenfalls noch am Rande mit der Rechtsmaterie befasst sein könne und daher kaum Fallmaterial zur Rechtsfortbildung habe.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 9.10.2014 – GrS 1/13

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