Leitsatz (amtlich)

Hat ein Gläubiger eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zur Tabelle angemeldet, so ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts gem. § 4a Abs. 2 InsO nicht allein wegen eines dem Schuldner gem. § 175 Abs. 2 InsO vom Insolvenzgericht erteilten Hinweises auf die Rechtsfolgen des § 302 Nr. 1 InsO und die Möglichkeit des Widerspruchs zu versagen. Vielmehr ist ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn der Schuldner im Rahmen seiner Möglichkeiten dartut, dass er nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen im konkreten Fall nicht in der Lage ist, ohne anwaltliche Hilfe eine Entscheidung über die Zweckmäßigkeit der Erhebung des Widerspruchs zu treffen.

 

Normenkette

InsO § 4a Abs. 2, § 175 Abs. 2, § 302 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Landau (Pfalz) (Beschluss vom 27.01.2003)

AG Landau (Pfalz)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Landau v. 27.1.2003 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 750 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Mit Beschl. v. 11.9.2002 eröffnete das AG Landau das Insolvenzverfahren über das Vermögen des N. W. (nachfolgend: Schuldner). Die Kosten des Insolvenzverfahrens sowie die Kosten der Restschuldbefreiung wurden dem Schuldner durch Beschl. v. 5.7.2002 gestundet. Mit Verfügung v. 21.11.2002 belehrte das Insolvenzgericht den Schuldner nach § 175 Abs. 2 InsO, dass die A. im laufenden Insolvenzverfahren eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung angemeldet und dass der Schuldner in dem auf den 9.12.2002 anberaumten Prüfungstermin die Möglichkeit habe, zu bestreiten, dass die Forderung überhaupt bestehe, oder er den Widerspruch darauf beschränken könne, dass die Forderung nicht aus einer vorsätzlich begangenen Handlung herrühre. Weiter wurde der Schuldner darauf hingewiesen, dass er nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode nicht von dieser Forderung frei werde, sollte ein Widerspruch unterbleiben und die Forderung vom Insolvenzverwalter festgestellt werden.

Mit am Tage des Prüfungstermins eingegangenem Schriftsatz v. 6.12.2002 beantragte Rechtsanwalt S., ihn dem Schuldner gem. § 4a Abs. 2 InsO für das Verfahren beizuordnen. Er nahm für den Schuldner an diesem Termin teil und widersprach bezüglich der angemeldeten Forderung der A. der Behauptung des Haftungsgrundes einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung.

Mit Beschl. v. 10.12.2002 hat das Insolvenzgericht den Beiordnungsantrag abgelehnt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das LG mit der Begründung zurückgewiesen, dass die vom Schuldner vorgetragene Schwierigkeit hinsichtlich der angemeldeten Forderung aus unerlaubter Handlung "jedenfalls im gegenwärtigen Verfahrensstand" nicht ausreiche, die Beiordnung zu rechtfertigen.

Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Begehren weiter.

II.

Das gem. § 7 InsO, § 574 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, §§ 575, 576 ZPO zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.

1. Gemäß § 4a Abs. 2 S. 1 InsO wird dem Schuldner, wenn ihm die Verfahrenskosten gestundet werden, auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, falls die Vertretung durch einen Rechtsanwalt trotz der dem Gericht obliegenden Fürsorge erforderlich erscheint.

a) Bei der Schaffung der Neuregelung des § 4a InsO ging der Gesetzgeber davon aus, dass der Schuldner im Insolvenzverfahren regelmäßig selbst seine Rechte wahrnehmen kann. Allerdings obliegt dem Gericht eine Fürsorgepflicht, die insbesondere in Verbraucherinsolvenzverfahren gegenüber den häufig Rechtsunkundigen auch eine eingehende Beratung erforderlich machen kann. Vor diesem Hintergrund soll die Beiordnung eines Rechtsanwalts nur dann zulässig sein, wenn dies, etwa wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, erforderlich erscheint (vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14/5680, 21). Der Gesetzgeber hat demnach die Voraussetzungen einer Beiordnung in § 4a Abs. 2 S. 1 InsO enger als im Rahmen der insoweit nicht anwendbaren Regelung der Prozesskostenhilfe gem. § 121 ZPO gefasst. Etwa ist - anders als in § 121 Abs. 2 ZPO - eine Beiordnung nicht schon deswegen vorzunehmen, weil der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.

b) Hat ein Gläubiger eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung angemeldet, so hat das Insolvenzgericht gem. § 175 Abs. 2 InsO den Schuldner auf die Möglichkeit des Widerspruchs und darauf hinzuweisen, dass nach § 302 Nr. 1 InsO Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung - sofern sie ordnungsgemäß beim Insolvenzverwalter angemeldet wurden - von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen sind.

Die - häufig formularmäßige - Erfüllung dieser Hinweispflicht erfordert keine rechtliche Beratung, die den Schuldner in die Lage versetzt, eigenverantwortlich zu entscheiden, ob die Einlegung eines Widerspruchs bei der gegebenen Sach- und Rechtslage zweckmäßig ist.

Auf eine zuverlässige Einschätzung der Sach- und Rechtslage ist der Schuldner im Hinblick auf die mit der Erhebung oder dem Unterlassen des Widerspruches verbundenen weit reichenden Rechtsfolgen jedoch angewiesen. Unterbleibt der Widerspruch, obwohl die Voraussetzungen für die Durchsetzung eines solchen Anspruches nicht vorliegen, umfaßt die Restschuldbefreiung diese Forderung gem. § 302 Nr. 1 InsO nicht. Legt er hingegen Widerspruch ein, kann der Insolvenzgläubiger nach § 184 InsO Klage auf Feststellung der Forderung gegen den Schuldner erheben. Dem damit verbundenen Kostenrisiko kann der Schuldner schwerlich dadurch entgehen, dass er den Feststellungsantrag anerkennt (a. A. AG Göttingen NZI 2003, 221 [222]). Er könnte damit im Allgemeinen nicht die Kosten gem. § 93 ZPO auf den Gläubiger verlagern, weil er durch den Widerspruch regelmäßig zur Erhebung einer entsprechenden Feststellungsklage Veranlassung gegeben hat. Der Widerspruch steht zwar einer Feststellung der Forderung nicht entgegen, § 178 Abs. 1 S. 2 InsO, doch hindert er eine Vollstreckung aus der Tabelle, solange er nicht durch ein entsprechendes Feststellungsurteil beseitigt worden ist, § 201 Abs. 2 S. 2 InsO (Ahrens in Frankfurter Kommentar/InsO, 3. Aufl., § 302 Rz. 11). Damit stellt sich die Erhebung der Feststellungsklage grundsätzlich als notwendige prozessuale Reaktion des Gläubigers auf den Widerspruch dar.

Einer solchen Klage und dem damit verbundenen Kostenrisiko wird sich der Schuldner aber nur aussetzen, wenn die angemeldete Forderung nicht besteht oder zweifelhaft ist, ob sie aus einer vorsätzlich begangenen Handlung herrührt. Ist dies nicht der Fall, wird er vernünftigerweise von der Einlegung eines Widerspruchs absehen. Dem Schuldner darf es demnach nicht zugemutet werden, den Widerspruch auf Grund seiner Rechtsunkundigkeit sozusagen "ins Blaue hinein" einzulegen.

c) Eine Verpflichtung des Insolvenzgerichts, den Schuldner über die Zweckmäßigkeit der Einlegung eines Widerspruches zu beraten, lässt sich auch nicht aus der dem Insolvenzgericht obliegenden Fürsorge gem. § 4a Abs. 2 S. 1 InsO herleiten.

Im Rahmen dieser Pflicht kann das Gericht u. a. der rechtsunkundigen Partei den Inhalt und die Auswirkung gesetzlicher Vorschriften erläutern, Hinweise geben, auf die Beseitigung widersprüchlicher und mehrdeutiger Parteiangaben hinwirken und für die sachdienliche Fassung von Anträgen sorgen. Die Grenzen der Fürsorgepflicht sind jedoch dann erreicht, wenn das Gericht seine Pflicht zur Neutralität und Gleichbehandlung der Beteiligten verletzt (vgl. zur Hinweispflicht gem. § 139 Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 139 Rz. 2m. w. N.).

Diese Grenzen wären überschritten, wenn die Fürsorgepflicht das Insolvenzgericht in dem hier maßgeblichen Zusammenhang dazu nötigte, die Aufklärung des der angemeldeten Forderung zu Grunde liegenden Sachverhalts zu betreiben oder eine darauf gestützte rechtliche Bewertung einschließlich einer etwaigen Beweiswürdigung vorzunehmen. Das sind im Insolvenzverfahren spezifisch anwaltliche Aufgaben und Pflichten. Denn dieses Verfahren dient nicht der Klärung bestrittener Forderungen. Diese hat vielmehr im ordentlichen Streitverfahren zu erfolgen (hier nach §§ 184, 180 Abs. 1 InsO). Ein entgegenstehendes Verständnis der gerichtlichen Fürsorgepflicht würde nicht nur die tatsächlichen Möglichkeiten der Insolvenzgerichte überfordern, sondern es wäre auch mit der Stellung des Gerichts als objektiver - der Parteinahme entzogener - Sachwalter unvereinbar. Die gerichtliche Fürsorgepflicht kann die spezifischen anwaltlichen Aufgaben und Pflichten nicht ersetzen. Wären die gerichtliche Fürsorgepflicht und der anwaltliche Pflichten- und Aufgabenkreis deckungsgleich, wäre die Möglichkeit der Beiordnung - wie in § 4a Abs. 2 S. 1 InsO vorgesehen - überflüssig. Deswegen kann eine anwaltliche Beiordnung nicht unter pauschalem Hinweis auf die gerichtliche Fürsorgepflicht unterbleiben (vgl. auch BVerfG v. 17.2.1997 - 1 BvR 1440/96, NJW 1997, 2103 [2104]).

d) Demnach kommt eine anwaltliche Beiordnung gem. § 4a Abs. 2 S. 1 InsO zur Beratung über die Zweckmäßigkeit der Einlegung eines Widerspruches grundsätzlich in Betracht. Die Bewilligung im Einzelfall hängt davon ab, dass der Schuldner - im Rahmen seiner laienhaften Möglichkeiten - dem Insolvenzgericht einsichtig macht, dass er nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen - gemessen an der konkret angemeldeten Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung - nicht in der Lage ist, ohne anwaltliche Hilfe eine selbstverantwortliche Entscheidung über die Zweckmäßigkeit der Erhebung eines Widerspruchs zu treffen. Für diese Darlegung muss das Insolvenzgericht dem Schuldner eine angemessene Überlegungsfrist einräumen.

2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die angefochtene Entscheidung im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die Darlegungen des - anwaltlich beratenen - Schuldners zur Erforderlichkeit einer anwaltlichen Beiordnung gem. § 4a Abs. 2 S. 1 InsO reichen nicht aus. In seinem Antrag v. 6.12.2002 hat sich der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners lediglich darauf beschränkt mitzuteilen, der Insolvenzschuldner sei der Auffassung, "dass es sich nicht um eine Forderung aus unerlaubter Handlung" handele. Weiter gehende konkretisierende auf den Schuldner und die angemeldete Forderung bezogene Angaben fehlen. Auch in der Begründung der Erstbeschwerde beschränkt sich der Beschwerdeführer auf allgemeine, vom konkreten Sachverhalt losgelöste Ausführungen über "regelmäßig" beim Schuldner nicht vorhandene Rechtskenntnisse der "materiellen Grundlagen" einer gegen ihn angemeldeten Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1059043

BB 2004, 463

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