Leitsatz (amtlich)

Die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs V 132/52 U vom 27. April 1953 (BStBl 1953 III S. 260, Slg. Bd. 57 S. 682) finden dann keine Anwendung, wenn infolge der Entwicklung der wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse die Bildung der Sachgesamtheit -- Zylinder mit Kolben -- im wesentlichen dadurch bewirkt wird, daß der Besteller einen bestimmten Kolbentyp auswählt, während es der Zylinderschleiferei nur noch obliegt, die Zylinder entsprechend den gewünschten Kolben auszuschleifen, ohne daß es erforderlich ist, während des Feinschliffs Messungen am Zylinder und am Kolben vorzunehmen, und die Beteiligten das Vorliegen zweier Umsatzgeschäfte, einer Werkleistung und einer Lieferung, auch klar zum Ausdruck gebracht haben. Für die Lieferung der Kolben kommt bei einem solchen Sachverhalt der ermäßigte Steuersatz nach § 7 Abs. 3 UStG in Betracht.

 

Normenkette

UStG § 7 Abs. 3; UStDB 1951 § 12 Abs. 1 S. 1, § 57 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Bfin. befaßt sich mit dem Ausbohren und Ausschleifen von Motorenzylindern und dem Ausschleifen von Kurbelwellen für Autoreparaturwerkstätten, im geringen Umfang auch für private Autobesitzer; daneben treibt sie auch Handel mit Autoersatzteilen. Folgender Tatbestand hat zum Streit geführt.

Die Bfin. erhält von Reparaturwerkstätten Zylinder zum Ausschleifen; sie liefert die für die ausgeschliffene Zylinderweite passenden neuen Kolben mit, die sie von anderen Firmen bezieht, stellt die Kolbenlieferung gesondert in Rechnung und beansprucht insoweit für die Lieferung der beigegebenen, nicht mit dem Zylinder verbundenen Kolben die Großhandelsvergünstigung des § 7 Abs. 3 UStG.

Die Vorinstanzen haben das Ausschleifen der Zylinder und die Mitlieferung der Kolben als einheitliches Geschäft beurteilt und unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs V 132/52 U vom 27. April 1953 (BStBl 1953 III S. 260, Slg. Bd. 57 S. 682) angenommen, daß die Bfin. eine Sachgesamtheit liefere; sie haben deshalb die Großhandelsvergünstigung versagt.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Das Finanzgericht hat seine Auffassung entscheidend darauf gestützt, daß das Mitliefern der für die Zylinderweite passenden neuen Kolben an denselben Auftraggeber auf Grund eines Auftrages einen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang darstelle. Daß dieses Beweisanzeichen für die Annahme eines einheitlichen Vorgangs für sich allein nicht ausreicht, zeigt die Überlegung, daß solchenfalls auch die Bestellung weiterer Ersatzteile für den gleichen Motor und das gleiche Fahrzeug in einem Auftragschreiben die Annahme eines einheitlichen wirtschaftlichen Vorgangs rechtfertigen könnte. Die Vorentscheidung verkennt insbesondere, daß bei einem Großhändler die Bildung einer Sachgesamtheit mit der Folge, daß er einen anderen Gegenstand liefert als er bezogen hat, immer nur dann angenommen werden kann, wenn die Bildung der Sachgesamtheit auf Maßnahmen des Großhändlers zurückzuführen ist. Mit Deutlichkeit geht dies aus dem Urteil des Reichsfinanzhofs V 170/40 vom 13. Juni 1941 (RStBl 1941 S. 567, Slg. Bd. 50 S. 245) hervor. Auf diesem Urteil beruht auch das von der Vorinstanz in bezug genommene Urteil des erkennenden Senats V 132/52 U vom 27. April 1953 (a. a. O.), das einen ähnlichen Tatbestand betrifft. Zu Unrecht nimmt die Vorentscheidung an, daß dieses Urteil ohne weiteres auf den Streitfall anzuwenden ist, insbesondere läßt das Finanzgericht die inzwischen eingetretene Entwicklung der wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse außer acht (§ 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes). Für jenen Urteilsfall war bedeutsam, daß die Steuerpflichtige (Zylinderschleiferei) die Zylinder nach eigenem Ermessen auf die nächste passende Kolbengröße ausschliff, oder, wenn dies nicht mehr möglich war, die Zylinder durch Einsetzen einer Zylinderbuchse wieder für eine kleinere Kolbengröße verwendbar machte. Es war also der Steuerpflichtigen überlassen, die passenden Kolbengrößen auszuwählen, und es war bei dem damaligen Stande der technischen Entwicklung auch erforderlich, während des Feinschliffs genaue Messungen am Zylinder und am Kolben vorzunehmen.

Im Streitfalle wird dagegen vom Auftraggeber der Steuerpflichtigen ein bestimmtes Kolbenfabrikat getrennt bestellt und getrennt geliefert, ohne daß es erforderlich ist, die Kolben aus ihrer Originalfabrikverpackung auch nur herauszunehmen. Das von der Bfin. schon im Berufungsverfahren beigebrachte Gutachten des zuständigen Wirtschaftsverbandes betont, daß diese Änderung der tatsächlichen Verhältnisse auf der Verfeinerung der Schleifgeräte beruhe, und daß die Reparaturwerkstätten heute die Kolben ebenso von der Kolbenfabrik unmittelbar beziehen und nach Ausschleifen der Zylinder auf einen genormten Kolben selbst einsetzen könnten, daß die Zylinderschleifereien jedoch, entsprechend der historischen Entwicklung, bessere Beziehungen zu den Kolbenfabriken hätten und auch als Großabnehmer mehr Kolben auf Lager halten könnten.

Dieser in wesentlichen Umständen geänderte Sachverhalt nötigt zu einer anderen rechtlichen Beurteilung; denn nunmehr wird die Bildung der Sachgesamtheit bereits im wesentlichen dadurch bewirkt, daß die Besteller (Reparaturwerkstätten) einen bestimmten Kolbentyp auswählen, während es der Bfin. jetzt nur noch obliegt, die Zylinder entsprechend den gewünschten Kolben auszuschleifen. Ihre Arbeit und die sonstigen Maßnahmen beschränken sich nunmehr auf die reine Werkleistung des Ausschleifens. Da die Beteiligten durch getrennte Bestellung, getrennte Rechnungstellung und getrennte Lieferung das Vorliegen zweier Umsatzgeschäfte, einer Werkleistung und einer -- oder mehrerer -- Lieferungen auch klar zum Ausdruck gebracht haben, bestehen gegen die Gewährung der Großhandelsvergünstigung für die streitigen Umsätze keine rechtlichen Bedenken.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409813

BStBl III 1960, 528

BFHE 1961, 752

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