Entscheidungsstichwort (Thema)

Selbständige Tätigkeit eines Architekten

 

Leitsatz (NV)

Selbständig tätig ist ein Architekt, wenn er Unternehmerrisiko trägt. Ob dieses Merkmal vorliegt, ist nicht nach den Erklärungen der Vertragspartner, sondern nach der tatsächlichen Durchführung des Parteiwillens zu beurteilen.

 

Normenkette

GewStG § 2 Abs. 1 S. 1; GewStDV § 1 Abs. 1; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist graduierter Ingenieur des allgemeinen Ingenieurbaus.

In den Streitjahren 1971 und 1972 war der Kläger für ein Wohnbauunternehmen als ,,Bauleiter" tätig. Dieses Unternehmen verkaufte in herkömmlicher Bauweise erstellte Wohnhäuser zu Festpreisen.

In dem zwischen dem Kläger und dem Wohnbauunternehmen geschlossenen ,,Bauleiter-Generalvertrag" ist vereinbart:

,,§ 2 . . . Es ist Pflicht des Bauleiters, das Bauvorhaben nach den anerkannten Regeln der Baukunst zu erstellen. Termine sind streng einzuhalten und nur höhere Gewalt gilt als Unterbrechung . . .

§ 3 . . . Der Bauleiter hat den Anordnungen der . . . Folge zu leisten. Entsprechend dem Bautenstand sind Berichte an die . . . zu leiten, mindestens einmal wöchentlich . . .

§ 4 . . . Das Aufgabengebiet des Bauleiters erstreckt sich auf die gesamte Durchführung des Bauvorhabens, auch wenn dieses nicht Bestandteil des Hausauftrags ist, z. B. Erschließung, Be- und Entwässerung, Außenanlage, Behördenwege usw.

§ 5 Die ausführenden Unternehmen werden vom Bauleiter besorgt. Die Aufträge werden jedoch ausschließlich von der . . . vergeben. Es ist dem Bauleiter strengstens untersagt, eigene Provisionen anzunehmen oder Absprachen zu halten, die den Interessen der . . . entgegenstehen. Der Bauleiter hat in Treuepflicht die Interessen der . . . in jeder Weise zu fördern.

§ 6 Es ist die vordringliche Pflicht des Bauleiters, die Finanzierung vor Baubeginn zu prüfen. Der Bau ist erst bei gesicherter Finanzierung zu beginnen. Der Bauleiter hat dafür Sorge zu tragen, daß die bereitstehenden Darlehensgelder und Zwischenkredite während der Bauzeit entsprechend den Baustufen flüssig zur Verfügung stehen.

§ 7 Als Entgelt für die genannten Leistungen werden bei Zahlung der ersten Baurate seitens des Bauherrn 0,5 % der Auftragssumme von der . . . an den Bauleiter ausgezahlt. Bei Abrechnung des Bauvorhabens erhält der Bauleiter 10 % des Reingewinns aus seinen Bauvorhaben . . .

§ 8 Der Bauleiter haftet mit einem Anteil von 10 % des Gesamtverlustes, welcher der . . . entsteht, wenn Bauvorhaben innerhalb der ihm zugeteilten Zweigstelle mit Verlust abgerechnet werden.

§ 9 Als Kündigungsfrist werden 3 Monate zum Quartalsende für beide Seiten vereinbart. Für nicht fertiggestellte Bauvorhaben stehen dem Bauleiter keine Provisionen zu. Die erhaltene Provision von 0,5 % der Auftragssumme sind entsprechend der bezahlten Baustufen des Bauherrn aufzurechnen."

Der Kläger war im Rahmen dieser Tätigkeit am Bau von etwa 130 Häusern beteiligt und erzielte daraus 1971 . . . DM und 1972 . . . DM, die er für Einkünfte aus architektenähnlicher und damit aus freiberuflicher Tätigkeit hielt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) kam jedoch nach einer Betriebsprüfung zu der Auffassung, der Kläger habe einen Gewerbebetrieb und erließ dementsprechend Gewerbesteuermeßbescheide für 1971 und 1972.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Ob der Kläger einen Gewerbebetrieb i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterhalten hat, läßt sich nach den bisherigen Feststellungen des FG nicht abschließend entscheiden.

a) Zu den Voraussetzungen für einen Gewerbebetrieb nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG gehört eine selbständige Betätigung (§ 1 Abs. 1 GewStDV). Selbständig ist, wer auf eigene Rechnung und Gefahr tätig wird (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Februar 1980 I R 17/78, BFHE 129, 565, BStBl II 1980, 303). Unselbständig tätig ist, wer in der Betätigung des geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (§ 1 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV -). Ob das eine oder andere gegeben ist, muß unter Berücksichtigung aller Umstände, auch der vertraglichen Abmachungen, entschieden werden (BFH-Urteil vom 14. Dezember 1978 I R 121/76, BFHE 126, 311, BStBl II 1979, 188).

b) Im Streitfall erlauben die bisherigen Feststellungen des FG nicht die Schlußfolgerung, daß der Kläger selbständig tätig war.

Selbst wenn im Streitfall die Vertragspartner davon ausgegangen sein sollten, der Kläger werde als freier Mitarbeiter tätig, so können diese Erklärungen ebensowenig ausschlaggebend sein wie die sozial- und arbeitsrechtliche Einordnung des Arbeitsverhältnisses (Urteil in BFHE 129, 565, BStBl II 1980, 303). Maßgebend ist vielmehr die tatsächliche Durchführung des Parteiwillens, aus der für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit das Tragen eines Unternehmerrisikos durch den Kläger erkennbar sein müßte, was nach den bisherigen Feststellungen nicht mit Sicherheit möglich ist.

Das Risiko - die Gefahrtragung - müßte darin bestehen, daß das Entgelt des Klägers weitgehend von der Tüchtigkeit und Initiative des Klägers abhing. Ein solches Risiko ist aus der Entgeltsvereinbarung allein nicht ersichtlich. Neben einer vom Reingewinn abhängigen Provision erhielt der Kläger einen bestimmten Anteil von der Auftragssumme. Ein mit dem letztgenannten Entgelt verbundenes Risiko ist als nur gering anzusehen, wenn die erste Rate von der Auftragssumme auch fällig war, bevor der Kläger normalerweise Arbeitszeit oder Kosten aufgewendet hatte. Ob der Kläger ein nennenswertes Risiko trug, hängt auch vom Verhältnis seines Anteils an der Auftragssumme zum Anteil am Reingewinn ab. Wesentlich ist schließlich für das Risiko, ob es bei den beruflich veranlaßten und vom Kläger selbst zu tragenden Kosten von seiner Initiative abhing, daß ein die Unkosten übersteigender Überschuß erwirtschaftet wurde (Urteil in BFHE 126, 311, BStBl II 1979, 188).

Eine selbständige Tätigkeit läßt sich nicht schon bejahen, wenn der Kläger überhaupt ein Risiko trug. Zu berücksichtigen sind auch Umstände, die ein Risiko als verhältnismäßig gering erscheinen lassen. Dafür kommt hier in Betracht, daß der Kläger nur für das Wohnbauunternehmen tätig war und die Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht mit der Fertigstellung eines Bauvorhabens, sondern nach Einhalten einer Kündigungsfrist möglich war. Zu bedenken ist ferner, daß er die von ihm zu betreuenden Bauvorhaben nicht auswählte, sondern daß sie ihm von dem Wohnbauunternehmen übertragen wurden. Neben solchen Anzeichen für eine Eingliederung in den Organismus des Wohnbauunternehmens und eine Weisungsgebundenheit kann es dann nicht ins Gewicht fallen, wenn der Kläger seine Arbeitszeit weitgehend frei gestalten konnte.

2. Die Vorentscheidung, die über die Frage einer selbständigen Tätigkeit nicht in einer nachprüfbaren Weise entschieden hat und auf diesem Fehler beruht, war aufzuheben.

Die Sache geht an das FG zurück zur erneuten Verhandlung und Entscheidung. Falls das FG zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger selbständig war, muß es prüfen, ob der Kläger gewerblich oder freiberuflich tätig war.

Der Annahme einer gewerblichen Tätigkeit würde es nicht entgegenstehen, daß der Kläger nur für ein Unternehmen tätig war (BFH-Urteil vom 27. April 1977 I R 214/75, BFHE 122, 531, BStBl II 1977, 776).

Die Frage, ob der Kläger die Berufstätigkeit eines Architekten i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG oder einen ähnlichen Beruf ausübte, ist unter Beachtung der Grundsätze des BFH-Urteils vom 17. November 1981 VIII R 121/80 (BFHE 135, 421, BStBl II 1982, 492) sowie der dort angegebenen weiteren Entscheidungen des BFH zu prüfen. Danach kann die selbständige Berufstätigkeit der Architekten i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nur ausüben, wer zumindest die Ausbildung an einer höheren Fachschule oder vergleichbaren Einrichtung abgeschlossen hat oder in sonstiger Weise die Berufsbefähigung als Architekt nachweist. Ein der Berufstätigkeit des Architekten ähnlicher Beruf im Sinne der erwähnten Vorschrift setzt eine Ausbildung voraus, die mit der Berufsausbildung eines Architekten vergleichbar ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413891

BFH/NV 1985, 38

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