Leitsatz (amtlich)

Im Rahmen einer allein auf Grund § 116 Abs. 1 FGO zulässigen Revision ist nur über die die Zulässigkeit der Revision begründende Verfahrensrüge zu entscheiden, wenn nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO vorliegt.

 

Normenkette

FGO §§ 115, 116 Abs. 1 Nr. 1, § 118 Abs. 3 S. 1, § 119 Nr. 1; VwGO § 137 Abs. 3 S. 1

 

Tatbestand

Mit der gegen das Urteil des FG - das die Revision nicht zugelassen hatte - gerichteten Revision rügt die Klägerin, eine GmbH, als Verfahrensmangel in erster Linie, das FG sei nicht ordnungsmäßig besetzt gewesen. Sie führte wörtlich aus: "Der als ehrenamtlicher Finanzrichter mitwirkende Hauptsekretär X soll Finanzbeamter sein. Diese aus dem Urteil nicht ersichtliche, nach unseren Ermittlungen jedoch zutreffende Feststellung schließt die erforderliche Unvoreingenommenheit aus. Der Mann kann zwangsläufig nur als Bediensteter seiner Behörde denken und urteilen." Die Klägerin beanstandete ferner, ihr sei das rechtliche Gehör dadurch verweigert worden, daß ihr das Gericht eine Äußerung des Beklagten "vom 20.6." nicht zugänglich gemacht habe. Schließlich rügt die Klägerin, das angefochtene Urteil sei mit § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG unvereinbar.

Zur Klärung der Frage, ob das FG nach Vorschrift des Gesetzes besetzt war, hat der Senat am 2. Dezember 1970 einen Beweisbeschluß erlassen; auf diesen und auf die darauf beruhende Auskunft des Präsidenten des FG vom 29. Dezember 1970 und die zugleich mit dieser vorgelegten beglaubigte Abschrift eines Auszuges aus dem Terminzettel des IV. Senats des FG vom 3. Juni 1970 wird Bezug genommen. Der in dem erwähnten Beweisbeschluß enthaltenen Aufforderung des Senats, im einzelnen Tatsachen anzugeben, die, der Revisionsschrift vom 24. Juli 1970 (unter I Nr. 1 Sätze 1 und 2) gemäß, bei den Ermittlungen der Klägerin festgestellt worden seien, und ggf. Beweismittel zu bezeichnen oder vorzulegen, ist die Klägerin nicht nachgekommen.

Die Klägerin hat erklärt, sie lege Wert auf eine mündliche Verhandlung. Dem Senat erscheint es angemessen, einen Vorbescheid zu erlassen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht begründet.

I. Die Zulässigkeit der Revision ohne Rücksicht auf den Streitwert oder eine Zulassung (§ 115 FGO) folgt aus § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Danach bedarf es einer Zulassung zur Einlegung der Revision nicht, wenn als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, daß das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Dieser Verfahrensmangel läge vor, wenn das Vorbringen der Klägerin zuträfe, einer der an dem angefochtenen Urteil mitwirkenden Richter sei Finanzbeamter gewesen. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 FGO entscheiden die Senate der FG - soweit es sich nicht um Beschlüsse außerhalb der mündlichen Verhandlung handelt - in der Besetzung mit drei Richtern und zwei ehrenamtlichen Finanzrichtern (§§ 16 ff. FGO). Beamte und Angestellte der Steuerverwaltung des Bundes und der Länder können nicht zum ehrenamtlichen Finanzrichter berufen werden (§ 19 Nr. 3 FGO).

II. Die Revision ist unbegründet, weil das FG entgegen der Ansicht der Klägerin nach der Vorschrift des Gesetzes besetzt war. Über die Rüge, der Klägerin sei das rechtliche Gehör verweigert worden, und über sachlichrechtliche Fragen ist gemäß § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO nicht zu befinden.

1. Gemäß § 119 Nr. 1 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Das FG war ordnungsmäßig besetzt, weil der Regierungshauptsekretär X nicht Bediensteter der Finanzverwaltung war. Aus der Auskunft des Präsidenten des FG ergibt sich, daß der an der angefochtenen Entscheidung mitwirkende Regierungshauptsekretär Beamter der Justizverwaltung des Landes war. Der Präsident des FG hat in der auf Grund des Beweisbeschlusses vom 2. Dezember 1970 eingeholten Auskunft erklärt: "Hauptsekretär X ist bei der Strafanstalt Y beschäftigt und nicht Finanzbeamter." Entgegen der Behauptung der Klägerin war auch auf dem Terminzettel für die Sitzung des IV. Senats des FG am 3. Juni 1970 nicht angegeben, daß der Hauptsekretär X Finanzbeamter sei. Auf der auf Grund des Beweisbeschlusses vom Präsidenten des FG vorgelegten beglaubigten Abschrift des Terminzettels ist als Beruf lediglich angegeben: "Regierungshauptsekretär."

2. Der Senat kann das angefochtene Urteil nicht daraufhin überprüfen, ob die weitere Rüge der Klägerin berechtigt ist, ihr sei das rechtliche Gehör verweigert worden und ob ihre sachlich-rechtlichen Einwendungen begründet sind. Dies wäre nur dann möglich, wenn der Streitwert für die Revision den Betrag von 1 000 DM übersteigen würde (§ 115 Abs. 1 FGO), wenn die Revision zugelassen worden (§ 115 Abs. 2 bis 5 FGO) oder eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO erfüllt wäre (§ 118 Abs. 3 Satz 1 FGO). Dies ist indessen nicht der Fall.

a) Der Streitwert beträgt 116 DM. Er ist unter Anwendung eines Hebesatzes von 290 % auf einen Meßbetrag von 40 DM errechnet. Dieser Betrag entspricht der umstrittenen Hinzurechnung von 20 000 DM als Dauerschulden zum Einheitswert des Betriebsvermögens (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG) unter Zugrundelegung der für das Gewerbekapital maßgebenden Meßzahl 2 v. T. (§ 13 Abs. 2 GewStG).

b) Für den Gesichtspunkt, daß ein die Zulassung der Revision aussprechender Beschluß (§ 115 Abs. 1 und 5 FGO) nicht vorliegt, ist es unerheblich, ob eine Äußerung der Klägerin in der Revisionsschrift als Nichtzulassungsbeschwerde gedeutet werden kann. Im Anschluß an die Bemerkung, daß die Revision der verfahrensrechtlichen Verstöße wegen begründet sei, führt die Klägerin aus: "Aber auch wegen der Verstöße gegen das materielle Recht beantragen wir, die Revision zuzulassen, weil mindestens vier gleichgelagerte Verfahren folgen, die durch die Revisionsentscheidung erspart würden." Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Äußerung als Nichtzulassungsbeschwerde verstanden werden kann und - falls dies zu bejahen sein sollte - ob sie, weil nicht gehörig begründet (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO), zulässig ist. Hierauf kommt es nicht an, weil auch im Verfahren über die zulassungsfreie Revision zu prüfen ist, ob eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO vorliegt.

c) Gemäß § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden, wenn die Revision auf Verfahrensmängel gestützt wird und nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO vorliegt. Diese Vorschrift gilt nicht nur für zugelassene Revisionen (Urteil des BFH VI R 110/68 vom 6. Mai 1969, BFH 96, 269, BStBl II 1969, 621, im Anschluß an das Urteil des BVerwG V C 65/62 vom 11. Dezember 1963, BVerwGE 17, 253). Sie setzt eine auf Grund § 116 Abs. 1 FGO statthafte oder eine zugelassene Revision voraus (vgl. zu § 137 Abs. 3 Satz 1 VwGO den Beschluß des BVerwG VIII C 32/64 vom 23. Juli 1964, BVerwGE 19, 157).

Im Rahmen einer nur auf Grund § 116 Abs. 1 FGO zulässigen Revision ist gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 3 FGO - von den in dieser Vorschrift erwähnten Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO abgesehen - nur über den Verfahrensmangel zu entscheiden, dessen Rüge die Zulässigkeit der Revision begründet hat. Dies ergibt sich zwar nicht eindeutig aus dem wenig glücklich gefaßten Wortlaut des § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO, wohl aber aus dem durch den systematischen Zusammenhang verdeutlichten Zweck der Vorschrift. Die in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneten Verfahrensmängel sollen mit Rücksicht auf die Schwere des Verstoßes den Weg zur Revisionsinstanz ohne Rücksicht darauf eröffnen, ob die Streitwertgrenze überschritten oder die Revision zugelassen ist. Liegt einer der in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneten Verfahrensverstöße vor, so muß das Urteil aufgehoben und in der Regel die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden (§§ 119 Nr. 1 und 2 und 4 bis 6, 126 Abs. 2 und 3 FGO); das Instanzgericht soll über die Rechtssache unter Vermeidung des Verfahrensmangels erneut entscheiden. Da die Statthaftigkeit der Revision nach Maßgabe des § 116 Abs. 1 FGO eine Ausnahme von der Regel des Revisionsrechts - Streitwertrevision, Zulassungsrevision - darstellt, ist die Vorschrift nicht in dem Sinne zu verstehen, daß mit Hilfe der zulassungsfreien Revision weitere Angriffsmöglichkeiten gegen Urteile eröffnet werden, die nicht bestehen würden, wenn die Revision nicht auf Grund § 116 Abs. 1 FGO statthaft wäre. Andernfalls träte das mit dem Ausnahmecharakter des § 116 Abs. 1 FGO unvereinbare Ergebnis ein, daß eine nur vorgeschobene Verfahrensrüge der in dieser Vorschrift bezeichneten Art Revisionsangriffe ermöglichte, die auf Grund der Regelung des § 115 FGO nicht in Betracht kämen. § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO ist daher in dem Sinne zu verstehen, daß das Revisionsgericht nur über die zulässigerweise geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden hat, wenn nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO erfüllt ist.

Die Voraussetzungen der zuletzt bezeichneten Vorschriften sind offensichtlich nicht erfüllt. Die Klägerin hat auch keine entsprechenden Tatsachen vorgetragen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), noch weicht das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des BFH ab (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Bankkredit eine Dauerschuld sein kann, ist durch die Rechtsprechung geklärt (vgl. zuletzt BFH-Urteile IV 344/65 vom 23. Februar 1967, BFH 88, 134, BStBl III 1967, 322; I R 12/68 vom 28. Januar 1970, BFH 98, 186, BStBl II 1970, 336). Es kann nicht festgestellt werden, daß die vorliegende Rechtssache das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl., mit Nachweisen, BFH-Beschluß II B 2/68 vom 24. Juni 1969, BFH 96, 155 [158], BStBl II 1969, 663 [664], und auch BVerwG-Beschluß VII B 115/68 vom 22. Dezember 1969, HFR 1970, 301).

 

Fundstellen

Haufe-Index 69518

BStBl II 1971, 631

BFHE 1971, 353

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